Streamingdienst:Apple Music startet holprig, kann aber überzeugen

Lesezeit: 4 min

Seit Dienstag am Start: Apples neuer Streamingdienst Apple Music. (Foto: dpa-tmn)
  • Seit dem 30. Juni hat Spotify einen direkten Konkurrenten: Apple.
  • Ein erster Kurztest zeigt: Der Beginn ist holprig.
  • Nutzer, die neue Musik entdecken wollen, sind dennoch gut beraten.

Von Hakan Tanriverdi

Der Start ist ein Desaster, zumindest der erste Eindruck. Die meisten Nutzer werden das zwar nicht wahrnehmen, aber genau das ist das Problem. Apple will mit dem Streamingdienst Apple Music einen ganzen Markt neu für sich gewinnen. Wenn in Zukunft gefragt wird "wie hörst du dir deine Musiksammlung über das Netz an?", dann soll die Antwort lauten: "bei Apple". Und nicht etwa bei Spotify, mit 75 Millionen Nutzern der Streaming-Marktführer.

Apple Music gibt es seit dem 30. Juni. Es geht also zunächst um den ersten Eindruck, nicht um einen ausführlichen Test. Doch das ist okay, denn der ist schließlich entscheidend: Firmen geben Millionen aus, damit die ersten Schritte der Kunden in einem neuen Angebot so reibungslos ablaufen wie nur irgend möglich. In diesen ersten Augenblicken entscheidet sich, ob ein Kunde die Bereitschaft entwickelt zu zahlen - oder ob er geht. Ob er Apple-Kunde wird oder bei Spotify bleibt. Die Frage ist also weniger, welche Knöpfe man drücken muss, damit alles funktioniert. Sie lautet eher: Gefällt mir, was ich sehe?

Apple weiß das natürlich. Steve Jobs zielte von Anfang an auf die Gefühle der Apple-Nutzer. Ein Blick auf das iPhone reicht, um sich dessen zu vergewissern. Jede Marketing-Kampagne, jede Produktvorstellung wird emotional inszeniert, mit "amazings" und "wonderfuls" unterfüttert. Apple Music ist da keine Ausnahme.

Zum Start: Keine Spur von Kundennähe

Doch am Starttag ist von Kundennähe nichts zu merken. Wie üblich gibt es eine neue Version des Betriebssystems zum Download. Die Installationszeit liegt bei sechs Minuten, das ist flott. Doch dann passiert: nichts. Kein Hinweis, wie und wo man das neue Produkt öffnen kann. Es gibt keine eigene App, wie sie zum Beispiel die kürzlich eingeführte Smartwatch bekam. Die alte Musik-App, mit der man bislang bereits Lieder anhören konnte, wurde einfach erweitert. Wer sie öffnet, kann sich anmelden. Die ersten drei Monate sind gratis, danach kostet der Dienst 9,99 Euro im Monat.

Bloß gibt es zu Beginn schlicht keine Möglichkeit, die Hauptfunktion des neuen Dienstes zu nutzen. Die eigene Musik wird angezeigt, dazu zwei neue Funktionen: "Radio" und "Connect". Der entsprechende Knopf, der zum Musik-Katalog von Apple mit insgesamt 30 Millionen Songs führt, taucht erst Stunden später auf. Vergleichen kann man das mit einer Testfahrt. Der Autohändler bewirbt ein neues Modell, man will damit um den Block fahren und bekommt den Schlüssel. Plötzlich verschwindet der Händler, das Auto ist erst nach Stunden verfügbar.

Beim Start gelingt es Apple Music also nicht, den Kunden bestmöglich zu überzeugen, sondern eher, ihn maximal zu verwirren. Erst bekommt er nur wenig mit vom neuen Dienst, anschließend kann er ihn nicht nutzen.

Die Botschaft: Es geht um die Musik

Sobald die App schließlich läuft, liefert sie aber gute Argumente, um sich die Frage zu stellen: Soll ich umsteigen? Weg von der Konkurrenz oder, ganz allgemein, hinein in das Streaming-Geschäft?

Zunächst fragt das Programm den Geschmack des Nutzers ab. Gibt ihm verschiedene Musikstile vor - von Klassik über Jazz bis Rap sind alle Genres abgedeckt. Auch Comedy und Hörspiele lassen sich auswählen. Anschließend kann man spezifische Künstler der Genres auswählen. Sind diese Fragen beantwortet, gibt es erste Empfehlungen. Neue Platten werden angezeigt, das Œuvre eines Künstlers opulent präsentiert. Die Botschaft ist: Es geht uns um die Musik. Die Seite heißt "Für dich", und das ist die zweite Botschaft: Hier wird sorgfältig ausgewählt, was die Nutzer zu hören bekommen.

