Studium:"So einfach ist das nicht mit der Integration"

Studenten im Hörsaal

Studenten während einer Vorlesung an der Universität Köln.

(Foto: Oliver Berg/dpa)
  • Mehr als 358 000 internationale Studierende zählt das Statistische Bundesamt derzeit an deutschen Hochschulen.
  • Die meisten von ihnen stammen aus China, Indien und Russland.
  • Viele Ausländer brechen das Studium in Deutschland allerdings wieder ab - und zwar mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit als deutsche Studierende.

Von Susanne Klein

Der globale Trend zur akademischen Bildung lockt immer mehr junge Menschen in die Ferne - und zwar besonders häufig nach Deutschland. Nur die USA, Großbritannien, Australien und Frankreich sind für ein Auslandsstudium noch beliebter. Mehr als 358 000 Studierende aus aller Welt zählt das Statistische Bundesamt zurzeit, wie Bundesbildungsministerin Johanna Wanka am vergangenen Mittwoch mitteilte. Das sind 37 Prozent mehr als vor zehn Jahren und übertrifft schon jetzt das Ziel von 350 000 ausländischen Studenten, das sich Bund und Länder für 2020 gesteckt hatten.

Ein Grund zur Freude, findet Wanka, das deutsche Hochschulsystem sei "im besten Sinne weltoffen". Auch Ulrich Heublein, Projektleiter beim Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), erkennt eine "Erfolgsgeschichte" - obwohl er, streng genommen, die Zahl etwas stutzen muss: Nur etwa 250 000 Studierende kämen wirklich aus dem Ausland, die übrigen besäßen zwar einen ausländischen Pass, lebten aber schon länger in Deutschland und hätten hier auch ihre Hochschulreife erlangt. In der Regel seien das junge Türken, die mit 18 Jahren nicht die deutsche Staatsbürgerschaft, sondern die ihrer Eltern angenommen haben.

Die größten Gruppen ausländischer Studenten kommen aus China (13 Prozent), Indien (6 Prozent) und Russland (5 Prozent). "Im asiatischen Raum haben vor allem die Ingenieurwissenschaften und die deutschen Musikhochschulen einen exzellenten Ruf. Das sind die absoluten Renner", sagt Heublein. Mit 85 000 Einschreibungen stehen die Ingenieurswissenschaften insgesamt am höchsten im Kurs. Bei Russen, Polen und Bulgaren sind aber auch die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sehr beliebt.

Margret Wintermantel, Präsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), der Auslandsstudien mit Stipendien und zahlreichen Projekten fördert, betont den Nutzen eines Auslandsaufenthaltes für die Persönlichkeitsentwicklung. "Bei meinem letzten Besuch der Universität Shangdong wurde ich von Studentinnen sehr intensiv nach unserer Philosophie gefragt, nach unseren Vorstellungen von Identität und Subjektivität. Es geht eben nicht nur um Ingenieurwissen und Technologie." Wenn solche Studierende nach Deutschland kommen, dann prägt sie das ebenso wie einen deutschen Studenten, der nach Asien, Afrika oder Amerika geht. Sie lernen, neue Perspektiven einzunehmen, und kehren mit einem anderen Blick auf die Welt in ihre Heimat zurück - fast immer als Freunde Deutschlands, wovon wiederrum die wirtschaftliche Zusammenarbeit und der Wissenschaftsaustausch profitieren.

Deutsche Studierende zeigen wenig Mut zur Ferne

Auch deutschen Studenten empfiehlt Wintermantel die Begegnung mit anderen Studienkulturen. Fast 140 000 von ihnen waren 2015 an ausländischen Hochschulen immatrikuliert, um dort einen Abschluss zu erwerben. Ihre bevorzugten Länder: Österreich, die Niederlande, Großbritannien und die Schweiz. "In Großbritannien etwa studiert man in kleinen Gruppen und führt einen intensiven Diskurs, zumindest in Spitzenhochschulen wie Cambridge, Oxford oder dem Imperial College. Die Atmosphäre ist sehr persönlich", lobt Wintermantel. Am meisten zieht es angehende Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler von zuhause weg (jeweils 20 Prozent), am wenigsten Humanmediziner und Ingenieure (je 9 Prozent). Etwas mehr Mobilität wünscht sich die DAAD-Präsidentin auch von Lehramtsstudenten.

