Studium:Welt verbessern oder Karrierechancen steigern?

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Studierende der Georg-August-Universität in Göttingen lauschen einer Vorlesung. (Foto: dpa)

Auch Wirtschaftsstudenten nehmen sich Zeit, um sich in Hochschulgruppen zu engagieren - aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Von Julian Rodemann

Designerlampen beleuchten den Büroraum im Münchner Stadtteil Schwabing. Elf junge Menschen sitzen um einen Tisch, die Mehrheit davon trägt Hemd, dazu eine schicke Uhr am Handgelenk. Edita Zeneli zupft ihre weiß-blaue Bluse zurecht, blickt in die Runde und räuspert sich: "Jetzt zum Thema Kassenprüfung: Habt ihr da Ergebnisse?" - "Wir haben alles besten Gewissens geprüft", antwortet Benedikt Bauer, der Finanzchef, "die Ergebnisse sind da." - "Gut", sagt Zeneli, "dann weiter, ich beantrage eine TOP-Änderung", also eine Änderung des nächsten Tagesordnungspunktes. Sie schreitet zum Flipchart und streicht "TOP 3: Messe" durch. "Haben wir ja schon gemacht" - zuvor hatte bereits jemand vom aktuellen Stand der Messe-Planungen berichtet. Alle nicken. Der Protokollant tippt eifrig mit.

Auch wenn es auf den ersten Blick so wirkt - Edita Zeneli ist keine Firmenchefin, Benedikt Bauer kein Finanzmanager, und das Büro in Schwabing gehört keinem Unternehmen. Bauer, 20 Jahre alt, studiert. Er kümmert sich in seiner Freizeit um die Finanzen bei bonding, einer Hochschulgruppe. "Bonding" heißt übersetzt verbinden oder Kontakte knüpfen - darum geht es den Studierenden: "Wir wollen Brücken schlagen zwischen Unternehmen und Studenten", sagt Lars Schmidt, der zusammen mit Edita Zeneli die Münchner Gruppe leitet. Wer als Student während des Studiums an seiner Karriere arbeiten will, der knüpft über bonding Kontakte in die Personalabteilungen von Audi, Bosch oder Henkel. "Ein klassisches Win-Win", sagt Lars Schmidt und grinst.

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Schmidt studiert wie viele bonding-Mitglieder ein wirtschaftswissenschaftliches Fach. Die Studenten in der Hochschulgruppe erfüllen so manche Klischees über Wirtschaftsstudenten, die als fleißig, adrett gekleidet und zielstrebig gelten. Tatsächlich schaffen laut Statistischem Bundesamt mehr Wirtschaftsstudenten ihren Abschluss in der Regelstudienzeit als der Durchschnitt aller Studierenden. Dennoch finden auch Wirtschaftsstudenten Zeit, um sich zu engagieren, an vielen Unis arbeiten sie in Hochschulgruppen mit, die sich mit Wirtschaftsthemen beschäftigen - wie etwa bonding. Was bringt sie dazu? Verbessern die zukünftigen Manager die Welt? Oder polieren sie nur ihren Lebenslauf auf?

"Sneep hat mein Studium gerettet"

Wer die Hochschulgruppe Sneep besucht, den erwartet statt eines Büros mit Designerlampen eine stinknormale Studenten-WG: Lemonaid-Glasflaschen, Körnerbrot und Humus stehen auf dem Holztisch, um den es sich die Sneep-Mitglieder bequem gemacht haben. Anna Teresa Frühholz hat in ihr WG-Zimmer eingeladen, acht Studentinnen sind gekommen. "Normalerweise kommen auch Jungs", sagt Frühholz, insgesamt gebe es aber mehr Frauen als Männer in der Münchner Sneep-Gruppe. Sneep steht für "Studentisches Netzwerk für Ethik in Ökonomie und Praxis". Mit Infoabenden, Diskussionsrunden und nachhaltigen Modeschauen wollen die Studierenden auf ethische Fragen in der Wirtschaftswelt aufmerksam machen.

"Sneep hat mein Studium gerettet", sagt Anna Teresa Frühholz. "Ich wollte BWL eigentlich abbrechen, weil da schon relativ viele eiskalte Egoisten rumlaufen." Wirtschaftsethik kommt in BWL an den meisten Hochschulen höchstens als Randaspekt vor, auch in München liegen die Schwerpunkte anderswo. Eine Professorin habe ihr schließlich Sneep empfohlen. Von den Veranstaltungen sei sie sofort angetan gewesen, etwa von "Sneep meets Entrepreneurs": Einmal im Semester laden die Münchner Studenten einen Unternehmensvertreter ein, um mit ihm zu diskutieren.

Kontroverse Diskussionen seien typisch für Sneep, sagen mehrere Mitglieder, auch untereinander. Obwohl alle Studierenden der Meinung sind, dass Unternehmen ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden sollten, gibt es häufig Streit um die konkrete Umsetzung. Das liegt auch an den verschiedenen fachlichen Perspektiven; Sneep ist offen für Studierende aller Fachrichtungen, die meisten studieren aber Wirtschaft. "Neulich war eine Juristin da, das war interessant, weil sie viel strukturierter als wir und vor allem mit Gesetzen argumentiert hat", erzählt die Münchner Studentin Katrin Jutz.

