Medizinstudium:Darum ging es in dem Numerus-clausus-Verfahren

Medizinstudium

Selbst eine Abiturnote von 1,0 ist keine Garantie für einen Studienplatz in Humanmedizin.

(Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa)

Warum musste sich das Bundesverfassungsgericht überhaupt mit dem Numerus clausus befassen? Was könnte sich nach der Entscheidung ändern? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Das Vergabeverfahren für Studienplätze in der Humanmedizin steht schon lange in der Kritik. Nun hat es das Bundesverfassungsgericht in Teilen sogar für verfassungswidrig erklärt (Az. 1 BvL 2/14 und 1 BvL 4/14). Welchen Hintergrund die Entscheidung hat, wie es nun weitergeht: die wichtigsten Fragen und Antworten.

Worüber hatte das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden?

Wer kein hervorragendes Abitur hat, hat bisher in Deutschland kaum Chancen auf einen Studienplatz in Medizin. Damit entscheidet ein sehr umstrittenes Kriterium über die Berufschancen von Menschen. Die Klage zweier erfolgloser Bewerber vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat letztendlich den Anstoß für die Verhandlung in Karlsruhe gegeben. Denn die Verwaltungsrichter in NRW bezweifelten bereits 2012, dass die derzeit gültigen Vergaberegeln überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar sind und stellten eine Anfrage an das Bundesverfassungsgericht.

Wie wurden die Studienplätze für Medizin bisher vergeben?

Die Studienplätze für Humanmedizin wurden nach einem festgelegten Schema von der Stiftung für Hochschulzulassung vergeben. Dieses zentrale Vergabeverfahren greift auch bei den Studiengängen Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie. Für Humanmedizin gehen 20 Prozent der Plätze an Bewerber mit den besten Abiturnoten, 20 Prozent werden nach Wartezeit vergeben und die verbleibenden 60 Prozent vergeben die Hochschulen nach eigenen Kriterien; zum Beispiel nach der Leistung im sogenannten Medizinertest oder ob Bewerber bereits eine Ausbildung im medizinischen Bereich absolviert haben. Dennoch spielt auch hier die Abiturnote eine große bis sehr große Rolle.

Das bedeutet in der Praxis: Wer mit Sicherheit einen Studienplatz bekommen will, braucht aktuell in 14 der 16 Bundesländer die Abschlussnote 1,0. Wer ein schlechteres Abitur hat, kann sich zwar auch bewerben, hat aber nur geringe Chancen. Medizin studieren kann dennoch jeder - wenn er oder sie ausreichend Geduld mitbringt: Die Wartezeit auf einen Studienplatz liegt bei bis zu 15 Semestern. Auf der Warteliste spielt die Abiturnote wiederum keine Rolle, im Zweifel wartet jemand mit Abiturnote 1,4 ebenso lang wie jemand mit 3,2.

Warum gibt es eigentlich einen NC?

Gibt es für einen Studiengang mehr Bewerber als Studienplätze, müssen die Hochschulen den Zugang beschränken. Am einfachsten geht das, indem eine Grenze anhand der Abiturnote festgelegt wird. Ursprünglich war der Numerus clausus ein Instrument, das nur in Sonderfällen und vorübergehend zum Einsatz kommen sollte. Von "situationsbedingten Notmaßnahmen" hat das Bundesverfassungsgericht gesprochen, als es sich in den 70er Jahren schon einmal mit den Zulassungsbeschränkungen fürs Studium beschäftigt hat.

Da aber gerade in der Medizin die Nachfrage deutlich gestiegen ist in den vergangenen Jahren, ist der NC dort längst nicht mehr Notlösung, sondern Alltag. Bewarben sich 1994/95 noch 15 753 Menschen um 7366 Studienplätze, so sind es nach Angaben der Stiftung Hochschulzulassung zum aktuellen Wintersemester 43 184 Anwärter für nur 9176 Plätze. Es kommen auf einen Studienplatz also ungefähr fünf Bewerber.

Was hat das Verfahren mit dem Grundgesetz zu tun?

Artikel 12 des Grundgesetzes billigt jedem Bürger das Recht zu, Arbeitsplatz oder Ausbildungsstätte frei zu wählen. Weil das vor allem beim Medizinstudium aus Kapazitätsgründen nicht möglich ist, gibt es die Wartezeitregelung. Sie stellt sicher, dass tatsächlich jeder Mensch mit allgemeiner Hochschulreife Medizin studieren kann - nur eben der eine früher und der andere später, je nach Abiturnote. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht 1977 auch festgelegt, dass die Wartezeit nicht länger als das anschließende Studium sein darf. In der Medizin jedoch übersteigt die Wartezeit mit 14 Semestern mittlerweile die Regelstudienzeit von zwölf Semestern. Auch die bisher praktizierte Festlegung auf höchstens sechs gewünschte Studienorte kritisierte der Erste Senat unter Vorsitz von Ferdinand Kirchhof. Dies dürfe nicht dazu führen, dass ein Bewerber, der eigentlich erfolgreich wäre, am Ende leer ausgeht.

Weiterhin bezogen die Richter auch Artikel 3 des Grundgesetzes (Gleichheitsgrundsatz) in die Entscheidung mit ein. Denn die Abiturnote ist zwar immens wichtig auf dem Weg zum Medizinstudium, über alle Bundesländer hinweg vergleichbar ist sie jedoch nicht. Abi ist in Deutschland nach wie vor nicht gleich Abi - zwischen 2005 und 2012 waren die Abiturnoten in Thüringen zum Beispiel im Durchschnitt um 0,4 besser als die der Schüler in Niedersachsen. Ein Riesenunterschied, wenn es beim Kampf um die begehrten Studienplätze für Medizin auf jedes Notenzehntel ankommt.

Wie lief die Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht ab?

Die Richter haben Experten verschiedener Hochschulen eingeladen, die von ihren Erfahrungen mit unterschiedlichen Lösungsansätzen für die Platzvergabe berichtet haben - von der Notenauswahl über den Medizinertest bis zu aufwendigen Interviewverfahren. Dabei wurde auch deutlich: Universitäten und Bundesländer hätten gerne Spielraum bei der Frage, wen sie für ihre Studiengänge zulassen. Anhand der Fragen der Richter ließ sich jedoch ablesen, dass sie die Entscheidung, was gerecht ist, künftig nicht mehr allein ins Belieben der Unis stellen wollen.

Wann würde eine Veränderung der derzeitigen Praxis wirksam?

Selbst wenn das Bundesverfassungsreicht eine Änderung der Studienplatzvergabe anmahnt und sie in Teilen für verfassungswidrig erklärt, wird nicht sogleich etwas passieren. Denn das aktuelle Verfahren ist über einen Staatsvertrag geregelt, den der Bund und alle 16 Bundesländer unterzeichnet haben. Bis zum 31. Dezember 2019 muss der Gesetzgeber nun Änderungen vornehmen. Das würde dann auch für die Fächer Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie gelten, deren Zugang durch denselben Staatsvertrag geregelt ist.

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