Video-Streaming von Amazon:Daumenkino aus dem Internet

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Und im Hintergrund spielt leise eine Cool-Jazz-Platte: Der Ermittler Bosch aus der gleichnamigen Serie in seinem Haus in Los Angeles. (Foto: Aaron Epstein/Amazon Prime)

Ein kleiner Stick von Amazon erlaubt Zugriff auf Mediatheken und Filmkataloge. Aber die neue Streaming-Welt sorgt bei schwachen Leitungen auch für digitale Lieferengpässe. Ausgerechnet zur Prime Time.

Von Helmut Martin-Jung, München

Das neue Fernsehen ist etwa so groß wie ein Daumen. Es wird in eine Buchse am Fernseher gesteckt, dann mit dem häuslichen Drahtlos-Netzwerk verbunden. Und schon ist es vorbei mit dem "Was-läuft-denn-heute-so". Es läuft das, was man gerade sehen will, naja, meistens. So ganz ohne Beschränkung ist sie noch nicht, die schöne neue Fernsehwelt des Sehens auf Abruf, aber doch auf dem Weg dahin.

Von diesem Dienstag an kann man bei Amazon den daumengroßen Fire-TV-Stick bestellen. Das Gerät, das es für 39 Euro gibt, verwandelt jeden Fernseher mit HDMI-Anschluss in das, was die Hersteller als Smart TV vermarkten. Auf den Fernsehbildschirm lassen sich damit Apps laden, kleine Programme. Damit kann man dann zum Beispiel die Mediatheken der Sender bequemer als bisher durchsuchen und etwa den aktuellen "Tatort" eine Woche lang schauen. Egal, ob es Sonntag, 22.15 Uhr, ist oder Mittwoch, 21.23 Uhr.

Aber Amazon ist nicht nur ein Gerätehersteller. Auch wenn sich die Fire TV-Box, die es seit vergangenem Herbst gibt, gut verkauft und nun auch der Stick ein Renner werden dürfte: Amazon ist auch ein Inhalte-Anbieter. Wer den Dienst Amazon Prime abonniert, erhält nicht bloß Bestellungen bei dem Online-Händler schneller und auch bei kleinen Bestellungen kostenlos geliefert. Er bekommt auch Zugriff auf den Katalog mit Filmen und Serien, der zurzeit etwa 13 000 Filme und Episoden umfasst.

Auch Woody Allen will für eine Amazon-Serie schreiben

"Wir werden ständig und kräftig investieren, um noch mehr Inhalte anbieten zu können", sagt Jay Marine, Leiter des Video-Geschäftes von Amazon in Europa. Und Amazon ist auch direkt ins Filmbusiness eingestiegen, produziert eigene Serien wie etwa die Krimiserie "Bosch". "Das Besondere ist unser Pilotprozess", sagt Marine. "Die Kunden entscheiden, wir werten ihr Feedback genau aus." Das mache die Serien besser, ist er sich sicher und behauptet: "Auch die Produzenten lieben es."

Haftete den Schauspielern und Produzenten von Serien früher oft der Ruch der Zweitklassigkeit an, hat sich das Bild inzwischen gewandelt. Mit Serien wie "Breaking Bad" über einen krebskranken Chemie-Lehrer, der aus der Not zum Rauschgift-Hersteller und Dealer wird, hat sich das Genre emanzipiert und zieht auch die erste Riege Hollywoods an. So wird etwa Altmeister Woody Allen das Drehbuch für eine Amazon-Serie schreiben.

Nicht nur Amazon wittert beim Fernsehen auf Abruf ein gutes Geschäft. "Es ist noch sehr früh, aber das Interesse, das wir spüren, ist riesig", sagt Jorrit van Meulen, oberster Geräte-Stratege bei Amazon Europa. Von Google gibt es einen ähnlichen Fernseh-Stick. Und auch Anbieter wie Kabel Deutschland, das vom Mobilfunk-Unternehmen Vodafone aufgekauft wurde, bringt längst nicht mehr nur normales Fernsehen in die Haushalte. Man kann sich dort gegen Gebühr auch den Zugriff auf Filme und Serien freischalten lassen.

Technisch interessant dabei: Die Videos werden zwar über eine normale Internet-Verbindung angefordert. Ausgeliefert werden sie aber über das Kabelnetzwerk und dessen Koaxialkabel. Dort arbeitet man mit einem anderen Übertragungsstandard (Docsis).

Das ist deshalb wichtig, weil es bei der Übertragung über das Internet und dessen Übertragungsstandard (TCP/IP) schon mal zu Rucklern und Aussetzern kommen kann - sehr gerne zur Prime Time, dann also, wenn viele Menschen Fernsehen gucken. Die Gründe dafür können sehr vielfältig sein - sie reichen vom zu schmalbrüstigen eigenen Anschluss über Engpässe bei den Leitungen der Anbieter und deren Vermittlungsstellen bis hin zu Problemen bei der Auslieferung in den Rechenzentren der Anbieter.

Vor allem, wer in einer Gegend wohnt, in der es keine schnellen Internet-Zugänge gibt, hat mit den Datenströmen aus dem Netz - man spricht deshalb von Streaming - wenig Freude. Mindestens sechs Megabit pro Sekunde sollte die Leitung schon liefern.

Neue Blockbuster kosten extra

Möchte man Filme in hoher Auflösung schauen und vielleicht nebenbei auch noch im Internet surfen, sollte man besser eine Leitung mit mehr Megabit buchen. Die Anbieter versuchen, das ihre dafür zu tun, damit die Leitungen möglichst wenig strapaziert und die Kunden nicht frustriert werden: "Wir liefern sehr kompakte Dateien", sagt Jay Marine von Amazon, "außerdem kann man bei uns Videos auch temporär herunterladen".

Noch halten die etablierten Film-Studios fast immer an der Praxis fest, neue Filme erst in den Kinos zu zeigen, bevor sie auf Abruf oder auf DVD verfügbar sind. Da hilft dann auch der beste Streaming-Dienst nur dann weiter, wenn man noch einmal eine Schippe drauflegt. Für den neuen Blockbuster wird dann eine Extra-Gebühr fällig.

© SZ vom 24.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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