Was Apple Music dabei wirklich interessant macht, ist die Herangehensweise. Denn ein Großteil der Tipps kommt von Menschen. Wer Radio hören will, hat die Auswahl: Da ist etwa das Live-Programm, das 24/7 läuft und in dem sowohl Songs vorgestellt als auch Interviews geführt werden. Dafür warb Apple extra den renommierten BBC-DJ Zane Lowe ab. Interessant ist das Radio auf jeden Fall, da man sich sicher sein kann, automatisch Teil eines Millionenpublikums zu sein. Apple hat im vergangenen Jahr 193 Millionen iPhones verkauft und insgesamt 800 Millionen zahlende Kunden über iTunes.

Das wichtigste Feature von Apple Music

Doch zum wichtigsten Feature von Apple Music könnten sich die einzelnen Radiostationen entwickeln. Hier haben DJs und Redakteure komplette Genre-Listen aufgebaut. Wer auf HipHop klickt, bekommt durchgängig sehr gut ausgewählte Songs, von Big Daddy Kane bis hin zu Kendrick Lamar. Sowohl von englisch- als auch von deutschsprachigen Musikern, sowohl neue Songs als auch Klassiker. Das Jazz-Radio startet mit Kenny Dorham und Larry Young.

Im Streaming-Bereich gibt es in Deutschland bis dato keinen guten Dienst, um neue Musik zu entdecken. Spotify zum Beispiel legt keinen großen Wert darauf. Zwar gibt es dort Playlisten, die ebenfalls von Menschen betreut werden, sie entstehen aber anhand von Klickzahlen. Das ist gut, um Talente zu entdecken, aber kein Weg, um konstant neue, gute Musik zu finden. Hinzu kommt: Die Radio-Funktion bei Spotify wirkt im Vergleich wie ein Witz. Ein paar Dutzend Songs werden vorgeschlagen, dann wiederholt sich die Auswahl. Die Firma aus Schweden konzentriert sich stattdessen darauf, Musik komponieren zu lassen, die ihre Klangfarbe und Geschwindigkeit ändert, während man joggt. Je schneller man läuft, desto höher die Taktzahl. Apple Music hingegen setzt voll darauf, dass die Nutzer dort Musik entdecken - und ist mit sorgfältig ausgewählten Songs auf einen Schlag eine der besten Quellen dafür.

Doch nicht alles hat Apple gut hinbekommen: Die Radio-Funktion etwa ist nur verfügbar, wenn man per Wlan im Internet ist. Unterwegs kann man es nicht hören. Ein Schritt, um das Datenvolumen auf dem Smartphone zu schonen, aber ein frustrierender.

Der Zweck einzelner Funktionen bleibt unklar

Wenn ein Song gespielt wird, steht daneben ein kleines Herz-Symbol. Wer es drückt, gibt zu verstehen, dass er den Song mag. Kriegt aber nicht mit, wo und wie Apple das genau auswertet. Erst später und zufällig ist festzustellen, dass die "Für dich"-Seite plötzlich die eigenen Vorlieben einen Tick genauer kennt.

Mit Connect führt Apple eine Plattform ein, auf der die Nutzer Künstlern "folgen" können, die sie gut finden. Wer ein Fan von Taylor Swift ist, erfährt mit einem Klick auf Connect, ob es Neuigkeiten von ihr gibt. Es ist der Versuch, ein soziales Netzwerk aufzubauen. Ein Bereich, in dem Apple bereits vor Jahren mit iTunes Ping krachend gescheitert ist. Warum das bei Connect anders werden sollte, lässt sich nicht erkennen. Die Nachrichten der Künstler sind nett, aber sozial im eigentlichen Sinne sind sie nicht. Vielleicht ändert sich das in der Zukunft, aber momentan haben Künstler wie Pharell deutlich mehr Anreize, ihre offiziellen Facebook- und Twitter-Kanäle zu nutzen. Von dort aus kommen sie schneller in die Schlagzeilen und schneller zu den Fans.

Das Fazit des ersten Tages mit Apple Music: Die Entscheidung, den Dienst drei Monate kostenlos anzubieten, ist clever. Nutzer können so ausgiebig testen und schauen, worauf sie Wert legen. Wenn es ihnen darum geht, neue Musik zu entdecken, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie bei Apple bleiben. Start-Desaster hin oder her.

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