Frauen in der Wissenschaft:Zeit, die Geduld zu verlieren

Mehr Frauen in wissenschaftlichen Führungspositionen - das ist ein erklärtes Ziel der Politik. Fast allen Initiativen fehlt es aber an Verbindlichkeit. Der Rhetorik müssen endlich Taten folgen: Zielquoten, Anreize - Strafen.

Ein Gastbeitrag von Jutta Dalhoff

Nur Luxemburg liegt hinter Deutschland. Alle drei Jahre gibt die EU-Kommission Daten zum Frauenanteil an den wissenschaftlichen Beschäftigten heraus - 2012 belegte Deutschland mit einem Anteil von 25 Prozent den zweitletzten Platz im Ranking der 27 EU-Länder. Der Anteil an den Führungspositionen in der Wissenschaft, den höchstbesoldeten Professuren, liegt hierzulande mit 14,6 Prozent ebenfalls weit unter dem Durchschnitt; nur 11,7 Prozent der Institute an deutschen Hochschulen werden von Frauen geleitet, unter den Rektoren schrumpfte der Anteil zuletzt sogar auf sieben Prozent.

Die Unterrepräsentation von Frauen ist durch nationale und europäische Datensammlungen belegt, die Ursachen sind erforscht. Dennoch geschieht viel zu wenig.

Zu den Ursachen: Die schlechte Vereinbarkeit der wissenschaftlichen Laufbahn mit der Familie wird oft als alleinige Ursache für die geringe Zahl an Frauen in Führungspositionen genannt. Studien zeigen aber: Dieser Aspekt wurde bisher überschätzt, die Analysen gehen vielmehr von einer Wechselwirkung struktureller und individueller Faktoren aus.

Idealbild eines immer verfügbaren Wissenschaftlers

Deutsche Promovierende sind eng angebunden an ihren - meist männlichen - Betreuer. Und von diesem Doktorvater wird in der Regel der Anspruch einer männlichen Normalbiografie gestellt, automatisch wird vom Idealbild eines immer verfügbaren Wissenschaftlers ausgegangen, die Geburt eines Kinder zum Beispiel ist gar nicht vorgesehen. Frauen können hier leichter scheitern - oder den Qualifikationsschritt erst gar nicht wagen. Hinzu kommt die unsichere wissenschaftliche Laufbahn, die sich insbesondere für Frauen als ausschließend erweist.

Frauen wird zudem, meist unbewusst, eine schlechtere Leistungsbereitschaft zugeschrieben, ihre Stellen sind (noch) häufiger als die von männlichen Kollegen befristet und unfreiwillig in Teilzeit besetzt. In Stellenbesetzungsverfahren werden Wissenschaftlerinnen durch die bestehenden Strukturen und Netzwerke nach wie vor benachteiligt. Stichwort: "Old-Boys-Network".

Der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013 zeigt eine Besonderheit der Personalstruktur auf: der Anteil der Senior-Staff-Ebene, also der Professuren an der Gesamtheit des wissenschaftlichen Personals, fällt im internationalen Vergleich in Deutschland eher gering aus, unterhalb der Professur fehlen Positionen für dauerhaft beschäftigte, selbständig Lehrende und Forschende fast völlig. Wer sich in Deutschland für eine Forscherkarriere entscheidet, lässt sich auf ein Spiel mit ungewissem Ausgang ein. Es gibt fast nur die Professur als Ziel, wegen der begrenzten Zahl an Lehrstühlen kann nur ein Teil der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Professor oder Professorin werden.

Insgesamt zeigen die Studien, dass es vor allem diese Strukturen sind, die den geringen Frauenanteil an hohen Positionen bewirken. Selbst in Fächern wie Romanistik oder Psychologie, in denen Frauen bis zur Promotion mit über 50 Prozent beteiligt sind, sinkt ihr Anteil in der Postdoktoranden-Phase und an Professuren rapide.

Wir wissen also genug. Zahlen und Studien machen den Handlungsbedarf deutlich. Es fehlt aber der Wille, das Thema tatsächlich mit aller Konsequenz anzugehen.

