Universitäten in den USA:Mit der Pistole im Hörsaal

Waffengesetze USA

Viele Texaner pflegen ein inniges Verhältnis zu ihrer Schusswaffe - bald auch auf dem Campus.

(Foto: AP)
  • Immer mehr US-Bundesstaaten wollen Waffen an den Universitäten erlauben.
  • Befürworter argumentieren mit der Verfassung und der persönlichen Sicherheit.
  • Dozenten und Studenten sind verunsichert: Ist die argumentative Freiheit gefährdet, wenn Diskutanten fürchten müssen, nicht mehr gefahrlos ihre Meinung sagen zu können?

Von Johannes Kuhn, New Orleans

Am 1. August 1966 stieg Charles Whitman auf den Glockenturm der Universität von Texas in Austin. Dort öffnete der 25-jährige Student und Ex-Marine seinen Waffenkoffer und begann, auf die Menschen unter ihm zu schießen. In den folgenden 96 Minuten tötete er elf Menschen - darunter ein ungeborenes Baby; eine junge Frau erlag eine Woche später ihren Verletzungen - und verletzte 32 weitere teilweise schwer, bis Polizisten ihn schließlich erschossen. Bereits zuvor hatte er in der Nacht seine Mutter und seine Frau erstochen und im Turm selbst drei weitere Personen ermordet. Ein Opfer erlag erst 2001 seiner von Whitman zugefügten Schussverletzung.

Diesen Sommer jährt sich der Amoklauf, der erste auf einem amerikanischen Campus, zum fünfzigsten Mal. Und genau am 1. August tritt ein neues Gesetz in Kraft, das es Studenten an texanischen Universitäten - darunter Austin - erlaubt, Schusswaffen mit sich zu führen. Im vergangenen Jahr verabschiedete die konservative Mehrheit in Texas das Gesetz, das an der Spitze landesweiter Versuche steht, das Prinzip des "Concealed Carry" auch auf staatliche Universitäten auszudehnen.

"Concealed Carry" an der Uni

US-Bürger dürfen in allen Bundesstaaten Waffen verdeckt bei sich tragen, allerdings häufig unter bestimmten Voraussetzungen (von Vorstrafenfreiheit über Mindestalter 21 bis zur Absolvierung eines Tests) und nicht überall (zum Beispiel nicht in Behördengebäuden). Die Regelungen für Universitäten sind ebenfalls unterschiedlich:

  • 18 Bundesstaaten haben Waffen auf dem Campus explizit verboten, zuletzt verabschiedete vergangenes Jahr Kalifornien ein entsprechendes Gesetz.
  • An den Universitäten in Colorado, Idaho, Kansas, Mississippi, Oregon, Utah und Wisconsin ist "Concealed Carry" bereits erlaubt.
  • 23 weitere Bundesstaaten überlassen die Entscheidung den Bildungseinrichtungen, doch dieses "Die Uni kann das zulassen" soll nun in konservativen Bundesstaaten zu einem "Die Uni muss das zulassen" werden.
  • Texas hat 2015 ein entsprechendes Gesetz verabschiedet, in Georgia liegt ein Gesetz beim Gouverneur und in acht weiteren Staaten wird gerade darüber beraten (Alaska, Arizona, Florida, Kentucky, Michigan, Missouri, Ohio und Tennessee).

Unter Dozenten und Studenten an texanischen Universitäten wird das neue Gesetz schon seit Monaten emotional diskutiert. Zwei Dozenten haben die Uni in Austin in diesem Zusammenhang verlassen. Daniel Hamermesh, ein Wirtschaftswissenschaftler, begründete seinen Abschied so: "Ein unzufriedener Student mit einer Pistole könnte überschnappen, die Waffe ziehen und den Dozenten erschießen. Mit 500 Studenten in meinen Vorlesungen ist das nicht unmöglich." Er lehrt inzwischen in London. Der Dekan der Fakultät für Architektur arbeitet nun in einem anderen Bundesstaat.

