Lobby-Einfluss auf neue EU-Verordnung:Internetkonzerne schreiben bei Datenschutzregeln mit

Mit strengeren Vorschriften sollen die Daten von Internetnutzern in der EU besser geschützt werden. Doch um die neue Verordnung gibt es in Brüssel eine wahre Lobby-Schlacht: Firmen wie Google, Facebook oder Ebay wollen die Regeln zu ihren Gunsten beeinflussen. Mit Erfolg.

Von Javier Cáceres, Brüssel

Jan Philipp Albrecht kommt etwas später als verabredet in sein Büro im Europaparlament. Er geht zu seinem Schreibtisch und lässt sich etwas theatralisch in den Stuhl fallen. Seine Erschöpfung ist dabei nur zum Teil gespielt. Seit der grüne Europaabgeordnete Albrecht Anfang Januar als Berichterstatter des Innenausschusses Änderungsvorschläge zum neuen, einheitlichen Datenschutzrecht der EU-Kommission vorlegte, sei ein Lobbyisten-Sturm über ihn hereingebrochen, wie er ihn in seiner Abgeordneten-Karriere "noch nie erlebt" habe.

Der liberale Parlamentarier Alexander Alvaro (FDP) will zwar schon Schlimmeres erlebt haben. Aber auch der Sozialdemokrat Josef Weidenholzer (Österreich) berichtet von "Lobbying in noch nie gekanntem Ausmaß", um die Datenschutzbestimmungen im Sinne der Industrie noch zu verwässern.

Die Kommission hatte ihren Vorschlag zu einer neuen "Datenschutzgrundverordnung" vor gut einem Jahr vorgelegt und will sie noch in diesem Jahr durch Parlament und Rat bringen. Ziel ist es, einen modernen, einheitlichen EU-Standard festzulegen. Das wird von Unternehmen auch uneingeschränkt gepriesen. Die derzeitigen europaweiten Datenschutzregeln stammen aus dem Jahr 1995 und damit gewissermaßen aus dem Cyber-Pleistozän.

US-Unternehmen dominieren Lobby-Schlacht

Die Firmen können auch der Idee viel abgewinnen, alle bürokratischen Schritte an einer einzigen Stelle für die gesamte EU zu erledigen, statt durch die nationalen Mühlen aller 27 Mitgliedstaaten zu ziehen. Denn das spart Zeit, und damit Geld. Weniger Enthusiasmus verursachen hingegen die Datenschutzbestimmungen an sich. Zwar betonte eine "Industriekoalition für Datenschutz" (ICDP) aus 15 führenden internationalen Handelsorganisationen, dass "datengetriebene Unternehmen das Vertrauen der Nutzer ihrer Produkte erarbeiten müssen".

Doch wenn es um die Inhalte der Verordnung geht - also um strengere Strafen für Datenschutzverstöße oder mehr Rechte für Verbraucher bei der Verarbeitung ihrer persönlicher Daten -, wird die Verfinsterung des Morgenrots beschworen. Die Verordnung gefährde "die Zukunft der digitalen Wirtschaft" und damit einen der wenigen Bereiche, in denen Europa Wachstum verzeichne, betont die ICDP, die nicht nur EDV-Firmen bündelt, sondern auch Japans Business-Vertretung und die US-Handelskammer.

Gerade US-Unternehmen seien besonders aktiv, "bestimmt 60 Prozent der Lobbying-Aktivität kommt aus Silicon Valley", schätzt Albrecht. Er selbst hat sich seit März 2012 mit Vertretern von 168 Firmen und Interessengruppen getroffen. Eine Dokumentation zeigt nicht nur einschlägige Firmennamen wie Google, Facebook, AT&T oder Ebay, sondern auch interessante Erkenntnisse über die Machtkorrelationen in einer spannenden Lobby-Schlacht (PDF).

US-Regierung unterstützt EU-Bemühungen

Der überwiegende Teil der Gesprächspartner stammt aus dem Finanz- und Versicherungssektor, gefolgt von Handelsunternehmen, international operierenden Beratungsfirmen, Anwaltskanzleien und Medienverbänden. Nicht profitorientierte Daten- und Verbraucherschutzorganisationen hingegen machen zusammen mit Gewerkschaften 11,2 Prozent aus - auch eine Folge mangelnder Finanzkraft. Das große Problem sei, dass die Industrie versuche, gezielt solche Abgeordneten "komplett zu überrollen", denen der Datenschutz weniger wichtig ist als etwa die wirtschaftliche Entwicklung, wie Birgit Sippel (SPD) berichtet.

Gerade Parlamentarier aus Krisenländern seien für das Argument empfänglich, dass man das Online-Business nicht über Gebühr beschränken dürfe. Umso willkommener ist datenschutzbesorgten Abgeordneten nun die Schützenhilfe von Bürgerrechtsverbänden aus den USA, die hoffen, ein hoher EU-Datenschutzstandard könne Rückwirkungen auf die Debatte in den USA haben. In einem offenen Brief forderten sie die US-Regierung auf, ein modernes Datenschutzrecht der EU nicht zu torpedieren.

Linktipp: Der Journalist Richard Gutjahr erklärt in seinem Blog, wie die Lobbyisten Einfluss auf die Datenschutz-Verordnung der EU nehmen. Die Vorschläge der Internetkonzerne fließen zu großen Teilen direkt in die Gesetzestexte ein, wie auf Lobbyplag.eu gezeigt wird.

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