Aber auch der Mut zur fremden Ferne könnte bei deutschen Studierenden größer sein. Nur ein knappes Viertel aller langfristigen Auslandsstudenten - und kaum sechs Prozent der Studenten überhaupt - traut sich aus Westeuropa heraus, ins mittlere oder südliche Europa, nach China und Nordamerika. Andere Weltregionen fallen kaum ins Gewicht. Erst wenn man kürzere Studienaufenthalte von wenigen Wochen oder Monaten hinzunimmt, färben sich die weißen Flecken auf der Weltkarte, in Asien, Afrika und Südamerika. Insgesamt verbringen mehr als ein Drittel aller Studenten einen Teil ihres Studiums im Ausland. Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern und der DAAD hätten gern, dass bis 2020 jeder Zweite über den deutschen Tellerrand schaut, jeder Dritte mindestens drei Monate lang.

An die in vielen Ländern gängigen Studiengebühren haben sich deutsche Studenten längst gewöhnen müssen. Anders als umgekehrt: Für Ausländer ist Deutschland, von den Lebenshaltungskosten einmal abgesehen, ein günstiger Ort. Studiengebühren erheben die staatlichen Hochschulen hier momentan nicht. Doch das ändert sich gerade. Nordrhein-Westfalen trägt sich mit Gebührenplänen, in Baden Württemberg stehen sie schon fest. Vom Herbst an müssen neu hinzukommende Nicht-EU-Ausländer 1500 Euro pro Semester zahlen, die ersten Bescheide sind bereits abgeschickt. Studentenproteste dagegen gab es im Ländle schon im Herbst 2016, und am vergangenen Freitag haben Studierende der Universität Freiburg eine Klage beim Verwaltungsgericht ihrer Stadt eingereicht.

Die ungewohnte Studienkultur macht den Gaststudenten zu schaffen

Die Chance auf Erfolg sei gut, sagt Maleen Steding vom Vorstand der Studierendenvertretung: "Das Bundesverfassungsgericht hat in einigen Urteilen bezüglich der Nationalität einen hohen Rechtfertigungsdruck gesetzt. Nach dem Gleichheitsgebot im Grundgesetz darf hier keine Benachteiligung stattfinden." Das gängige Argument, zum Studieren in Deutschland würden sowieso nur Kinder aus wohlhabenden Familien kommen, lässt Steding nicht gelten. "Unser Eindruck ist anders. Auch in reichen Ländern gibt es arme Menschen. Hier in Freiburg studieren viele aus den USA, die uns erzählen, zuhause hätten sie sich fürs Studium so verschulden müssen, das sie das nicht zutrauen. Deswegen sind sie hier." Von Kommilitonen aus Indien und China hat Steding gehört, wenn Neustudenten jetzt 1500 Euro zahlen müssten, dann könnten ihre Geschwister und Freunde nicht nach Baden-Württemberg zum Studium gehen, sondern würden sich ein anderes Bundesland suchen müssen.

Von den Studiengebühren abgesehen, schätzt Maleen Steding die Integrationskultur an ihrer Uni positiv ein. Wer Lust habe, sich mit Freiburgern zu vernetzen, könne das auch tun. Zur Besetzung des Audimax beim Protest gegen die Gebühren seien auch einige Auslandsstudenten gekommen. Seit einem Studienaufenthalt in Madrid weiß Steding, dass es nicht einfach ist, sich als junger Mensch in einem anderen Land zurechtzufinden. Universitäre Willkommenszentren mit Service- und Beratungsangeboten seien da besonders wichtig, und "das Studierendenwerk hält in den Wohnheim-WGs immer ein, zwei Zimmer für internationale Studis vor".

