Interview am Morgen:"Man muss die Kinder ernst nehmen"

Lehrermangel an Grund- und Mittelschule

Auch an dieser Grundschule im oberfränkischen Burgebrach bekommen die Viertklässler am Freitag ihre Zwischeninformationen.

(Foto: dpa)

Schulleiterin Sandra Doriat erklärt im "Interview am Morgen", wie bei Viertklässlern und Eltern kein Stress auf dem Weg Richtung Übertrittszeugnis aufkommt.

Interview von Matthias Kohlmaier

Nur wer im Übertrittszeugnis Anfang Mai in den Hauptfächern Mathematik, Deutsch und Heimat- und Sachunterricht (HSU) mindestens den Notendurchschnitt 2,33 erreicht, darf ohne Umwege direkt aufs Gymnasium - so streng ist die Regelung nur in Bayern. An diesem Freitag erhalten die Viertklässler ihre Zwischeninformationen, quasi den aktuellen Notenstand. Sandra Doriat, Leiterin der Josef-Dering-Grundschule im oberbayerischen Eichenau, weiß, was nun auf Kinder und Eltern zukommt.

SZ: Frau Doriat, stehen bei Ihnen zurzeit häufiger nervöse Eltern von Viertklässlern vor dem Büro?

Sandra Doriat: Nein, bisher nicht. Wenngleich das an anderen Grundschulen anders aussehen mag.

Was machen Sie beziehungsweise die Lehrkräfte an Ihrer Schule anders?

Wir machen uns die Mühe und reden mit Schülern und ihren Eltern. In den Klassen 1 bis 3 haben wir die Zeugnisse schon vor Jahren durch Lernentwicklungsgespräche ersetzt. Dabei sprechen Lehrkraft und Schüler darüber, wie sie die Leistungen und Fortschritte einschätzen, und vereinbaren gemeinsam Ziele. Die Eltern dürfen bei diesen Gesprächen natürlich dabei sein, aber nur als stille Beobachter.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Und die Gespräche funktionieren besser als Notenzeugnisse?

In meinen Augen auf jeden Fall. So wissen alle Beteiligten, woran sie sind. Außerdem fühlen sich auch die Kinder ernst genommen, das finde ich ganz wichtig. Weil das so gut geklappt hat, haben wir überlegt, wie wir auch im vierten Schuljahr auf dem Weg Richtung Übertrittszeugnis den Druck etwas rausnehmen können. Deshalb führen wir seit vergangenem Schuljahr mit jedem Viertklässler ein Übertrittsgespräch.

Wie läuft das ab?

Das Kind schätzt seine Leistung ein, die Lehrkraft ebenfalls. Dann sprechen beide darüber, wie es nach der vierten Klasse weitergehen könnte. Die Eltern sind dabei, halten sich aber im Hintergrund. Natürlich ist das ein Riesenaufwand, mit rund 60 Viertklässlern individuelle Gespräche zu führen. Aber das Feedback von Schülern und Eltern ist so positiv, dass wir den gern betreiben.

Können Viertklässler ihre Leistung tatsächlich realistisch einschätzen?

Absolut. Man muss die Kinder und ihre Sorgen und Wünsche ernst nehmen, dann klappt das sehr gut.

Oft sind es ja auch die Eltern, die ihr Kind unbedingt aufs Gymnasium schicken wollen. Wie kann man ihnen den Stress nehmen?

Ich denke, wenn man erst in der vierten Klasse mit der Beratung anfängt, dann ist es schon zu spät. Deshalb fragen wir schon die Eltern unserer Drittklässler in Sprechstunden: "Wo sehen Sie denn Ihr Kind?" So hat man frühzeitig eine gemeinsame Basis. Das ist auch für die Lehrkraft wichtig, wenn sie zum Beispiel sieht, dass der Gymnasialwunsch unrealistisch ist. So kann sie besser beraten und den Eltern klarmachen, dass es absolut keine Schande ist, wenn das Kind nach der vierten Klasse nicht aufs Gymnasium wechselt.

Wie können Eltern ihren Viertklässlern auf dem Weg Richtung Übertrittszeugnis am besten helfen?

Je mehr zu Hause darüber gesprochen wird, desto größer wird der Druck auf das Kind. Natürlich dürfen Eltern mit ihren Kindern üben und mal bei den Hausaufgaben unterstützen. Aber es ist auch wichtig, dass sich das Kind Dinge selbst erarbeitet - in der Schule muss es schließlich alleine zurechtkommen. Ich denke da an das typische Elternzitat: "Wir schreiben heute Mathe!" Nein, das Kind schreibt Mathe, und nur weil das daheim mit Mamas Hilfe gut geklappt hat, muss das in der Schule längst nicht so sein.

Was wünschen Sie sich also von den Eltern?

Vertrauen in ihre Kinder, sie einfach auch mal machen lassen und sich selbst als Eltern etwas zurücknehmen. Außerdem liegt im neuen Lehrplan der Fokus gar nicht mehr so sehr auf der einzelnen Klassenarbeit, auch das Mündliche ist wichtig. Und dabei können Eltern ohnehin nur sehr bedingt helfen.

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