Instant Articles:Schulterschluss mit Facebook

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Nachrichten und Artikel großer Medienhäuser gibt es bald direkt über die Facebook-App aufs Smartphone. (Foto: REUTERS)
  • Das soziale Netzwerk Facebook bindet künftig journalistische Artikel einiger Medienhäuser direkt ein. So verkürzt sich die Ladezeit deutlich.
  • Die Verlage werden an den Werbeerlösen beteiligt.
  • Sie versprechen sich davon Einsicht in das Leseverhalten; Facebook wiederum ist daran interessiert, dass die Nutzer das eigene Angebot nicht verlassen.
  • Die Hoheit über die Inhalte verbleibe bei der Redaktion, heißt es.

Von Max Hägler und Johannes Kuhn, San Francisco

Für die Nutzer ist es einfach nur recht praktisch, die mögliche Revolution tut sich erst auf den zweiten Blick auf. Was Mike Matas da in den vergangenen neun Monaten im Facebook-Hauptquartier in Kalifornien entwickelt hat, es erleichtert eben das Surfen: Wer ein Iphone nutzt und damit Artikel im Facebook-Newsstream ansieht, im Nachrichtenfluss, bekommt künftig je nach Redaktion Text und Bilder ganz rasch angezeigt. Instant Articles nennt sich die Funktion, Sofort-Artikel, die den Facebook-Usern Ladezeit spart und sie auf der Seite des größten sozialen Netzwerks der Welt hält, das über 1,3 Milliarden Menschen nutzen.

Noch schneller lässt sich Facebook damit nutzen. So wie es Matas zeigt, hier in einem Besprechungsraum am Facebook-Hauptquartier, der im Industrie-Stil gehalten ist. Licht dringt nur spärlich durch die Dachluken - aber es geht ja auch mehr um den Bildschirm: Matas scrollt in der App auf einen Artikel des Magazins National Geographic über die Züchtung von Superbienen. Schon im Vorschaubild fliegen die Insekten umher, statt wie üblich zu verharren. Dann klickt er - und blitzschnell öffnet sich der Artikel auf dem Smartphone-Bildschirm, in der Facebook-App, ohne dass die Internetseite von National Geographic geladen wird.

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Das erleichtert auf den ersten Blick einfach nur das Surfen durch den Newsstream. Auf den zweiten Blick jedoch könnte diese kleine Technik die Geschäftsmodelle der traditionellen Verlagshäuser umkrempeln: Inhalte nicht mehr auf eigenem Papier, ja noch nicht einmal auf den eigenen Servern und auf den eigenen Webseiten, das war lange undenkbar. Das widersprach dem Selbstverständnis. Doch nun haben sich neun große Medienhäuser entschlossen, von der bisherigen Philosophie abzuweichen - und Inhalte direkt bei Facebook lesbar und erlebbar zu machen.

"Wir wollen lernen"

Neben dem National Geographic sind der Guardian, die BBC und die New York Times dabei; in Deutschland beteiligen sich der Spiegel und die Bild-Zeitung. Ein Experiment sei das, heißt es aus vielen der beteiligten Verlagshäusern. "Wir wollen lernen, aber auch mitgestalten, wie die Menschen im Zeitalter sozialer Plattformen News, Unterhaltung und Sport konsumieren", erklärt etwa Julian Reichelt, Chefredakteur von Bild.de. Es seien nun einmal 30 Millionen Bundesbürger bei Facebook.

