Anlagebetrug :Der jahrzehntelange Kampf um jeden Cent Schadenersatz

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"Was er tat, war Betrug", sagt Anleger Daniel Fiebig über Bodo Schnabel, hier auf einem Bild von 2009. Fiebig kämpft seit 15 Jahren darum, zumindest einen Teil der 42 000 Euro zurückzuerlangen, die er einst verlor. Schnabel selbst soll heute in Hongkong leben.

(Foto: Robert Brembeck/WirtschaftsWoche)

Geprellte Anleger haben in Deutschland besonders schlechte Chancen, ihr Geld zurückzubekommen. Zwei Betroffene berichten von ihrem beinahe aussichtslosen Kampf.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Daniel Fiebig, 42,trägt zwei Ordner unter dem Arm. In ihnen steckt Material für eine Geschichte, die bis ins Jahr 1999 zurückgeht. Der sportliche Mann mit dem Dreitagebart kommt gerade aus der Abschlussprüfung einer Braunschweiger Gesamtschule für seine 10. Klasse. Fiebig unterrichtet dort auch Gesellschaftsrecht. "Als Lehrer verteidige ich den Rechtsstaat, doch dann muss ich meinen Schülern sagen: Der kommt damit durch."

"Der", das ist Bodo Schnabel, 66, ein Mann der 2002 wegen Betrugs zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Der Gründer des Telematik-Unternehmens Comroad hatte zwischen 1999 und 2001 die Umsätze seiner Firma fast vollständig erfunden, um Erfolg vorzugaukeln. Es war die Zeit des Internet-Booms. Der Börsenwert von Schnabels Firma stieg damals auf 1,2 Milliarden Euro. Fiebig war Miteigentümer, denn er hatte sich für 48 000 Euro Comroad-Aktien gekauft.

"Ich kannte mich aus mit der Börse. Wenn ich mich damals verzockt hätte, mea culpa", sagt der kämpferisch wirkende Mann. "Aber das, was Schnabel tat, war Betrug. Ich habe ein Gerichtsurteil, das mir Pfändungsrechte gegen Schnabel gibt. Doch der Staat legt mir Steine in den Weg, mein Geld vollständig zurückzuerhalten."

Immer wieder ergaunern Anlagebetrüger Millionenbeträge

Die Deutschen und ihre Geldanlage - es ist oft die Geschichte einer großen Enttäuschung. Das Platzen der Internet-Blase 2001 und der Beinahe-Kollaps des globalen Finanzsystems 2008 haben das Vertrauen in die Aktienmärkte erschüttert. Doch auch mit dem unregulierten Grauen Kapitalmarkt machten viele Anleger schlechte Erfahrungen. In den Achtzigerjahren kamen Bauherrenmodelle auf den Markt, die vermögende Bürger mit der Aussicht auf Steuerersparnis in riskante Immobiliengeschäfte lockten. Später boten zum Teil windige Finanzvermittler geschlossene Fonds für Schiffe an, dazu kamen Hedgefonds und Genussrechte. Diese meist sehr komplexen Produkte versprachen hohe Renditen bei geringem Risiko.

Viel zu häufig fielen Anleger auf zweifelhafte Finanzberater und Betrüger herein. Zuletzt wurden die Chefs der Immobilienfirma S&K zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Es ging um einen Betrugsschaden von unfassbaren 240 Millionen Euro. Die geprellten Privatanleger haben kaum Hoffnung auf Schadenersatz, denn der Großteil des Geldes blieb verschwunden.

Doch es gab einen noch spektakuläreren Fall als S&K. Im Jahr 2011 verurteilte das Landgericht Würzburg den Hedgefonds-Manager Helmut Kiener, 58, zu einer Gefängnisstrafe von zehn Jahren und acht Monaten. Durch den Aufbau eines betrügerischen Schneeballsystems brachte er 5000 Anleger und drei Banken um 345 Millionen Euro. Die 60-jährige Jana S. vertraute Kiener im Jahr 2002 rund 92 000 Euro an. Das Geld stammte aus dem Nachlass ihrer Eltern. Es war für das Studium ihrer Kinder gedacht.

"Der Finanzberater hat meine Scheidungssituation ausgenutzt.

Genau wie Fiebig bringt sie zum Treffen ihre Aktenordner mit, in denen sie ihre Tragödie dokumentiert hat. Die Erinnerung an den "großen Vertrauensbruch" ist noch da. Sie wirkt zornig, als sie den ersten Ordner öffnet. Eine Kopie des Anlagevertrags, mit dem sie 2002 die 92 000 Euro aus der Hand gab, ist abgeheftet. Die Summe floss in den K1 Global Ltd. So hieß einer von Kieners Fonds, den ihr ein Finanzberater empfohlen hatte. Sie war zunächst misstrauisch und rief Kiener damals deshalb an. Der konnte ihre Bedenken ausräumen. "Die müssen sich totgelacht haben über mich", sagt sie. "Mein Urvertrauen in die Menschen ist weg. Der Finanzberater hat meine Scheidungssituation ausgenutzt."

