Lehrerporträt:"Immer schön sauber bleiben"

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Entspannte Haltung: Der größte Fehler, den Sportlehrer machen könnten, sei hysterisch zu werden, sagt Marco Urspruch. (Foto: Julia Sellmann; Julia Sellmann)

Der 37-jährige Marco Urspruch ist Sportlehrer an einem Gymnasium. Ohne Trillerpfeife. Aber auch, ohne in die Kumpelfalle zu tappen.

Zum Aufwärmen lässt Marco Urspruch die Klasse oft Zombieball spielen, jeder gegen jeden: Vier weiche Bälle liegen im Feld, wer getroffen wird, muss raus. Wird der, der getroffen hat, ebenfalls abgeschossen, darf sein Opfer wieder rein. Es ist kurz nach 8 Uhr, und plötzlich brüllen zwei Dutzend Elf- und Zwölfjährige los, als wären tatsächlich Zombies hinter ihnen her.

"Ich hab Mehmet getroffen!"

"Du bist doch schon längst tot!"

Marco Urspruch brüllt nicht. Er schaut von der Bank aus zu. Ohne Sportklamotten, ohne Trillerpfeife. "Der größte Fehler, den man machen kann als Sportlehrer, ist, hysterisch zu werden", sagt Urspruch. "Das stachelt die Kurzen nur an."

Die Kurzen, das ist die Klasse 6 c des Städtischen Gymnasiums Ahlen. An der Schule sind einige Mehmets, 30 bis 40 Prozent der Schüler haben einen Migrationshintergrund. Beobachtet man Marco Urspruch einen Tag lang im Unterricht, merkt man, dass er selten die Lehrerkarte zieht. Machen die Schüler nicht das, was sie sollen, schaut er sich das ein paar Minuten lang an. Wenn er dann kommt, brüllt er nicht, er zieht nur leicht eine Augenbraue hoch. Es ist sofort Schluss. Außer bei Raufe­reien, da greift er gleich ein und zieht die Köpfe auseinander. "Immer schön sauber bleiben", sagt er dann, Urspruch mag solche Sprüche. Ein Handschlag, zweimal "Tschul­digung", und die Sache hat sich.

Urspruch glaubt, dass die Schüler besser mit­machen, wenn man ihnen nicht zu streng kommt. Und wenn man auch als Lehrer Schwächen eingesteht. "Natürlich ist ein Schüler, der dreimal die Woche Basketball trainiert, besser als ich." Er hat Erfolg mit seiner entspannten Haltung. Auch eher aggressive Schüler tragen nach seinem Unterricht die Musikanlage freiwillig in den Schrank.

"Der Marco hat das, was man im Lehramtsstudium nicht lernen kann", sagt ein Kollege, "Zuneigung den Schülern gegenüber. Er mag die wirklich. Aber er biedert sich nicht an. Das ist eine seltene Kombination, und die Schüler spüren das."

"Völkerball, Völkerball, wir wollen Völkerball!", rufen seine Schüler jetzt.

Warum Marco Urspruch Sportlehrer geworden ist? Damit sich die Kinder bewegen und den restlichen Frontalunterricht für eine Stunde vergessen. Nur sieht der Lehrplan leider etwas anderes vor: Schüler sollen einen Sporthefter führen, sie sollen Taktik und Spielzüge lernen und die Grundlagen der Anatomie. Für Urspruch gibt es wichtigere Lernziele: Mut, Fairness, den Umgang mit Niederlagen, aber auch mit Siegen, das Einbeziehen Schwächerer und, ja: Spaß. "Das lernt man in anderen Fächern nicht unbedingt. In Mathe oder Deutsch kämpft jeder für sich allein." Er muss es wissen, sein Zweitfach ist Deutsch.

Manchmal, wenn ein Wettkampf irgendwo auf dem Land stattfindet, fährt Marco Urspruch seine Schüler hin. Einfach so, privat. Er will, dass sie teilnehmen, gerade wenn die Eltern sich nicht kümmern. Bei Theateraufführungen überlässt er die Hauptrollen oft den besonders schwierigen Schülern. Die Bühne, die die Unzähmbaren zähmt. Er steht jetzt auf und ruft in die Runde: "Okay, Völkerball, alle auf die blaue Linie!" Jubel. Kreischen. Trotz seines Drahts zu den Schülern findet Marco Urspruch, man solle als Lehrer Schülern gegenüber eine Distanz wahren, nicht in die Kumpelfalle tappen. Von seinem Privat- leben, von Freundin und Baby erzählt er ihnen nichts. Die Klasse 6 c stellt sich in zwei Gruppen auf, bei "Drei!" dürfen sie zum Ball in der Mitte rennen. "Eins", sagt Urspruch. "Zwei ...", er macht eine Kunstpause. Es ist der erste stille Moment.

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