Am Hauptquartier in Kalifornien erklärt Facebook-Manager Justin Osofsky: "Jeden Tag teilen fast eine Milliarde Menschen Links auf Facebook, aber sie zu öffnen, ist eine schlechte Erfahrung." Es brauche im Durchschnitt acht Sekunden, bis eine Seite geladen ist. Erste Tests hätten gezeigt, dass direkt in Facebook eingebettete Artikel zehnmal so schnell geladen werden. Damit das klappt, müssen die Medienhäuser ihre Texte nicht bei Facebook erstellen, sondern können im eigenen System arbeiten. Und können natürlich mit allen Medienformen arbeiten: Videos, Karten und Tonaufnahmen sind möglich. Multimediale Projekte wie "Snow Fall", das von der New York Times aufwendig aufbereitete Drama um ein Lawinenunglück, sollen künftig "jeden Tag" möglich sein, hofft Osofsky. Wobei solche Projekte nun weniger von der breit verfügbaren Technik abhängen, als vielmehr von den Ressourcen in den Redaktionen und deren Ideen.

Die Berichterstattung soll unabhängig bleiben

In vielen dieser Redaktionen gibt es eigentlich auch ein Unbehagen gegenüber Facebook: man nutzt es, aber kritisiert in Berichten und Kommentaren doch auch immer die Quasi-Monopolstellung und die Datensammelei. Insofern mutet es widersprüchlich an, dass Verlage nun den Schulterschluss zum Objekt der Berichterstattung suchen. "Uns ist wichtig, unsere Leser da zu erreichen, wo sie sind, und da spielt Facebook einfach eine wichtige Rolle", argumentiert Florian Harms, Chefredakteur von Spiegel Online. Es klingt wie ein Eingeständnis, dass an Facebook einfach niemand mehr vorbeikommt. "Unsere Berichterstattung über Facebook wird all das selbstverständlich nicht beeinflussen", beteuert Harms. Die bleibe unabhängig und kritisch. Auch von der Bild-Zeitung heißt es, die "Hoheit und Verantwortung" für die Inhalte bleibe bei der Redaktion.

Wobei es nicht nur um Reichweite geht. Der US-Konzern köderte die Medienhäuser auch mit einem geschäftlichen Mehrwert und einer recht ausgefeilten Laborumgebung. Die teilnehmenden Medien können die Werbung, die bei ihren Artikeln erscheint, selbst vermarkten. Übernimmt das Facebook, bekommen die Verlage immerhin noch 70 Prozent der Erlöse weitergereicht. "Wichtig ist, dass wir nicht nur die Auswahl der Inhalte, sondern auch deren Vermarktung selbst in der Hand haben", sagt Spiegel-Online-Geschäftsführerin Katharina Borchert.

Zuckerberg höchstpersönlich gestaltete die Instant Articles-Funktion mit

Die Verlage können zudem nicht nur Umsätze machen, sondern genau studieren, welche User auf welche Weise auf die Angebote stoßen: Facebook macht die eigenen, von Journalisten kritisch beäugten Analysen den Verlagen zugänglich. Darüber berichtet der Springer-Verlag, dass ein gemeinsames Gebührenmodell entwickelt werden soll - es wäre ein Novum in der von Kostenlos-Inhalten geprägten Facebook-Welt. Wie das aussehen könnte, ist allerdings wohl noch nicht geklärt. In einigen Wochen wollen Spiegel und Bild erst einmal ihre gebührenfreien Instant Articles starten.

Aber wieso macht Facebook das? Weil die User auf dem eigenen Angebot bleiben, sie nicht mehr auf andere Seiten ausbrechen. Und in gewisser Weise wird das US-Portal damit selbst zum Verleger. Die damit einhergehende Verantwortung, aber vor allem auch Macht hat offenbar einen hohen Stellenwert im Konzern: Facebook-Entwickler Matas sagt, Gründer Mark Zuckerberg selbst habe sich intensiv mit Instant Articles beschäftigt: sogar die Größe der Bilder habe der Chef festgelegt. Weiteren Einfluss will Facebook angeblich nicht nehmen, nicht bei den erlaubten Inhalten und auch nicht in dem Sinne, dass Artikel von Kooperationspartnern bevorzugt im Newsstream auftauchen: "Der Algorithmus bleibt unverändert", verspricht jedenfalls Facebook-Manager Osofsky.

© SZ vom 15.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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