Libyen: Internet und Telefondienste gestört:Gaddafis Dunkelkammer

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Auslandstelefonate sind unmöglich, das Internet lahmt: Mit aller Macht will Libyen verhindern, dass Informationen über die Situation im Land nach außen dringen. Doch das System hat Lücken.

Johannes Kuhn

Es gibt kein Durchkommen: Wer derzeit versucht, Bewohner der Hauptstadt Tripolis anzurufen, erntet am anderen Ende der Leitung meist Stille. Die Telefonverbindungen zum Ausland sind derzeit offenbar gekappt, um keine Informationen über die Situation vor Ort nach außen dringen zu lassen.

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:"Gaddafi, du bist ein Mörder"

Nach dem Ausbruch der blutigen Proteste in Libyen solidarisieren sich Menschen auf der ganzen Welt mit der unterdrückten libyschen Bevölkerung.

Auch die Geschwindigkeit des Internets wird gedrosselt, wie eine Google-Statistik nahelegt: Seit vergangenem Freitag hat sich die Zahl der Google-Suchanfragen mehr als halbiert, Freitagnacht und Samstagnacht ging Libyen sogar komplett vom Netz. Seiten wie aljazeera.net, Facebook, Twitter und YouTube können die Nutzer im Land Augenzeugenberichten zufolge derzeit nicht aufrufen.

Beobachter rätseln, weshalb das libysche Internet nur in zwei Nächten offline ging und Gaddafi nicht eine komplette Sperre durchgesetzt hat. Logistisch hätte das Regime alle Möglichkeiten, das Internet im Land dauerhaft lahmzulegen: Fast alle Anschlüsse stellt der halbstaatliche Internetanbieter Libya Telecom and Technology zur Verfügung, an dessen Spitze Mohammed al-Gaddafi, der älteste Sohn des Staatschefs, steht. Mit dem Ausland ist Libyen über einen einzigen Knotenpunkt verbunden.

Allerdings dürften zwei Faktoren das Regime zögern lassen: Die Erfahrung aus Ägypten Ende Januar lehrt, dass die Abschaltung des Internets dem Mubarak-Regime wenig geholfen hat. Die junge ägyptische Bevölkerung fühlte sich damals von der Sperre erst recht provoziert, international kam die Blockade dieses wichtigen Meinungsinstruments einer Selbstächtung gleich. Am Ende dürfte der Schritt sogar zum Fall Mubaraks beigetragen haben.

Einen ähnlichen Effekt will Gaddafi offenbar vermeiden, zumal Internetanschlüsse in Libyen noch wenig verbreitet sind: Dem Statistikdienst Internet World Stats zufolge waren im Juni 2010 nur 353.900 Libyer an das Netz angedockt, anderen Schätzungen zufolge, die Nutzungen von Internetcafés hochrechnen, gehen bis zu 800.000 Menschen regelmäßig online. Das wären noch nicht einmal 15 Prozent der Bevölkerung.

Satellitensender gestört

Die Störung des Empfangs von Satellitensendern und des Handy-Netzes dürfte die Mehrheit der Menschen weit stärker treffen.

Bei den meisten Anschlüssen handelt es sich nicht um Breitband-Verbindungen; die Einwahl erfolgt per Telefon-Modem. Allein dies erschwert das Hochladen von größeren Bilddateien oder Videos ins Web. Dennoch finden sich auf YouTube Videos, die Proteste oder tote Demonstranten zeigen, allerdings mit größerer Zeitverzögerung als bei den Protesten in Ägypten.

Ähnlich wie im Fall Ägyptens gibt es auch internationale Versuche, den Zugang zum Netz zu erleichtern. Der niederländische Internet-Provider XS4all verbreitet eine Einwahlnummer, unter der sich Libyer kostenlos per Modem mit dem Internet verbinden können, auch die Internetaktivisten von We Rebuild stellen inzwischen einen deutschen Zugang zur Verfügung. Andere Dienste ermöglichen es, Audiobotschaften per Telefon aufzunehmen und automatisch im Web zu veröffentlichen.

Ebenso versuchen viele Exil-Libyer, den Nachrichtenstrom aus dem Land aufrechtzuerhalten. Eine Organisation mit Namen Libyan Youth Movement zeigt auf ihrer Seite nicht nur aktuelle Bilder aus Tripolis, sondern verbreitet auch Nachrichten und Augenzeugenberichte über Twitter.

Obwohl die Verantwortlichen des Libyan Youth Movement offenbar mit Quellen vor Ort in Verbindung stehen, können auch sie häufig nur Gerüchte weitergeben. Das Wort "unconfirmed", also "nicht bestätigt", fällt bei Twitter im Zusammenhang mit der Situation in Libyen derzeit am häufigsten.

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