CCC-Kongress und der Snowden-Skandal:"In der Realität ist alles noch viel schlimmer"

30. Chaos Communication Congress

Mehr als blinkende Lichter: Installation auf dem Kongress des Chaos Computer Club in Hamburg

(Foto: dpa)

Deutschlands Hacker treffen sich - und die Gesellschaft hört ihnen zu. Der CCC-Jahreskongress steht im Bann des Snowden-Skandals: Die Nerds werden sich ihrer neuen sozialen Rolle endgültig bewusst.

Von Hakan Tanriverdi, Hamburg

Ein Blick auf Barack Obama reicht, um zu wissen, was die kommenden vier Tage in Hamburg passieren wird. Das Konterfei des US-Präsidenten blickt vom Schild eines Parkleitsystems. Das Schild ist groß wie ein Schaufenster - und informiert seiner ursprünglichen Bestimmung nach eigentlich über freie Parkplätze. Die Autobahnmeisterei München hat es dem städtischen Chaos Computer Club geschenkt, doch die Hacker haben es aus aktuellem Anlass zweckentfremdet.

Statt Parkmöglichkeiten gibt es nun Obama zu sehen, direkt neben ihm der Satz: "Deal with it." - "Findet euch damit ab." Damit, überwacht zu werden, ist zu ergänzen.

In Hamburg hat der Chaos Computer Club (CCC) zum Jahreskongress geladen, dem 30C3 - es ist mittlerweile Treffen Nummer 30. Knapp 150 Referenten halten Vorträge, über das Hacken von Parkleitsystemen, über Datenschutz, vor allem aber über die Schlagzeilen des vergangenen halben Jahres, also die Überwachung durch NSA, GCHQ und wie sich all die Geheimdienste abkürzen.

Die erste Reaktion vieler Hacker im Juni, als eine Enthüllung Edward Snowdens die andere jagte, lässt sich mit dem Satz zusammenfassen: "Wir haben es immer gewusst - und auch gesagt." Sechs Monate später sind sie einen Schritt weiter. Bisher haben die Organisatoren vom CCC jedem Jahreskongress ein Motto gegeben und der Veranstaltung damit eine klare Botschaft. 2012 war es "Not my department", was darauf hinwies, dass sich Hacker nicht nur um technische Möglichkeiten kümmern sollen, sondern dass sie für deren Folgen mitverantwortlich sind. 2013 gibt es nun kein Motto mehr. Den Grund nennt Tim Pritlove, einst Mitorganisator des Kongresses und einer der bekanntesten deutschen Podcaster, in seiner Eröffnungsrede. Er steht auf der Bühne und sagt: "Wir sind sprachlos. Wir sind aufgewacht aus einem Albtraum und haben uns in einer Realität wiedergefunden, in der alles noch viel schlimmer ist."

Pritloves Rede macht drei Dinge klar. Erstens will sich die Szene keineswegs mit dem Skandal abfinden. Was das Obama-Schild fordert, wird hier beim CCC-Kongress nicht passieren.

Zweitens wird schon bei ebenjener Eröffnungsrede klar, wie beachtet der Kongress inzwischen ist. Die Organisatoren erwarten rund 8000 Menschen, etwa 2000 mehr als im vergangenen Jahr, und schon da war man des Platzes wegen von Berlin nach Hamburg gezogen, um mehr Vorträge, mehr Workshops, mehr von allem haben zu können. Viele Neue kommen inzwischen, und der CCC will ihnen entgegenkommen, sagt ein Sprecher. Workshops sollen sie zum Mitmachen ermuntern, wobei es manchen Teilnehmern schon im vergangenen Jahr zu wenige Vorträge zur eigentlichen Technik gab.

Was, drittens, zum zentralen Punkt führt, der bei Pritlove anklingt: Auch in diesem Jahr wird sich der Kongress vor allem um die politische Dimension der technischen Möglichkeiten drehen.

Dass die Versammlung in diesem Jahr kein Motto braucht, ist eine Ansage. Die Überwachungsdebatte führt der CCC in anderer Form seit drei Jahrzehnten; ein Sprecher sagt: "Die Technik wirkt auf uns zurück, für uns war dieser Fakt schon immer zentral." Jetzt aber ist die Diskussion in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Pritlove: "Wir sind einen weiten Weg gekommen. Wir waren eine kleine Gruppe von Nerds, deren Ratschläge ignoriert wurden. Mittlerweile sind wir eine große Bewegung - deren Tipps noch immer ignoriert werden."

Längst als Experten geschätzt

Die Ironie dieses Satzes ist gespielt, zumindest teilweise. Längst werden Hacker als Experten vor Kommissionen eingeladen, um über Technik zu referieren. Und die 30C3-Hauptrede wird von Glenn Greenwald gehalten, jenem Journalisten, der im Guardian Snowdens Material als erster veröffentlicht hat. Dass er hier wie selbstverständlich spricht, zeigt, wie sich der soziale Stellenwert jener kleinen Gruppe von Nerds geändert hat.

Pritloves Rede gipfelt in der diskordianischen Botschaft: "Ihr seid alle Päpste!" Soll heißen: Ihr sollt predigen! Mehr gesellschaftlich-politisches Engagement der Experten soll das beste Mittel gegen die Überwachung sein. Vier Tage wird der CCC jetzt darüber debattieren, wie das gelingen kann.

Dass die Diskussion darüber allerdings noch nötig, da ungeübt ist: Auch das macht Pritlove in seiner Rede klar. Er zieht einen Vergleich, der mindestens unpassend ist. Er vergleicht die Überwachungstechnik der NSA und anderer Organisationen mit "Agent Orange" - jenem chemischen Gift, das die US-Luftwaffe im Vietnamkrieg einsetzte. Es war ein Kampfmittel, das nicht nur Wälder entlaubte, sondern Menschen verstümmelte und tötete.

Pritloves Vergleich war auf gewisse Weise verharmlosend, auf andere Weise daneben - was zeigt, wie wichtig es ist, die Botschaften zum Überwachungsskandal klar und präzise zu formulieren.

Die bloßen Fakten sind ja erschütternd genug.

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