Kiener wird 2010 verhaftet. Sie erfährt per Zufall davon und ruft ihren Finanzberater an. "Alles wird gut", antwortete der in einer Mail, die sie ausgedruckt hat. "Manchmal google ich den Namen Kiener", erzählt sie. Kürzlich stieß sie so auf ein Interview mit ihm. "Ich war fassungslos, dass man diesem Mann ein Forum gegeben hat", sagt sie. Kiener sagte nach seiner Freilassung auf Bewährung im Gespräch mit boerse.ARD.de, er wolle mit Einkünften aus seiner neuen Tätigkeit "versuchen", die Opfer zu entschädigen.

"Ich habe mir nach Kieners Verhaftung sofort einen Anwalt genommen", sagt sie, die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Der Rechtsstreit habe sie "bei Laune gehalten", vielleicht, so hoffte sie, bekomme sie die Hälfte zurück. "Aber es ist nichts passiert", schnaubt sie. "Ich habe null, null, null gesehen." Gleichzeitig gab sie in den letzten Jahren 30 000 Euro aus für Anwälte und Gerichtskosten.

In den USA gibt es Hilfe von den Behörden, hier muss jeder Geschädigte selbst klagen

Jana S. hat einen Schadenersatzanspruch im Insolvenzverfahren gegen Kiener angemeldet. Doch das Vermögen, das der Insolvenzverwalter sicherstellen konnte, wird wohl nur dazu reichen, um seine Kosten zu begleichen. Sie hat darüber hinaus ein Urteil gegen einen Komplizen von Kiener erstritten. Allerdings kann Jana S. den Schadenersatzanspruch wegen des laufenden Insolvenzverfahrens nicht geltend machen. "Solange Insolvenzverfahren nicht abgeschlossen sind, darf man nicht pfänden", sagt der Münchner Fachanwalt Peter Mattil. Das ginge erst danach, und zwar 30 Jahre lang. Sollte Kiener wieder Geld verdienen oder anderes Vermögen "auftauchen", gebe es eine Handhabe.

Mattil fordert die Einführung einer "kollektiven Rechtssicherung" durch die deutsche Finanzaufsichtsbehörde Bafin. Sie müsse dafür sorgen, dass sich die Anbieter nach einer Anlagepleite nicht aus dem Staub machten oder in eine Insolvenz gehen könnten. "Mitunter dauern Insolvenzverfahren zehn bis 15 Jahre. Das ist nicht gut", sagt der Jurist und verweist auf die USA. Dort würden die Ermittlungsbehörden den geschädigten Anlegern helfen, während in Deutschland jeder Anleger selbst klagen müsse. "Das kostet Geld und Nerven, viele resignieren und klagen erst gar nicht. So bleiben 95 Prozent aller Betrugsopfer auf ihren Schäden sitzen."

Ein Mann wie Fiebig resigniert nicht. Er hat sich in seinen Fall in den letzten 15 Jahren festgebissen, er recherchiert wie ein Ermittler. "Ich finde manchmal neue Namen und Strohleute. Das gibt mir einen Kick, weiterzumachen." Neulich konnte Fiebig von Schnabels Ex-Frau 800 Euro eintreiben. Von der Comroad AG hat er auch Geld erkämpft. So gelang es ihm, etwa 20 Prozent der verlorenen 42 000 Euro zurückzuergattern, wobei einiges für den Anwalt draufging. Fiebig möchte das ganze Geld zurückhaben und vermisst die Unterstützung der Behörden. "Der Gerichtsvollzieher konnte nicht für mich überprüfen, ob Schnabel in Deutschland Konten hat, und das nur, weil Schnabel nicht mehr in Deutschland wohnt." Der Ex-Comroad-Chef soll in Hongkong leben und dort die Firma Nanomatic führen. Eine Bitte um Stellungnahme ließ er unbeantwortet.

Ein Haus nahe München wäre wohl pfändbar - doch die juristischen Risiken sind groß

Fiebig könnte ein Haus von Schnabel nahe München pfänden, doch dafür müsste er, wie er sagt, mit einem Gutachter in Vorleistung treten. Das Geld möchte er nicht investieren, weil er juristische Fallstricke befürchtet. Stattdessen ist er das Grundbuch der Immobilie durchgegangen. Vor ihm in der Liste stehen andere Gläubiger, darunter der Freistaat Bayern. Die meisten vor ihm in der Liste hätten ihr Geld erhalten. "Das haben mir die Personen telefonisch bestätigt. Dann wollte ich wissen, ob auch der Freistaat Bayern sein Geld schon erhalten hat, doch man hat mir die Akteneinsicht verweigert", sagt Fiebig. Das ärgert ihn, denn je höher er in der Gläubigerliste steht, desto wahrscheinlicher ist es, dass er von einer Zwangsversteigerung der Immobilie profitieren könnte.

Neulich hat Fiebig erfahren, dass Schnabel ein Rentenkonto in Deutschland hat, aus seiner Zeit als Angestellter. "Ich habe seine Rentenansprüche nahezu vollständig gepfändet", erzählt er. Dennoch fließt kein Geld. "Die Rentenversicherung teilte mir mit, dass die Rente erst gepfändet werden könne, wenn Schnabel sie beantragt. Doch das hat er bislang nicht getan." In solchen Momenten, das räumt Fiebig ein, "habe ich dann auch keine Lust mehr und lasse die Ordner eine Weile im Regal verstauben."

Auch der Kampfeswille von Jana S. ist nach sieben Jahren mal schwächer und mal stärker. Glaubt sie überhaupt noch an ihren Erfolg? "Ich will daran glauben."

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