Ulrich Heublein vom DZHW, das zusammen mit dem DAAD die Daten und Fakten zu internationalen Studierenden in der Veröffentlichung "Wissenschaft weltoffen 2017" zusammengetragen hat, sieht die Beliebtheit deutscher Hochschulen bei Ausländern als Chance, mit der man sorgsam umgehen muss. Durch die Gaststudenten könnten sich Hochschulen internationalisieren und auch jene deutschen Studenten, die mangels Geld oder Zeit nicht ins Ausland gehen können, anderen Mentalitäten, Lebensvorstellungen und Wissenschaftskulturen begegnen. Und sie könnten sich mit Menschen aus aller Welt vernetzen. "Das Modewort dafür heißt ,internationalisation at home'. Inwieweit das funktioniert, muss aber geprüft werden. Wir wissen, so einfach ist das nicht mit der Integration, also der Kooperation zwischen deutschen und ausländischen Studenten." Tatsächlich ziehen beide Seiten der gründlichen Erforschung des fremden Gegenübers manchmal die Geborgenheit in der eigenen Gruppe vor.

Vor allem aber macht die ungewohnte Studienkultur den Gaststudenten zu schaffen. "Viele kommen ohne klare Vorstellung vom hiesigen Studium her", sagt Heublein. Das setze nämlich oft ein Maß an Eigenorganisation und Selbsteinschätzung voraus, das die jungen Menschen nie gelernt hätten. Unter anderem deswegen würden so viele ihr Studium in Deutschland abbrechen. "In anderen Länder machen Hochschulen oft mehr Vorgaben und setzen auf enge Betreuung. Da sagt der Lehrende dem Lernenden, das und das müssen Sie machen, und dann macht der das." Das deutsche Studium bestehe dagegen häufig aus Angeboten. Ein Kann ersetzt das Muss, eine Auswahl den strikten Plan. Wer da ein eher passives Lernverhalten mitbringt, tut sich schwer, eine eigene Strategie zu finden.

Auch die Diskurskultur, die - besonders in den Geistes- und Sozialwissenschaften - viele Perspektiven bereithält und das kritische Denken betont, ist zum Beispiel für chinesische Studenten eine Herausforderung. "Und dann muss der Student auch noch seine Betreuung aktiv mitgestalten und sein Problem genau beschreiben können, denn die Zeit der Dozenten hier ist sehr knapp bemessen." Wer da nicht die richtigen Fragen stelle, hole aus der kostbaren Ressource nicht viel heraus.

29 Prozent aller deutschen Studenten, die in Deutschland einen Abschluss machen wollen, brechen ihr Studium ab. Bei den ausländischen Studenten sind es 41 Prozent. Eine sehr hohe Quote, sagt Heublein, der das Phänomen Studienabbruch schon lange erforscht. Auch Nahrungsmittelallergien, Krankheiten und Heimweh seien häufige Gründe. Und die sozialen Umstände. Wie gut sind ausländische Studenten in Lerngemeinschaften eingebunden, welche studentischen Hilfskraftjobs bekommen sie? Solche Fragen müssen Hochschulen stellen und gegebenenfalls gegenlenken.

Auf jeden Fall, so Heublein, sollten sie "moderierte Übergangsphasen" gestalten, mit festen Strukturen. Wenn sich Neuankömmlinge mit deutschen Kommilitonen in kleinen Mentorengruppen zusammentun könnten, die in den ersten beiden Semestern von einem Lehrenden betreut werden, dann würden sie leichter in die deutsche Studienkultur hineinwachsen. Allerdings müssen die Mentoren dann auch auf sehr verschiedene Mentalitäten und Studienprobleme eingehen können und wissen, wer zu wem passt. Chinesen und Japaner zu Beginn des Studiums in einer Gruppe zusammenzustecken, wäre beispielsweise keine so gute Idee. Das Verhältnis zwischen den Nationen ist dafür historisch viel zu belastet.

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