Bei bonding geht es pragmatischer zu. Während der Teamsitzung fragt Edita Zeneli mehrfach, ob es Fragen gebe. Meistens antwortet niemand, diskutiert wird selten. Wenn jemand doch mal länger spricht, verdreht der Protokollant die Augen. In einer Power-Point-Präsentation stellt ein Student die Termine im Sommersemester vor, auf jeder Folie prangen eine Menge klanghafter englischer Begriffe wie "Consulting Day" oder "Engineering Competition". "Viele von uns studieren TUM-BWL", sagt Vorstand Lars Schmidt, ein Studiengang an der TU München, der Betriebswirtschaftslehre mit technischen Inhalten verknüpft. Nicht erst seit die Kunstfigur TUM-BWL-Justus auf Facebook die vermeintlich elitären Studenten dieses Fachs karikiert, gilt TUM-BWL als klassischer Karrierestudiengang.

"Ich komme eher so aus der Marketing-Ecke", sagt Benedikt Bauer, "und wollte mich deshalb im Bereich Finanzen weiterentwickeln." Damit ist der 20-Jährige nicht allein, viele bonding-Mitglieder nutzen die Hochschulgruppe, um das theoretische Wissen aus der Uni in der Praxis anzuwenden. "Wir arbeiten in der Buchführung mit Datev", sagt Bauer stolz; Datev-Software kommt in vielen Unternehmen zum Einsatz. Edita Zeneli hat auch mal das Finanzressort geleitet, bevor sie Chefin wurde. "Ich studiere Volkswirtschaftslehre, da kommt Buchführung nur kurz vor", sagt Zeneli. Die 23-Jährige wollte mehr davon, durch bonding habe sie ihre "Skills deutlich verbessert".

"Skills" und die eigene Karriere stehen bei Sneep nicht im Vordergrund. Es gibt zwar eine Stellenbörse für Jobs bei Umweltstiftungen oder als "Nachhaltigkeitsmanager" in Konzernen. Matthias Möbius, ehemaliger Leiter der Münchner Gruppe, glaubt aber nicht, dass Studierende deshalb mitmachen. "Alle, die ich näher kenne, sind aus Überzeugung bei Sneep", sagt er.

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30 Sneep-Ortsgruppen gibt es in Deutschland, zweimal im Jahr findet ein deutschlandweites Treffen statt. "Wofür sich die Ortsgruppen einsetzen, ist sehr unterschiedlich", erklärt Möbius. In Oldenburg zum Beispiel kochen Sneep-Mitglieder regelmäßig mit Gemüse, das sonst weggeworfen worden wäre. Die Tübinger Gruppe stellte vor einigen Jahren eigene Ethik-Seminare für Wirtschaftsstudenten auf die Beine, um die Lücke im universitären Lehrplan zu schließen.

Sneep und bonding zeigen, dass sich Studierende nicht nur für unterschiedliche Ziele, sondern auch aus unterschiedlichen Gründen engagieren. Glaubt man der Psychologin Barbara Moschner von der Universität Oldenburg, ist der Lebenslauf den Studierenden heute wichtiger als noch vor zwanzig Jahren. "Viele fragen sich: Wo kann ich mich engagieren, damit ich dieses Stipendium oder jenen Job bekomme?" In einer Studie der Unternehmensberatung EY gaben 77 Prozent der Befragten an, für ihre Karriere sei gesellschaftliches Engagement wichtig.

Weltverbesserer trifft man bei bonding kaum an. Lars Schmidt sieht sich und seine Kommilitonen eher als "Personalvermittler". Wieso reizt es einen wie ihn, für andere Studenten Kontaktbörsen zu organisieren? "Ich wusste schon: Okay, wenn ich jetzt BWL studiere, muss ich...", der Student hält inne, "...möchte ich mich natürlich gern noch anderweitig engagieren". Was er meint: Es gibt jedes Jahr unzählige BWL-Absolventen - wer einen guten Job will, muss etwas Besonderes gemacht haben, um die Bewerbung für den ersten Job aufhübschen zu können.

Nachdem der letzte Tagesordnungspunkt abgehakt ist, räumen die bonding-Mitglieder die Polsterstühle zur Seite, dimmen das Licht im Schwabinger Büro, einer macht Musik an. "Wir lassen die Sitzungen gerne bei einem Bierchen ausklingen", sagt Edita Zeneli. Auch die Sneep-Mitglieder gehen gelegentlich zusammen etwas trinken. "Man findet bei Sneep Freunde fürs Leben", stellt Matthias Möbius fest. "Bei bonding habe ich tolle Leute kennengelernt", sagt Lars Schmidt. Darin sind sich die zwei Hochschulgruppen dann doch ähnlich.

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