Wirtschaftsförderung:Abschied von der Weltspitze

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Klaus Drechsler bastelt mit einer Flechtmaschine für Carbonfäden an der Zukunft des Fahr- und Flugzeugbaus. (Foto: Uli Benz/TU München)
  • MAI Carbon wurde nach strenger Auswahl vom Bundeswissenschaftsministerium zum Spitzencluster ausgerufen - Faserverbund-Kunststoffe sollen erforscht und entwickelt werden.
  • Der Freistaat hat allerdings nun seine Förderung gekürzt - und bringt das Projekt in Gefahr.

Von Stefan Mayr, Augsburg/München

Klaus Drechsler ist ein neugieriger Forscher durch und durch. Nach Stationen als Entwicklungsingenieur bei Firmen wie MBB, Daimler-Chrysler und EADS leitet er inzwischen als Professor an der Technischen Universität München den Lehrstuhl für Carbon Composites. Wenn der 56-Jährige über seine Projekte spricht, dann leuchten seine Augen und voller Begeisterung versuchen seine Worte, einander zu überholen.

"Wir haben mit über 100 000 Besuchern die bestbesuchte Sonderausstellung im Deutschen Museum organisiert und wir haben noch so viele Ideen", schwärmt Drechsler. Alles in Ordnung also in der Welt des Luft- und Raumfahrttechnikers? Nein. Als Sprecher des bayerischen Spitzenclusters MAI Carbon gibt er sich keine große Mühe, seinen Frust über die bayerischen Landespolitiker zu verbergen. "15 Millionen Euro sind zu wenig", sagt Drechsler, "ich bin enttäuscht."

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Grund des professoralen Lamentos: Derzeit wird über die künftige Förderung des Spitzenclusters MAI Carbon verhandelt, und Drechsler sowie die beteiligten Unternehmen wie BMW, Audi, Siemens oder Airbus hätten sich viel mehr erhofft als die derzeit in Aussicht gestellte Summe. Nun klingen 15 Millionen Euro nach sehr viel Geld, doch wer die Vorgeschichte kennt, kann den Frust der Forscher und Firmen verstehen. Vor vier Jahren nahm das Netzwerk MAI Carbon seinen Betrieb auf.

Das Kürzel MAI steht für das Städtedreieck München-Augsburg-Ingolstadt, in ihm sitzen neben BMW, Audi und Premium Aerotec viele große und kleine Unternehmen, die sich intensiv mit Faserverbund-Kunststoffen beschäftigen. MAI Carbon wurde nach strenger Auswahl vom Bundeswissenschaftsministerium zum Spitzencluster ausgerufen und mit 40 Millionen Euro Anschubfinanzierung ausgestattet. Diese Summe verdoppelten die beteiligten Unternehmen auf 80 Millionen, damit konnten die Leichtbau-Experten mit ihren Entwicklungsprojekten Vollgas geben. "Unser Ziel war es, die Produktionskosten um 90 Prozent zu senken", sagt Klaus Drechsler. "Bis jetzt haben wir 50 bis 60 Prozent erreicht."

Augsburgs Zweite Bürgermeisterin Eva Weber (CSU) bezeichnet MAI Carbon sogar als "Vorzeigeprojekt" unter den 15 deutschen Spitzenclustern. Doch Mitte 2017 läuft das auf fünf Jahre befristete Projekt aus - und Klaus Drechsler fürchtet um die Zukunft seines Netzwerks, weil die Staatsregierung nicht genügend Fördergeld locker macht. "15 Millionen sind ganz schön für drei, vier kleine Projekte", sagt er, "aber das große Rad können wir damit nicht mehr drehen und unsere bisherige Leuchtturm-Funktion werden wir verlieren."

Die Führungsposition ist gefährdet

Bekommt da ein ehrgeiziger Professor seinen Hals nicht voll? Oder riskiert die Staatsregierung durch Sparsamkeit am falschen Ort die Technologie-Führerschaft eines international anerkannten Verbundes? "Unsere Führungsposition im Weltmarkt ist gefährdet", sagt Hubert Jäger vom Verein Carbon Composites, in dem sich derzeit 279 Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus mehreren Ländern zusammengeschlossen haben.

"Wir müssen den Schritt schaffen vom Entwicklungsweltmeister zum Umsetzungsweltmeister", fordert Jäger, "aber es findet keine Konsolidierung der Förderprogramme statt." In den USA und Japan sei die Situation ganz anders, dort investiere die Politik Milliarden-Beträge in die Weiterentwicklung des Werkstoffes Carbon. "Noch haben wir in der Technologie einen Vorsprung", sagt Jäger, "aber wenn es so weitergeht, werden wir bald nicht mehr fähig sein, die Arbeitsplätze hier zu halten." Chinesische Firmen strecken bereits ihre Fühler aus, wie Klaus Drechsler bestätigt: "Sie kaufen bei uns Anlagen und Firmen, dabei kann es auch zu einem Abfluss von Know-how kommen."

Seit dem Start des Spitzenclusters hat sich einiges getan zwischen Isar, Lech und Donau: Sowohl in München als auch in Augsburg fanden Fachmessen mit internationalen Ausstellern und Besuchern statt. Klaus Drechsler wird regelmäßig von Delegationen aus anderen Kontinenten besucht. "Die fragen uns: Wie machen wir das?", erzählt Drechsler. Er verrät seinen Gästen (fast) alles, schließlich gehört Netzwerken zu seinem Geschäft.

Die Unterstützung schrumpft

Zuletzt ließ sich sogar der US-Flugzeughersteller Boeing in Bayern nieder. Am neuen Standort München forschen fünf Ingenieure an der Zukunft der Luftfahrt. Nach Auskunft von Drechsler ist es gut möglich, dass Boeing bei einem der nächsten MAI-Carbon-Projekte mitwirkt. Zudem könnte die Boeing-Außenstelle in der Landeshauptstadt langfristig ausgebaut werden. Ob das aber der Fall sein wird, wenn die großen Forschungsprojekte künftig in anderen Ländern stattfinden und MAI Carbon nur noch die Reste finanzieren kann?

Seit dem VW-Abgasskandal gelten Elektroautos mehr denn je als die Fahrzeuge der Zukunft, und damit rückt auch der Leichtbau mit Kunststoff aus Kohlefaser (CFK) in den Mittelpunkt. Je leichter das Auto, desto größer die Reichweite einer Batterie. Deshalb wird Carbon als Werkstoff der Zukunft oder auch als "schwarzes Gold" bezeichnet. Bauteile aus Carbon sind viel leichter als aus Stahl oder Aluminium. Das Problem war bislang nur: Die Herstellung von Carbonteilen ist teuer. Doch das soll sich durch die Forschung und steigende Produktionsmengen ändern.

Klaus Drechsler und seine Mitstreiter von MAI Carbon hatten sich von der Staatsregierung 25 Millionen Euro Zuschuss erhofft. Die Cluster-Firmen hätten dann weitere 25 Millionen zur Verfügung gestellt, um dem Werkstoff Carbon (und damit dem Carbon-Standort Bayern) zum Durchbruch zu verhelfen. Doch in den Haushaltsverhandlungen schrumpfte die erwünschte Einmalzahlung um zehn Millionen zusammen - und wurde auch noch in fünf Jahresraten aufgesplittet. Professor Drechsler nahm das zunächst mit Enttäuschung zur Kenntnis, aber als Wissenschaftler sucht er bereits nach neuen Lösungen: "Vielleicht finden wir kreative Lösungen und können andere Sondertöpfe anzapfen."

© SZ vom 28.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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