Die Erfolge bleiben hinter den Erwartungen zurück

Nun ist es keineswegs so, dass in den vergangenen Jahren Stillstand geherrscht hätte. Es gab mehrere national übergreifende Programme: Durch das Professorinnenprogramm I von Bund und Ländern wurden in einem wettbewerblichen Verfahren 260 Professuren mit Wissenschaftlerinnen besetzt. Da für den Wettbewerb, an dem fast alle Hochschulen teilnahmen, Gleichstellungskonzepte anzufertigen waren, ist bundesweit ein Bewusstsein dafür entstanden; auch die Hochschulen, die bisher durch geringe Ambitionen auffielen, haben sich auf den Weg gemacht.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), der wichtigste Förderer, hat Forschungsorientierte Gleichstellungsstandards festgesetzt, es gibt die "Offensive für Chancengleichheit", es gibt Willensbekundungen. Das hat eine grundlegend positive gleichstellungspolitische Dynamik in Gang gebracht. Die Erfolge bleiben aber hinter den Erwartungen zurück, von einer deutlichen Erhöhung des Frauenanteils kann keine Rede sein. Gemeinsam ist fast allen Programmen, dass die vereinbarten Ziele und Vorgehensweisen wenig verbindlich und überprüfbar sind - zumal die Nicht-Einhaltung in der Regel folgenlos bleibt.

Der Forschungsausschuss des Bundestages hat sich im Juni 2012 in einer Öffentlichen Anhörung - wie zuvor 2008 - mit der Situation der Frauen in Wissenschaft und Forschung befasst. Es bestand unter den geladenen Sachverständigen großes Einvernehmen darüber, dass sich die Unterrepräsentation von Wissenschaftlerinnen in Führungspositionen viel zu langsam positiv verändere und Geschlechtergerechtigkeit noch lange nicht erreicht sei. Und der Wissenschaftsrat hatte in seinen Empfehlungen 2012 gefordert, die gleichstellungspolitischen Ziele konkreter zu formulieren, überprüfbarer zu strukturieren und mit organisationsinternen finanziellen Anreizen auszustatten.

Ohne Druck wird sich wenig tun

Das heißt, dass Fachbereiche mit ihrer Hochschulleitung Zielquoten aushandeln (die dann etwa in den Sprachwissenschaften höher sind als bei den Ingenieuren). In der freundlichen Variante gibt es Gratifikationen, wenn sie ihre Ziele erreichen; andernfalls sind Sanktionen denkbar, sprich: weniger Geld.

Zu einem klaren Ergebnis kam kürzlich auch das Gutachten der unabhängigen Expertenkommission Forschung und Innovation. Das Gremium empfahl der Bundesregierung, die Qualifikationspotenziale von Frauen in Zukunft besser zu nutzen und - falls sich nicht schnell etwas ändere - eine Frauenquote in der Wissenschaft einzuführen. Ohne Verbindlichkeit, ohne Druck, wohl auch ohne Quote wird sich wenig tun. Es ist an der Zeit, die Geduld zu verlieren.

Soviel hochrangige Einigkeit gab es noch nie. Dies sind die Highlights einer gleichstellungspolitischen Rhetorik, die inzwischen von fast allen wissenschaftspolitischen Gremien gepflegt wird, aber bisher leider keine verbindlichere Gestaltung bewirken konnte.

Es ist jetzt zwanzig Jahre her, dass ich als hauptamtliche Frauenbeauftragte der Universität Kiel die Einführung von Zielquoten auf der Grundlage des sogenannten Kaskadenmodells in den Frauenförderplänen der Fakultäten verankern konnte. Dies Modell besagt, dass der Frauenanteil auf einer Qualifikationsstufe mindestens so hoch sein sollte wie der Anteil auf der jeweils niedrigeren. Damals war das tatsächlich ein innovatives Instrument, das noch ausschließlich mit einer Berichtspflicht und nicht mit einem System von Anreizen und Sanktionen verbunden war.

Nordrhein-Westfalen als Vorreiter?

Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle flächendeckende Einführung eben solcher unverbindlichen Zielquoten in den außerhochschulischen Forschungseinrichtungen, so wie es Bund und Länder jüngst forciert haben, vor allem: ernüchternd.

Nordrhein-Westfalen könnte hier bald eine Vorreiterrolle einnehmen, wenn es, wie angekündigt, verbindliche Zielquoten nach dem Kaskadenmodell ins Hochschulgesetz aufnähme. Auch die DFG muss ihre Standards qualitativ weiterentwickeln - und vor allem Erfolge wie Misserfolge bei der Umsetzung der Standards enger an die Mittelvergabe koppeln. Gleichstellungspolitische Zielvorgaben realistisch, aber ambitioniert vereinbaren und sie verbindlich in der Forschungsförderung und Hochschulsteuerung verankern - das muss die Regel sein.

Andernfalls erwiesen sich die unermüdlichen Chancengerechtigkeitsappelle als Schaufensterreden - von wem und vor welchem Gremium auch immer.

Jutta Dalhoff, leitet das Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung, einen Arbeitsbereich des Gesis-Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften in Köln. Zuvor war sie unter anderem als Büroleiterin der Hamburger Wissenschaftssenatorin tätig.

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