Studenten können klagen - gegen Waffenverbot des Dozenten

In Houston machte die Präsentation des gemeinsamen Fakultätssenats Schlagzeilen. Zu den aufgeführten Ratschlägen angesichts der neuen Sicherheitslage gehört die Streichung sensibler Themen aus dem Lehrplan und die Einschränkung von Gesprächsterminen mit Studenten, wenn diese Schusswaffen ins Professorenbüro mitbringen dürfen.

Meinungsfreiheit trifft auf Waffenfreiheit

Houston wird erst im Mai über genaue Regeln entscheiden, in den vergangenen Monaten wurden in verschiedenen Diskussionsveranstaltungen auch die Studenten gehört. Austin, die größte Universität in Texas, wird in Wohnheimen, Sportveranstaltungen und chemischen Laboren Waffen verbieten.

Professoren können ein Waffenverbot für ihre Sprechstunden verfügen, nicht aber für Vorlesungen. Hier drohen ihnen per Gesetz sogar Klagen, wenn sie Studenten Schusswaffen verbieten. Der Physiker Steven Weinberg, einziger Nobelpreisträger der Universität, hat bereits angekündigt, das Recht der Studenten auf "Concealed Carry" zu ignorieren und es auf Klagen ankommen zu lassen.

Anhänger der neuen Regelung und die mächtige Waffenlobby NRA verweisen darauf, dass sich zum Beispiel Studentinnen auf dem Universitätsgelände schützen müssten. Die Zahl der Campus-Schießereien sei in Bundesstaaten wie Utah oder Colorado nicht höher als anderswo.

Kritiker halten dagegen, dass seit der Einführung der Waffen-Erlaubnis auch kein Rückgang der Kriminalität an den dortigen Universitäten zu verzeichnen ist. Unter Strafverfolgern ist das Gesetz umstritten: Einige Ermittler argumentieren für eine Bevölkerung, die im Zweifelsfall selbst eingreifen kann; andere warnen vor den Gefahren, wenn bei einem Amoklauf-Einsatz plötzlich nicht mehr erkennbar ist, wer der Täter ist.

Doch es geht noch um etwas anderes als um rauchende Colts: Vor allem Dozenten und Studenten fürchten, dass schon die Gegenwart einer Waffe das Klima in einem Hörsaal verändern kann und die argumentative Freiheit einschränkt.

"Das Tragen von Waffen am Campus bedroht das Klassenzimmer als Ort für Diskurs und Ort des Lernens - selbst wenn nie ein Waffenträger abdrücken sollte", argumentiert die Philosophie-Dozentin Simone Gubler in der New York Times. Wäre es künftig noch möglich, moralisch strittige Themen wie Abtreibung oder das Waffenrecht offen zu diskutieren, wenn jemand eine andere Meinung hat und eine Pistole unter dem Pullover trägt? Meinungsfreiheit und das Recht auf Waffenbesitz prallen aufeinander.

In Georgia liegt das Gesetz beim Gouverneur

Während die Regeln in Texas sicher in Kraft treten werden, muss in Georgia gerade der Gouverneur über die Unterzeichnung eines ähnlichen Gesetzes entscheiden. In - allerdings nicht repräsentativen - Umfragen an zwei Unis des Bundesstaates lehnten jeweils mehr als 60 Prozent der Studenten Waffen auf dem Campus ab. 2014 waren vier von fünf Einwohner des Bundesstaats in einer Umfrage gegen die Erlaubnis.

800 Fakultätsmitarbeiter haben sich in einer Facebook-Gruppe gegen die Waffen-Verbreitung zusammengetan. Allerdings können nicht alle Dozenten und Studenten im Zweifelsfall die Konsequenz ziehen und Arbeits- oder Studienplatz aufgeben, um in einen anderen Bundesstaat zu wechseln.

Im Falle des ersten Uni-Amokläufers Charles Whitman zückten übrigens tatsächlich Passanten und Studenten ihre Waffe und schossen auf den Schützen auf dem Glockenturm. Niemand traf ihn. Schon damals war umstritten, ob die Amateurschützen weitere Tote verhinderten oder zur Unübersichtlichkeit der Lage beitrugen.

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