Lob in der Schule:Das hast du toll gemacht

Ferienbeginn in Bayern

Nur mit Noten ist es beim Korrigieren nicht getan.

(Foto: dpa)

Bei der Korrektur von Klassenarbeiten geht nichts mehr ohne lustige Gesichter und nach oben gereckte Daumen. Was das über Lehrer und Schüler aussagt.

Von Paul Munzinger

Die Arbeit eines Stempelmachers, sagt Manfred Ellerbrock, gleiche der eines Musik-Komponisten. Wenn der einen Hit schreiben wolle, stehe er vor der Wahl: erst die Musik und dann den passenden Text? Erst den Text und dann die Melodie? Genauso, sagt Ellerbrock, müsse auch er sich entscheiden, wenn er einen Stempel komponiere: erst der Text oder erst das Bild? Sein Erfolgsrezept: Das Bild entsteht zuerst, denn die Bilder seien es, die seine Stempel unverwechselbar machten. Nur einmal habe er es andersherum gemacht: 1987 war das, beim "Rechenkönig", seinem ersten Stempel überhaupt. Jenem Stempel also, mit dem Ellerbrock eine kleine Revolution an Deutschlands Grundschulen in Gang setzte.

Ein Vormittag Mitte Februar. Manfred Ellerbrock, 68 Jahre alt, ein rundlich gebauter Mann mit Bürstenschnitt und blendender Laune, ist mit seiner Frau nach Stuttgart gekommen, auf die Bildungsmesse Didacta. Alte Gewohnheit, einerseits, denn jahrelang hatte Ellerbrock hier selbst einen Stand, wo er Lehrer von den Vorzügen seiner Stempel zu überzeugen versuchte - nach eigener Darstellung stets mit überwältigendem Erfolg. Und andererseits eine gute Gelegenheit, um bei der Konkurrenz vorbeizuschauen. Mehrmals, sagt Ellerbrock, habe er seine Ideen und einmal sogar den Namen seines Verlags vor Gericht verteidigen müssen: Elbi, eine Kombination aus Ellerbrock und Bieringen, sein Heimatort nahe Heilbronn.

Jetzt hat Ellerbrock, pensionierter Grund- und Hauptschullehrer und noch immer aktiver Unternehmer, in einem runden Sessel Platz genommen, auf dem Glastisch vor sich eine kleine Auswahl aus seiner Produktpalette. Er erzählt, wie das damals war, vor 30 Jahren, als er den "Rechenkönig" erfand, den zumindest seiner Erinnerung nach ersten Lehrerstempel, den es in der BRD zu kaufen gab. (In der DDR, wo fleißige Schüler ein Bienchen ins Heft bekamen, hätten sie damals schon eine gewisse "Stempelmentalität" gehabt, sagt Ellerbrock anerkennend.)

Viele Eltern wundern sich über die Stempelmentalität, die heute in deutschen Grundschulen Einzug gehalten hat. Über die bunten Smileys und Bildchen, die sie in den Heften ihrer Kinder finden, wo früher vielleicht ein "Weiter so" oder ein "Gut gemacht" gestanden hätte. Es dürfte heute kaum einen Grundschullehrer geben, der nicht mindestens einen Lehrerstempel besitzt, viele haben sogar eine ganze Batterie, für jeden Anlass einen. Die Kinder lieben sie und viele Lehrer ebenfalls - auch, weil die Stempel ihnen beim Korrigieren Zeit ersparen. Viele Hersteller berichten von einer anhaltend hohen oder steigenden Nachfrage und bringen immer wieder neue Motive auf den Markt. "Aus den Lehrerstempeln ist mittlerweile ein florierender Handwerkszweig entstanden", sagt der Grundschulpädagoge Johannes Jung von der Uni Würzburg. Eine Entwicklung, die ihn bis heute überrascht.

Der "Rechenkönig" entstand 1987 gewissermaßen als Koproduktion des Unternehmers Manfred Ellerbrock und des Lehrers Manfred Ellerbrock. Der Unternehmer suchte für seinen neugegründeten Schulverlag noch ein zweites Zugpferd, neben Übungsheften für Erstklässler. Der Lehrer suchte nach einer besonderen Motivation, damit seine Schüler sich beim Wettbewerb im Kopfrechnen ein bisschen mehr anstrengen. Das Ergebnis war ein gekrönter Monarch im Hermelin auf dreieinhalb mal dreieinhalb Zentimetern, der den linken Daumen anerkennend in die Luft streckt. Handarbeit, so wie alle 200 Lehrerstempel, die Ellerbrock heute im Angebot hat und so wie alle 500 Motive, die er in den vergangenen 30 Jahren ersonnen hat.

Bei zehn Stempeln gibt es eine Belohnung

Seine Schüler, sagt Ellerbrock, hätten sich um den Rechenkönig gerissen. Sie hätten ihn sich nicht ins Heft stempeln lassen, sondern auf den Handrücken, den sie sich dann drei Tage lang nicht gewaschen hätten. Für Ellerbrock, den Unternehmer und den Lehrer, ein durchschlagender Erfolg. Und für den Lehrerstempel der Beginn einer großen Karriere, die Ellerbrock lange Zeit selbst ein bisschen unheimlich war.

Angelika Westhagen, Konrektorin an der Grundschule Krailling bei München, hat sich ein durchaus anspruchsvolles Belohnungssystem für ihre Erst- und Zweitklässler ausgedacht. Für zehn lachende Smileys im Schulheft gibt es einen Stempel im Stempelheft. Und für zehn Stempel im Stempelheft gibt es eine Belohnung, eine Sammelkarte zum Beispiel, auf der "Shaun, das Schaf" abgebildet ist. Für die Kinder, sagt Westhagen, sind die Stempel "einfach unglaublich motivierend".

