Streit über Staatstrojaner:Bayern ignoriert Urteil zur Schnüffelsoftware

Der Einsatz des Staatstrojaners sorgt für heftigen Streit. Bayerns Regierung hält ihn für legal - obwohl das Spähprogramm verfassungsrechtlich problematisch ist. Innenminister Herrmann und Justizministerin Merk argumentieren mit einer Gerichtsentscheidung, die bereits wieder kassiert wurde.

Mirjam Hauck und Johannes Kuhn

Der bayerische Staatstrojaner ist legal - zumindest in den Augen von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Der verteidigt in diversen Interviews den Einsatz des umstrittenen Spähinstruments, das der Chaos Computer Club analysiert hat und dessen mögliche Funktionen weit über den vom Bundesverfassungsgericht erlaubten Rahmen hinausgehen.

Insgesamt fünf Mal haben bayerische Ermittler zwischen 2008 und Februar 2010 den Trojaner eingesetzt, wie das Justizministerium bereits im April auf die Anfrage einer Grünen-Landtagsabgeordneten mitteilte (pdf hier). Dabei erstellte das Spähprogramm zwischen 10.000 und 30.000 Screenshots.

"Soweit es Bayern angeht, ist klar, dass das Landeskriminalamt ausschließlich rechtlich zulässige, von Ermittlungsrichtern angeordnete Maßnahmen durchgeführt hat", sagt Herrmann zu den Einsätzen - und bewegt sich damit auf dünnem Eis. In seinem Urteil vom 27. Februar 2008 setzte das Bundesverfassungsgericht dem Ausspähen von Computern enge Grenzen. Die Online-Durchsuchung, also ein komplettes Durchforsten des Computers, sei nur zulässig bei konkreter Gefahr für Leib und Leben von Personen ("ein überragend wichtiges Rechtsgut") oder zur Verhinderung von Anschlägen ("Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt").

Nur Skype und E-Mail, alles andere ist tabu

Auch an die Überwachung des Kommunikationsverhaltens am PC knüpfte das Gericht Bedingungen. In dem Urteil heißt es:

"Wird ein komplexes informationstechnisches System zum Zweck der Telekommunikationsüberwachung technisch infiltriert ('Quellen-Telekommunikationsüberwachung'), so ist mit der Infiltration die entscheidende Hürde genommen, um das System insgesamt auszuspähen. Die dadurch bedingte Gefährdung geht weit über die hinaus, die mit einer bloßen Überwachung der laufenden Telekommunikation verbunden ist. Insbesondere können auch die auf dem Personalcomputer abgelegten Daten zur Kenntnis genommen werden, die keinen Bezug zu einer telekommunikativen Nutzung des Systems aufweisen. Erfasst werden können beispielsweise das Verhalten bei der Bedienung eines Personalcomputers für eigene Zwecke, die Abrufhäufigkeit bestimmter Dienste, insbesondere auch der Inhalt angelegter Dateien oder - soweit das infiltrierte informationstechnische System auch Geräte im Haushalt steuert - das Verhalten in der eigenen Wohnung."

Die Folge: Über die Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) dürfen nur Dienste wie E-Mail oder Skype abgehört werden, alles andere ist tabu, wenn "ein Zugriff auf das System es ermöglicht, einen Einblick in wesentliche Teile der Lebensgestaltung einer Person zu gewinnen oder gar ein aussagekräftiges Bild der Persönlichkeit zu erhalten".

Genau dies ermöglichen Screenshots, die das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) über den Staatstrojaner aufnahm, um Straftaten wie banden- und gewerbsmäßigen Betrug oder Handel mit Betäubungs- und Arzneimitteln aufzuklären. Zwar erwähnt das BVerfG das Abfotografieren des Monitors nicht, aber die Formulierung ist relativ eindeutig.

Herrmann: Entscheidung "zur Kenntnis genommen"

Deshalb klagte ein Mann gegen die Screenshot-Aktion des LKA aus dem Jahr 2009. Sein Rechner wurde infiziert, seine Festplatte gehört zu den Datenträgern, auf denen der Chaos Computer Club den Staatstrojaner fand. Das Landgericht Landshut gab ihm recht und erklärte die Bildschirmfoto-Aktion im Januar 2010 für rechtswidrig (pdf des Urteils hier).

Das allerdings ist für die bayerische Regierung kein Grund, von der Screenshot-Methode abzurücken. Herrmann sagte dem Bayerischen Rundfunk, man habe die Entscheidung "zur Kenntnis genommen". Akzeptieren möchte er sie aber offenbar nicht, und beruft sich dabei auf das Amtsgericht Landshut, das die Aktion zunächst genehmigt hatte: In einem Rechtsstaat gebe es immer unterschiedliche gerichtliche Auffassungen, das passiere ständig, sagte er.

Nur in der höchsten Instanz zu stoppen

Diese Interpretation zeigt, dass Bayern sich offenbar nur durch eine endgültige Entscheidung zur Screenshot-Methode stoppen lassen möchte und bis dahin alle Urteile ignorieren will. Das Landgericht Landshut hatte 2011 explizit festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts rechtswidrig war, soweit Screenshots kopiert und gespeichert wurden. Der bayerische Innenminister stützt sich also auf eine Entscheidung, die explizit von einer höheren Instanz kassiert wurde.

Dabei erhält er auch Unterstützung seiner Kabinettskollegin Beate Merk, deren Justizministerium im April die Anfrage beantwortete. Auch dort verweist man darauf, dass die Legalität von Bildschirmaufnahmen noch nicht höchstinstanzlich geklärt wurde. Man werde aber darauf "hinwirken".

In einer aktuellen Stellungnahme gegenüber sueddeutsche.de erklärt das Ministerium, dass die "Entscheidung aus Landshut keine Bindungswirkung bei zukünftigen Anträgen zur Telekommunikationsüberwachung" hat, sie "betraf nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Maßnahme im konkreten Einzelfall". Es müsse in jedem Fall ein Gericht erneut die Anordnungsvoraussetzungen der beantragten Überwachungsmaßnahmen prüfen und gemäß seiner eigenen Rechtsauffassung entscheiden.

Im Rechtssinne dürfte das Anfertigen von Screenshots kaum unter die Quellen-TKÜ fallen - sie wäre Teil der Online-Durchsuchung. Die darf nur in Ausnahmefällen stattfinden. Die bayerischen Fälle der regulären Strafverfolgung fallen nicht darunter.

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