Wiesn-Finanzamt auf dem Oktoberfest:Abführen, bitte!

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Nüchtern rechnen, wo alle anderen trinken: Das Münchener Finanzamt eröffnet jedes Jahr eine Zweigstelle auf der Wiesn, um "an der Quelle zu besteuern".

Moritz Baumstieger

Vor drei Tagen hat er es nicht mehr ausgehalten. Ließ die Frau in der Wohnung stehen, die eh schon schimpft, weil er seit zwei Wochen nur zum Schlafen nach Hause kommt. Doch Hans Mair musste raus, holte das Motorrad aus der Garage und fuhr sinnlos spazieren. Mitten in der Nacht, im Dunkeln.

Wenn in München 16 Tage Ausnahmezustand herrscht, ist er zwar mitten auf der Wiesn, aber ganz und gar nüchtern: Lohnsteuer-Außenprüfer Hans Mair. (Foto: Petra Markovic)

Die Welt, in der sich Mair normalerweise bewegt, ist nicht für wilde Ausbrüche bekannt. Mair, grauer Kurzhaarschnitt und silbernes Brillengestell, ist Finanzbeamter. Genauer: Lohnsteuer-Außenprüfer, Abteilung Körperschaften. Und auch das Büro, das er Ende September für drei Wochen bezieht, ist nüchtern. Die Umgebung nicht. Nur der Bavariaring trennt Mairs Wiesn-Finanzamt vom Wahnsinn auf der Theresienwiese.

Zwei Tische mit Resopal-Platten, dazu passende Einbauschränke - lediglich zwei Klebebildchen von der WM 2006 weisen in Mairs Büro darauf hin, dass in der Gründerzeitvilla neben dem Verkehrszentrum des Deutschen Museums auch nach den siebziger Jahren noch Publikumsverkehr herrschte.

Um die zwei Tische sitzen Sachgebietsleiter Weber, Abteilung Grenzpendler, und Sachgebietsleiter Krotil, Abteilung Körperschaften, Mairs Chef. Beide verkörpern das Bild des korrekten bayerischen Beamten, sachlich gekleidet, sachlicher Ton, sachlicher Blick. Sie sind froh, dass sie den Mair haben: Der sitzt breitbeinig auf dem Stuhl, trägt Lederhose und Janker, der um den Bauch schon etwas spannt, wenn er die Knöpfe schließt. Er müsse ja jeden Tag auf der Wiesn Essen gehen. Mair sagt, er kleide sich stets so wie seine Klientel, so habe er einen leichteren Zugang. Seit sechs Jahren kümmert er sich um die Lohnsteuer der Wiesn-Angestellten, prüft Betriebe - "Besteuerung an der Quelle" nennt das Abteilungsleiter Krotil.

Echtes Bier gibt es nur am Wochenende

Die Bierzelte, Fahrgeschäfte und Wurstbuden hätten zusammen eine Mitarbeiterzahl und Umsatz wie ein Dax-Unternehmen, sagt Krotil. Damit das aber gleich klar ist: Konkrete Zahlen kann er nicht nennen. Steuergeheimnis.

Viele der Arbeitnehmer auf der Wiesn kommen aus dem Ausland, sie sind "beschränkt steuerpflichtige Grenzpendler", ergänzt Weber. Seine Abteilung befasst sich mit deren Erfassung und stellt "Ersatzlohnsteuerbescheinigungen nach Paragraph 39 d, Einkommenssteuergesetz" aus. Mair sagt es so: "Zur Zeit sind in Österreich ganze Dörfer ausgestorben, weil alle Bewohner auf der Wiesn arbeiten. Und wir haben jetzt zwei Wochen Zeit, die alle zu erwischen."

Ein Vor-Ort-Service, transparent und bürgernah, meint Weber. Sonst müssten die ausländischen Arbeitnehmer ja alle raus ins Finanzamt in der Deroystraße kommen. So kommt halt der Mair zu ihnen, mittlerweile fühlt er sich sogar ab und zu willkommen. Man ist ja nicht immer beliebt als Finanzbeamter, selbst wenn man ständig so grinst wie er. Sogar in der verwirrenden Zeltarchitektur findet er sich inzwischen zurecht und weiß, wo er wen zu suchen hat.

Und wo er sein alkoholfreies Bier bekommt, um rechnen zu können, wenn um ihn herum der Wahnsinn herrscht. Echtes Wiesnbier gibt es für Mair nur am Wochenende, wenn er außer Dienst aufs Oktoberfest geht. Und manchmal nicht anders kann, als bei einer Losbude oder einem Verkaufsstand vorbeizuschauen, um zu gucken, ob das alles stimmen kann, was der Betreiber angegeben hat. Außerdem gebe es die eine oder andere anonyme Anzeige, viele Leute seien neidisch und die Konzessionen für Wiesn-Stände rar.

Es sei nicht so, dass sich alle um den Dienst im Wiesn-Finanzamt reißen, sagen Weber und Krotil. Der Mair habe sich bewährt. Und auch wenn er darum bitten würde, in Zukunft nicht mehr raus zu müssen: Man wisse nicht unbedingt, ob man dem entsprechen könnte. Die Gefahr scheint aber ohnehin nicht groß zu sein: Ein paar Hundert Euro gingen zwar für das Essen drauf, sagt Mair, "aber als Münchener mache ich das gern". Obwohl: Früher sei er während des Oktoberfests immer in den Urlaub gefahren. "Wenn alle Italiener auf der Wiesn sind, hast du da unten die Straßen frei."

© SZ vom 02.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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