"Da hilft der Stempel nicht mehr, da muss ich an die Ursachen herangehen"

Studien zum pädagogischen Sinn von Lehrerstempeln gebe es nicht, sagt der Forscher Jung. Er selbst stehe dem Phänomen "schmerzfrei" gegenüber: kein großer Schaden, kein großer Gewinn. Die Stempel, glaubt Jung, bedienten ein Grundbedürfnis nicht nur von Kindern: "Wir wollen bewertet werden, wir wollen uns vergleichen." Er sieht nur eine Gefahr: wenn die Stempel unter Kindern "wie eine Währung" gehandelt werden, wenn der Vergleich zum Wettbewerb ausartet, in dem die schwächeren Kinder buchstäblich abgestempelt werden.

So sieht das auch Westhagen. "Wettbewerb unterbinde ich", sagt sie. Mit den Stempeln müsse ein Lehrer verantwortungsvoll umgehen. Einen Smiley setze sie nicht wie eine Note ein, sondern individuell, je nach Fortschritt. Wie wertvoll so ein universal verständliches Symbol sein könne, habe sie erfahren, als sie im vergangenen Jahr Flüchtlinge unterrichtete. Ein lachendes Gesicht verstehe jeder, sagt Westhagen.

Manfred Ellerbrock, dem Lehrer, nicht dem Unternehmer, war der Erfolg seiner Stempel am Anfang nicht ganz geheuer. Den Referendaren, die er damals ausbildete, habe er von den Stempeln abgeraten. Eine persönliche Zeile sei viel mehr wert als jeder Stempel. Vor allem gegen die Einführung von Smileys habe er sich gewehrt. Wie faul kann man denn sein, habe er sich gedacht, die könne doch selbst ein künstlerisch unbegabter Lehrer selbst zeichnen. Doch die Kinder, das habe ihn die Erfahrung gelehrt, seien verrückt danach. Heute ist das Vier-Stempel-Smiley-Set von lachend bis traurig für 15,98 Euro einer der Bestseller in seiner Kollektion.

Einen anderen Vorbehalt hat Ellerbrock sich dagegen bis heute bewahrt. Kritische Stempel hält er für überflüssig, und er sieht auch keinen Widerspruch darin, dass Lehrer in seinem Katalog aus einer ganzen Reihe mahnender Motive auswählen können: eine düstere Gewitterwolke, eine Sammlung Hieroglyphen mit der Botschaft "unleserlich", ein Lehrer, der sich beim Blick ins Heft des Schülers in eine Bombe verwandelt hat, die kurz vor der Explosion steht. Verwenden würde er diese Motive nicht, sagt Ellerbrock. Nur den traurigen Smiley habe er als Lehrer immer für alle sichtbar auf dem Pult stehen gehabt, als Warnung. Eingesetzt habe er ihn nie. Er hätte es höchstens dann getan, "wenn ein 16-Jähriger mit dem Messer auf mich losgegangen wäre". Zum Glück für alle Beteiligten ist das nie vorgekommen.

Krabbeltiere-Warnung per Läusestempel

Grundschullehrerin Angelika Westhagen ist da weniger zimperlich. Sie verwende auch traurige Smileys, wenn sie einem Schüler - und dessen Eltern - vermitteln wolle, dass er sich mehr anstrengen müsse. Nur übertreiben dürfe man es nicht, fünf Trauerköpfe in Folge seien kontraproduktiv. "Da hilft der Stempel nicht mehr, da muss ich an die Ursachen herangehen", sagt Westhagen. Ein Motiv, das es im Laden nicht gab, hat sie übrigens selbst entworfen und anfertigen lassen: einen Läusestempel. Die Botschaft, in diesem Fall an die Eltern: Krabbeltiere-Alarm in der Klasse, gründlich den Kopf waschen!

Während der Läusestempel dafür steht, dass sich in der Grundschule manches wohl nie ändert, hat sich der Zeitgeist manchmal direkt in Ellerbrocks Stempel eingeschrieben. Gleichberechtigung etwa. Dem Rechenkönig setzte er nach Protesten von Eltern schnell eine Königin an die Seite. Und beauftragte seine Zeichnerin mit einem Kindergesicht, das beides sein kann: Junge und Mädchen, König und Königin.

Am Zeitgeist könnte es auch liegen, dass der nach oben gereckte Daumen heute Ellerbrocks Bestseller ist. Ende der Achtzigerjahre hatte er den Daumen schon einmal auf den Markt gebracht, dann flog er wegen Misserfolgs wieder aus dem Sortiment. Vor einigen Jahren der zweite Versuch, und plötzlich war der Daumen ein Renner. Vielleicht wegen des "Gefällt mir"-Buttons von Facebook? Die Theorie hat Ellerbrock auch gehört, überzeugt hat sie ihn nicht. Seine Erklärung: Im Katalog habe er die Vielseitigkeit des Daumens einfach besser angepriesen. Schließlich kann der Daumen nicht nur nach oben zeigen, sondern auch zur Seite oder nach unten. "Mit einem Stempel", sagt Ellerbrock, "kann ich die ganze Klasse bewerten." Und überhaupt: Der Facebook-Daumen gehöre einer rechten Hand, seiner einer linken. "Sonst hätte ich vielleicht Ärger bekommen mit Facebook", sagt Ellerbrock. "Oder Facebook mit mir."

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