Digitalisierung:Der doppelte Alexander

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Marcus Ventzke, 47, ist Geschäftsführer des Instituts für digitales Lernen in Eichstätt und lehrt an der dortigen Katholischen Universität Geschichtsdidaktik. Zuvor unterrichtete er mehrere Jahre Geschichte und Ethik an Gymnasien. (Foto: Florian Sochatzy)

Sein mBook Geschichte wurde gerade Schulbuch des Jahres: Marcus Ventzke erklärt, was ein digitales Schulbuch leisten kann und muss.

Interview von Paul Munzinger

SZ: Herr Ventzke, das von Ihnen verfasste mBook Geschichte ist gerade zum Schulbuch des Jahres gekürt worden. Was macht ein gutes digitales Lehrbuch aus?

Marcus Ventzke: Es nutzt die Vielfalt der medialen Möglichkeiten, also nicht nur Text, sondern auch Bilder, Filme und Ton, und bringt sie sinnvoll zusammen. Ich bin davon überzeugt, dass das digitale Schulbuch so Dinge möglich macht, die das analoge Buch nicht leisten kann.

Nämlich?

Wir erwarten heute, im Unterricht so weit wie möglich auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Schülers einzugehen. Das kann ich als Lehrer mit den herkömmlichen Mitteln nur selten leisten. Die digitale Technik ändert das. Ich kann eine Quelle in kurzer oder langer Fassung anbieten, in vereinfachter Sprache oder mit Zusatzinformationen. So schaffe ich verschiedene Niveaustufen zum gleichen Stoff. Oder ich kann zu Themen, die sich über Texte nur schwer erschließen lassen, etwas anderes anbieten. Die Strategie des deutschen Militärs im Ersten Weltkrieg ist so ein Thema. Wir haben dafür eine Animation gebaut, die die Truppenverschiebungen in Zeit und Raum besser als jeder Text deutlich macht.

Bei so manchem, was heute als digitales Schulbuch angeboten wird, hat man den Eindruck, dass es eigentlich ein normales Buch in PDF-Form ist.

Das stimmt, aber wir kommen langsam weg von der Welt der PDFs. Weil alle sehen, dass das nicht die Zukunft ist. Unser Buch zum Beispiel deckt die gesamte Sekundarstufe ab, fünf Jahre. Die Schüler können auf alles zurückgreifen, was sie bereits gelernt haben. Und sie können, ja sollen das tun, was beim analogen Buch streng verboten ist: Passagen markieren, Kommentare schreiben. So machen sie es zu ihrem persönlichen Buch.

Als Autor treten Sie viel stärker in Erscheinung als in einem klassischen Schulbuch, vor allem in Videos. Hat das einen Grund?

In den meisten Geschichtsbüchern für die Schule fallen die Informationen gewissermaßen vom Himmel. Wir wollen den Schülern dagegen zeigen, dass Menschen diese Informationen zusammengestellt haben, die aus ihrer Perspektive Fragen an die Vergangenheit gestellt haben. Eine absolute Wahrheit gibt es nicht. Deshalb erzählen wir etwa die Geschichte Alexanders des Großen zweimal: einmal die des Zivilisationsstifters, der Ost und West zusammengeführt hat, einmal die des blutrünstigen Feldherrn. Ein Urteil geben wir nicht ab, das sollen sich die Schüler selbst bilden.

Welche Rolle bleibt da dem Lehrer?

Das digitale Schulbuch ist kein Unterrichtsautomat, der dem Lehrer alles abnimmt. Der oder die Unterrichtende bleibt die zentrale Person. Aber die Rolle verändert sich. Der Lehrer ist weniger als reiner Faktenvermittler gefragt, dafür mehr als jemand, der moderiert, Anregungen gibt, den Schülern bei konkreten Arbeitsschritten hilft.

Seit 2016 wird Ihr Buch genutzt, bundesweit von mittlerweile einigen Tausend Schülern. Hält es in der Praxis all das, was Sie sich davon versprechen?

Bei der Bewertung muss man noch vorsichtig sein. Es gibt erste Studien, die gute Ergebnisse, aber auch Probleme zeigen. Für uns ist das wichtig, um das mBbook weiterzuentwickeln. Genau darauf ist es angelegt.

© SZ vom 26.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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