Doku "Pornocracy":Auf der Suche nach der großen Porno-Verschwörung

Doku "Pornocracy": Filmemacherin Ovidie (rechts) unterhält sich in Pornocracy mit einer Darstellerin.

Filmemacherin Ovidie (rechts) unterhält sich in Pornocracy mit einer Darstellerin.

(Foto: Magneto Presse)

Seiten wie Youporn haben die Porno-Branche revolutioniert. Laut der Doku "Pornocracy" leiden darunter vor allem die Darstellerinnen. Der Film spürt auch dem Aachener Programmierer nach, der hinter all dem stecken soll.

Von Jannis Brühl, Austin

In einer WG in Budapest wohnen junge Russinnen, die morgens nur Wasser und Süßigkeiten zu sich nehmen. Weil das praktischer sei, wenn man den ganzen Tag Analsex hat. Nach dem Arbeitstag beraten sie einander, wie die Schnitte an den Lippen am besten zu desinfizieren sind. Die Männer, mit denen sie vor der Kamera Sex hatten, haben sie ihnen zugefügt.

Die Darstellerinnen sind die Leidtragenden des neuen Pornogeschäfts, so zeigt es die Dokumentation Pornocracy. Es ist ein Geschäft, in dem Studios, Stars und Agenturen nichts mehr zu melden haben. Stattdessen herrscht "Uber-Sex", wie es die Stimme aus dem Off mit dem französischen Akzent im Film nennt: Das Geschäftsmodell des digitalen Plattformkapitalismus hat sich auch in dieser Branche durchgesetzt. Das habe den Job der Darstellerinnen noch härter gemacht, argumentiert der Film. Die so genannten Tube-Seiten, auf denen Abermillionen Clips umsonst zu sehen sind, lösten einen Preisverfall aus, Frauen müssten für immer weniger Geld immer brutalere Dinge vor den Kameras tun.

Die Stimme aus dem Off gehört Ovidie, die ihren bürgerlichen Namen geheim hält. Die Französin spielte um die Jahrtausendwende selbst in Pornos mit. Danach wurde sie zur Porno-Philosophin: Sie verhandelt die gesellschaftlichen Auswirkungen des Geschäfts öffentlich. In Pornocracy nimmt sie sich die Disruption vor, die alles verändert hat, seit zeitgleich mit Youtube die ersten Porno-Tube-Seiten auftauchten.

In Budapest, Bukarest, Montreal und Luxemburg spürt sie dem Unternehmen nach, das als Manwin bekannt wurde. Es kontrolliert einen großen Teil der beliebtesten Tube-Seiten, auf denen Pornos von Dritten übertragen werden, darunter Pornhub, Youporn, Redtube, Mydirtyhobby. Sie gehören zu den beliebtesten Webseiten der Welt.

Willkommen in der "Graswurzel-Do-it-yourself-Porno-Demokratie"´

Jeder kann Filme auf die Tube-Seiten hochladen. Wer sie ansurft, bekommt den Großteil umsonst zu sehen. Was das Magazin New York freundlich eine "Graswurzel-Do-it-yourself-Porno-Demokratie" genannt hat, porträtiert der Film als neue Qualität der Ausbeutung: Die Plattform-Webseiten im Zentrum monopolisierten das Geschäft. Sie leben von Frauen und Männern, die sich vor der Kamera ausziehen, und die von den Plattformen abgespeist werden. Ein Ehepaar mittleren Alters aus Münster - er filmt, sie zieht blank, die Online-Zuschauer zahlen per Klick - erzählt Ovidie, dass sie 78 Prozent an die Plattform abführen müssten. Er sagt: "Im nächsten Leben werde ich eine gute Webseite besitzen."

Ovidie sucht auch nach Fabian Thylmann aus Aachen, jenem Phantom, das das Manwin-Imperium aufgebaut hat. Weit besser als erfahrene Sex-Unternehmer hatte der Programmierer verstanden, wie sich mit Pornos im Internet Geld verdienen ließ. Der Außenseiter sprengte das alte System. Binnen weniger Jahre kaufte der heute 38-Jährige mehrere der größten Tube-Seiten auf. Wer Pornos drehte, kam nicht mehr an ihm vorbei. Mit Ovidie sprechen will Thylmann aber nicht. Dafür spricht sie mit denjenigen, die sich als Opfer seines Erfolges sehen.

