Waldkraiburg:Mahnung und Erinnerung

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Die KZ-Überlebenden Mordechai Gidron (links) und Andor Stern sind zur Eröffnung angereist. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Im Mühldorfer Hart wurde eine neue KZ-Gedenkstätte eröffnet

Von Matthias Köpf, Waldkraiburg

Der kleine, schmale Mann mit der dunkel getönten Brille steht ganz allein inmitten all dieser feierlich gekleideten Menschen auf dem Betonsteg, als er in Tränen ausbricht und leise vor sich hin schluchzt. Andor Stern hat mit seinen bald 90 Jahren Dachau, Auschwitz und Birkenau überlebt - und er hat diesen Ort überlebt, an dem die Nazis noch 1944 das zweitgrößte Außenlager des KZ Dachau eingerichtet haben. 8300 Häftlinge sollten im Mühldorfer Hart eine Flugzeugfabrik in den Waldboden betonieren und darin die Me262 montieren, eine von Hitlers vermeintlichen Wunderwaffen. Ungefähr die Hälfte dieser Häftlinge hat die mörderischen Verhältnisse nicht überlebt. Andor Stern ist am Leben geblieben, genau wie der 87 Jahre alte Mordechai Gidron, der damals Henrik Grunwald hieß. Die beiden Männer sind aus Brasilien und Israel, andere Überlebende kamen aus Österreich, Spanien, den USA und der Ukraine, fast auf den Tag genau 73 Jahre, nachdem das Waldlager evakuiert wurde. So lang hat es auch gedauert, bis schließlich am Freitag die beiden ersten Orte der KZ-Gedenkstätte Mühldorfer Hart eröffnet worden sind.

Bis in die 1980er-Jahre hinein mochte sich kaum jemand an das erinnern, was hier gewesen war. Doch seit ersten Nachforschungen und Veröffentlichungen des Waldkraiburger Geschichtslehrers Peter Müller bemühten sich immer mehr Menschen um Wissen und um das Gedenken. Sie brauchten Hartnäckigkeit und Geduld, denn erst ein Gespräch von Hans-Jochen Vogel und dem inzwischen verstorbenen Zeitzeugen Max Mannheimer mit dem damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und dessen Staatskanzleichef, dem Mühldorfer Abgeordneten Marcel Huber, führte 2015 zu einer Finanzierungszusage des Freistaats. Am früheren Waldlager und am ehemaligen Massengrab, in dem mehr als 2000 Menschen verscharrt worden waren, geben nun offene Schleusen aus Beton den Weg auf Stegen durch den Wald frei. Schilder erklären, was sonst im Wald kaum zu sehen wäre. Am Massengrab, wo auf manchen der schräg abgesägten Baumstümpfe nach jüdischer Tradition Steine liegen, sprach Rabbiner Schmeul Aharon Brodman das Kaddisch für die Toten. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, sprach dankende und mahnende Worte, worin ihr beim Festakt mehrere Redner folgten, darunter der ungebrochen klare Hans-Jochen Vogel, Kultusminister Bernd Sibler und der Staatssekretär im Bundesinnenministerium Stephan Mayer, der zusagte, sich für eine bisher versagte Förderung vom Bund einzusetzen. Dann könnte die Stiftung Bayerische Gedenkstätten den dritten Gedenkort schaffen, wo ein großer Betonbogen die von Altlasten durchsetzte Stelle der unvollendet gesprengten Fabrik markiert. Eine ähnliche Anlage existiert in der Nähe des oberbayerischen Kaufering an der Grenze zu Schwaben.

© SZ vom 28.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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