Zukunftsrat:Heikle Expertise

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Der Zukunftsrat der Staatsregierung sieht Bayerns wirtschaftliche Zukunft nur in der Stärkung der Großstädte. Das stellt einen ehernen Grundsatz der Staatsregierung offen in Frage.

Mike Szymanski

Welche Regionen Bayerns haben Zukunft und welche nicht? Bislang hat die Staatsregierung das Ziel der gleichwertigen Lebensbedingungen verfolgt: Wer im strukturschwachen Nordosten des Freistaats wohnt, soll es der Theorie nach nicht schlechter haben als Bürger im prosperierenden Oberbayern. Diese Ziel hat sich die Staatsregierung bislang viel Geld kosten lassen. Sie hat Firmenansiedlungen in strukturschwachen Gegenden gefördert, Hochschulen und Behörden verlagert. Niemand wird zurückgelassen - das war die Prämisse bayerischer Strukturpolitik.

Klicken Sie auf das Bild, um die Grafik zu vergrößern. (Foto: N/A)

Nun stellt der Zukunftsrat, ein gewichtiges Beratergremium der Staatsregierung, diesen Grundsatz offen in Frage: Die Zukunft liegt in den großen Städten, lautet die Botschaft. Auf deren Fortentwicklung soll sich die Staatsregierung konzentrieren. Das Land ist eher zum Erholen da. Es ist eine Expertise mit Sprengkraft, die das 22-köpfige Gremium unter Leitung des Unternehmensberaters Herbert Henzler der Staatsregierung übergeben hat und die bisher unter Verschluss gehalten wurde.

"Wie lassen sich die Metropolregionen und die ländlichen Regionen sinnvoll in die fortschreitende Globalisierung einbinden?" - Dieser Frage gehen die Autoren auf 31 Seiten nach und finden eindeutige Antworten. "Potente Städte in der Fläche müssen zu überregionalen Leistungszentren ausgebaut werden", heißt die zentrale Forderung. Die unterschiedlich strukturierten Regionen sollen nur noch "entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit" entwickelt werden. Das bedeutet, die Starken werden stärker, die jetzt schon Schwachen abgehängt.

Das wirtschaftliche Leben konzentriert sich nach der Vorstellung des Zukunftsrates künftig auf die Ballungszentren. Wer dort nicht wohnt, muss pendeln. Eine Stunde Fahrtzeit halten die Verfasser des Gutachtens für zumutbar.

"Ein Prinzip der undifferenziert gleichen Förderung ohne Schwerpunktsetzung (Gießkanne) kann es nicht geben, ohne Bayerns Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden", heißt es in dem Gutachten, und in der Zusammenfassung: "Die Analyse der Trends zeigt eindeutig, dass ein Weitermachen wie bisher für die Zukunft keine Option sein kann."

Statt von "gleichwertigen Lebensbedingungen" ist nur noch von "annähernd gleichwertigen Lebensbedingungen" die Rede. Es müsse ein "Konsens gefunden werden, wie Investitionsschwerpunkte identifiziert werden". Großes Vorbild für Seehofers Berater ist die prosperierende Landeshauptstadt München.

Die Stadt und der Landkreis München erwirtschaften heute 23 Prozent des bayerischen Bruttoinlandsproduktes bei einem Bevölkerungsanteil von knapp 13 Prozent. München übernehme eine Leuchtturmfunktion für ganz Bayern, ist nach Auffassung der Verfasser "das Zentrum der zunehmenden Urbanisierung in Bayern". Schon der zweitgrößte Wirtschaftsraum Nürnberg-Erlangen-Fürth weise derzeit "keine ausreichende Dynamik für einen Bevölkerungszuwachs im Umland auf". Als Leistungszentren, die besonders gefördert werden sollen, kommen nach Auffassung der Gutachter neben München die Städte Augsburg, Ingolstadt, Nürnberg mit Erlangen und Fürth, Regensburg sowie Würzburg in Frage.

Das Nachsehen haben die Orte jenseits der Ballungszentren: "Die Regionen ohne leistungsstarke Agglomerationszentren wie Oberfranken, Unterfranken und die Oberpfalz werden langfristig weiter Bevölkerung verlieren." Für sie zeichnen die Autoren eine düstere Zukunft: "Der Rückgang von Bevölkerung und Arbeitsplätzen führt wiederum zu Verlust von Kauf- und realer Steuerkraft, abnehmende private und öffentliche Mittel bewirken sinkende Investitionen in private Betriebe und öffentliche Infrastruktur mit wiederum negativen Auswirkungen auf die Arbeitsplatz- und Bevölkerungsentwicklung." Von einer "Negativspirale" sprechen die Gutachter.

Teile Oberfrankens und Ostbayerns werden in ihren Überlegungen von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt, weil sie zu weit von den Ballungsräumen entfernt sind. Sie sollen sich Richtung Sachsen oder Österreich orientieren. An anderer Stelle heißt es, "dass der ländliche Raum eine eher noch zunehmende Bedeutung als natürlicher Erholungsraum für die urbanen und suburbanen Wirtschaftszentren erhalten wird" - gestresste Großstädter sollen dort Urlaub machen, heißt das.

Regierungschef Horst Seehofer reagierte in der Kabinettssitzung am Mittwoch verärgert. Bisher hatte er signalisiert, dass die Staatsregierung alle Regionen des Freistaats im Blick hat. Auch das neue milliardenschwere Investitionsprogramm "Aufbruch Bayern" ist streng darauf ausgelegt, keinen Winkel des Freistaats zu vernachlässigen. Jetzt sagt Seehofer: "Jeder dieser Vorschläge wird gründlich geprüft. Richtschnur ist und bleibt: gleichwertige Lebensverhältnisse und Chancengerechtigkeit im Freistaat."

© SZ vom 20.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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