"Es war eine kapitalistische Maschine"

Thylmanns Aufstieg gilt als Paradebeispiel für die Erschütterung einer ganzen Branche, Ovidie stützt sich auch auf Recherchen der Welt, die Thylmann bekannt machten. Der Film erzählt die Geschichte noch einmal aus der Perspektive der untergegangenen Porno-Welt. Alternde Regisseure und Produzenten schimpfen über die "Semi-Mafiosi" hinter den großen Webseiten: 70 Prozent ihrer Umsätze seien weggebrochen, Darsteller verdienten nur noch ein Zehntel. Die Geeks hätten sich verschworen, um ein funktionierendes Geschäftsmodell zu vernichten, so deutet es die Doku an.

Copyright ist das Hauptthema der alten Produzenten, weil viele urheberrechtlich geschützte Filme auf den Tube-Seiten auftauchen. Die Lobby der Branche war nie so stark wie die von Musikindustrie und Hollywood. Und Solidarität wie andere Branchen, die von der Digitalisierung erschüttert werden, kann sie ohnehin nicht erwarten. "Die Menschen demonstrieren für die Rechte von Journalisten, aber sicher nicht für die von Porno-Darstellerinnen, die als Opfer gelten, und von Produzenten, die als Zuhälter gelten", sagt Ovidie im Gespräch auf dem SXSW-Festival in Austin.

Manwin griff in andere Bereiche des Porno-Geschäfts aus, kaufte große Produktionsfirmen auf. Darstellerin Stoya, die für eine von ihnen drehte, erzählt von 20-Stunden-Schichten und häufigen Kündigungsrunden: "Es war eine kapitalistische Maschine." Als multinationaler Konzern verfügte Manwin über ein Netz von Unterfirmen in Steueroasen, von Zypern über Luxemburg bis Irland.

"Es gibt keine 'gute alte Zeit' im Porno-Geschäft"

Dass Pornografie schon vor den Zeiten des Streamings oft auf Ausbeutung beruhte, spielt im Film keine Rolle. Heute kassieren keine Machos in Goldketten, sondern IT-Fachleute wie Thylmann. Was auch immer es früher brauchte, um mit Pornos erfolgreich zu sein: Heute sind andere Fähigkeiten gefragt. Die Unternehmer aus Thylmanns Generation sind Meister der Suchmaschinenoptimierung und der Vermarktung über Links. Sie wissen, wie man gigantische Zugriffszahlen generiert, die Inhalte liefern andere.

Deutlich wird das bei Ovidies Besuch in einem Großraumbüro in Luxemburg, bei einer der großen Plattformen für Sex-Webcams. Die Hälfte der Mitarbeiter sind Programmierer, der Chef sagt: "Wir sind eine IT-Firma." Die Frauen, die sich in Asien, Europa oder Südamerika vor den Kameras ausziehen, habe er nie getroffen. Mehr als eine Million von ihnen seien auf seiner Seite registriert.

Ovidie steht unter dem Verdacht, die Vergangenheit zu verklären. Sie fährt zu tragischer Musik durch Budapest, ihre Stimme spricht: "Jeder, den ich kenne, ist verschwunden." Im Gespräch wehrt sie sich gegen den Vorwurf: "Es gibt keine 'gute alte Zeit' im Porno-Geschäft. Das ist ein Mythos!"

In ihrer neuen Form ist die Branche kaum zu regulieren

Auch wenn die Hintermänner nun Geeks sind statt Milieugestalten: Das Tube-Geschäft habe zu mehr Brutalität geführt, so Ovidies These. Wenn alles nach kürzester Zeit umsonst zu haben sei, müssten die Filme immer extremer werden. Die Doku deutet explizite Bilder immer nur an oder verfremdet sie, aber die Protagonisten sprechen eine deutliche Sprache. Ein Regisseur, der sich das Beherrschen von Digitalkamera und Schnittprogramm selbst beigebracht hat, erzählt: Darstellerinnen würden mit Betäubungsmittel vollgepumpt, um den brutalen Analsex ertragen zu können. Vom Schutz jugendlicher Zuschauer bis zu dem der Darstellerinnen: Die dezentrale Branche, in der jeder auf eigene Faust und nur indirekt für die Plattformen arbeitet, lässt sich kaum regulieren.

Thylmann wurde Ende 2016 wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Er ist nicht mehr Teil von Manwin. Andere Manager haben übernommen und das Unternehmen in Mindgeek umgetauft. Am Ende von Pornocracy bleibt offen, ob der vermeintliche Mastermind nicht doch nur ein Strohmann für andere, unbekannte Akteure war. Das Geschäft der Tube-Seiten läuft auch ohne ihn erfolgreich weiter.

"Pornocracy" wird auf dem Münchner DOK.Fest zu sehen sein, am Dienstag, 9. Mai, um 22 Uhr, und am Samstag, 12. Mai, um 22.30 Uhr, jeweils im Atelier Kino.

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