Enthüllungsplattform:Wikileaks fälscht Kolumne der "New York Times"

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Falscher Text, falsche Seite, falsche Twitter-Botschaften: Mit einem gefälschten "New York Times"-Kommentar will Wikileaks auf die Finanzblockade gegen die Enthüllungsplattform aufmerksam machen. Der vermeintliche Autor ist verärgert.

Wer ist der echte Bill Keller? Für einige Stunden herrschte am Wochenende über diese Frage große Verwirrung. Auslöser war eine vermeintliche Kolumne des ehemaligen Chefredakteurs der New York Times, der derzeit als Edelfeder des Blattes tätig ist.

Eingang des New-York-Times-Gebäudes in New York: gefälschte Kolumne auf gefälschter Seite. (Foto: AFP)

Der Text, der über soziale Medien seine Runde machte, beschäftigte sich mit Wikileaks. Unter Kellers Ägide hatte die Zeitung zunächst mit Wikileaks bei der Veröffentlichung geheimer Materialen zusammengearbeitet, inzwischen gilt das Verhältnis als zerrüttet.

Im unter opinion-nytimes.com veröffentlichten Artikel ist davon auch die Rede, vor allem aber kritisiert der Autor den Online-Finanzdienst Paypal dafür, keine Zahlungen an Wikileaks entgegenzunehmen. Zudem schreibt er von Gerüchten über eine mögliche finanzielle Blockade gegen die New York Times durch Kreditkartenfirmen wie Visa, Mastercard und American Express und "Hinterzimmer-Druck" durch das US-Außenministerium.

Der Kommentar fand ebenso seine Verbreitung im Netz wie eine Antwort im Paypal-Blog, in dem das Unternehmen die Kritik von sich wies. Doch bei beiden Texten handelt es sich um Fälschungen, wie einige Nutzer bald herausfanden. So sehen die beiden Seiten, auf denen sie erschienen, zwar täuschend echt aus; allerdings sind die Domains ("opinion-nytimes.com" und "paypalblog.co") nicht die offiziellen Adressen der entsprechenden Seiten.

Wikileaks gibt Fälschung zu

Auch Bill Keller wies am Sonntagmorgen via Twitter darauf hin, dass ein falscher Text unter seinem Namen im Umlauf sei. Allerdings hatte er zuvor selbst per Retweet auf den Artikel aufmerksam gemacht. Ob aus Unwissenheit oder weil sein Konto gehackt wurde, wie der Guardian spekuliert, ist unklar.

Selbst Nick Bilton, Technologie-Korrespondent der New York Times und sicherlich nicht fremd in der digitalen Welt, hatte das Stück weiterverbreitet. Zur Verwirrung trug weiterhin bei, dass ein falscher Bill Keller (@nytkeIler mit großem "I" und kleinem "L") bei Twitter dem Text sein Echtheitssiegel gegeben hatte.

Inzwischen hat Wikileaks zugegeben, selbst für die Fälschung verantwortlich zu sein. Man habe damit darauf hinweisen wollen, dass amerikanische Finanzinstitutionen weiterhin kein Geld an die Organisation weiterleiteten - und die New York Times dies in ihrer Berichterstattung verschweige.

Die Finanzdienste geben nach eigenen Angaben kein Geld an die Organisation weiter, weil dies für illegale Aktivitäten genutzt würde. In den USA steht der mutmaßliche Whistleblower Bradley Manning vor einem Militärgericht; er soll Wikileaks mit dem Material aus den Militärcomputern versorgt haben, dessen Publikation die Plattform später weltweit bekannt machte.

Der echte Bill Keller sprach im Guardian von einem "kindischen Streich". "Eine lahme Satire", wird er dort zitiert, "ich könnte sie ernster nehmen, wenn sie wenigstens lustig wäre." Via Twitter stimmte er dann auch noch Reuters-Kolumnist Anthony De Rosa zu, der schrieb: "Wenn Wikileaks zugibt, Scherzmeldungen zu produzieren, ist ihre Glaubwürdigkeit getroffen. Wie können wir ihren Dokumenten trauen?"

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