Vater der Huberbuam:Unterwegs mit dem Unabstürzbaren

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Bis zu 250 Tage im Jahr verbringt Thomas Huber oberhalb der 1000-Meter-Grenze. Diese Leidenschaft hat er an seine Söhne weitergegeben. (Foto: Korbinian Eisenberger/oh)

Er bezwang hundert Mal die Watzmann-Ostwand und stand auf 65 Viertausendern. Thomas Huber gehört mit 75 Jahren immer noch zu den Extrem-Bergsteigern - ganz wie seine berühmten Söhne, die Huberbuam.

Von Korbinian Eisenberger, Königssee

Der Schweiß tropft von der Stirn aufs Hemd. Das macht nichts, denn der Stoff ist schon angeschwitzt. Watzmann, Rinnkendlsteig. Ein weißhaariger Mann mit Bergschuhen stapft im Stechschritt durchs steilste Stück. Es ist beileibe kein schwieriger Aufstieg. Doch der leicht gebückte Mann, der den Klettersteig förmlich nach oben schwebt, lässt selbst Geübten kaum Zeit zum Luftholen. Der Mann heißt Thomas Huber und ist 75 Jahre alt.

Er ist das, was man unter guten Bergsteigern als extrem bezeichnen würde: Wer nach ihm sucht, wird oberhalb der Tausend-Meter-Marke fündig, irgendwo in den Schweizer Alpen, den Dolomiten oder in seiner Heimat Berchtesgaden. Skitouren, Eisklettern, ungesicherte Free-Solo-Routen und Sechstausender gehören zu seinem Programm. Bis zu 250 Tage im Jahr verbringt er zwischen Almhütten und Gipfelkreuzen. Normalerweise wird er dabei nicht von einem Journalisten begleitet. Eher von Kletterpartner Rainer. Oder von seinen Söhnen Alexander und Thomas, beide besser bekannt als "Huberbuam" - die vielleicht extremsten Bergsteiger, die der Sport bisher hervorgebracht hat.

Sorgen nur um die Schulnoten seiner Jungs

Ein Summen in Hubers Rucksack. "Thomas, du, ich kann jetzt grad schlecht. Ich bin am Berg", sagt er und drückt den Ausschaltknopf. Ein Huberbua? Stirnrunzeln. Eigentlich, sagt der Senior, mag er es überhaupt nicht, wenn ihn die Leute am Berg darauf ansprechen. Und dann die immer gleiche Frage: Ob er nicht Angst habe? Etwa, wenn Alexander wieder ein ungesichertes Free-Solo klettert. Oder Thomas die nächste Erstbesteigung plant.

Interview mit den "Huberbuam"
:"Es geht darum, Spaß zu haben"

Dem Kindesalter sind sie längst entwachsen. Trotzdem kennt man sie überall nur als die "Huberbuam": Der 40-jährige Thomas Huber und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Alexander gehören zu den weltweit besten Extrembergsteigern - doch sie haben auch ein Herz für Freizeit-Kletterer.

Josef Grübl

Angst, sagt Huber, habe er schon. Aber nicht, wenn seine Buben unterwegs sind. "Die sind zu gut", sagt er. Sorgen hätten ihm früher eher deren Schulnoten gemacht: "Und dann hat der Alexander in Physik einen Einserabschluss gemacht." Angst, sagt Huber, habe er in anderen Momenten. Sie helfe ihm, das Richtige zu tun, wenn er selbst in Extrem-Situationen gerät.

Huber will alle Viertausender besteigen

Der Tod kann plötzlich kommen. Sieben Jahre ist es her, dass sich am Matterhorn hinter Huber ein Felsbrocken löste und zwei Franzosen in den Tod riss. Es war eine jener Touren, für die Huber seinen Rucksack mit Klettergurt, Seil und Helm bestückt. In Gelände, wo ein fester Tritt bei weitem nicht mehr ausreicht. Die Erfahrung mehrerer tausend Touren ist es, von der Huber sagt, dass sie ihn vor Abstürzen geschützt habe. Mont Blanc, Weisshorn, Piz Bernina - von den 82 Viertausendern in den Alpen, habe er mittlerweile 65 erklommen. Sein Ziel? "Alle", sagt Huber. "Falls ich sie noch schaffe."

Das Drahtseil der Sicherungen hat sich erwärmt. Die Sonne steht jetzt bereits hoch über der Wallfahrtskapelle von St. Bartholomä, dem Ausgangspunkt der Tour am Königssee. Die erste Fähre ging um halb zehn Uhr - eigentlich zu spät für den 2651 Meter hohen Hocheck-Gipfel, das heutige Ziel. Ein Blick auf die Uhr. "Könnte eng werden", sagt Huber. Doch der Mann mit den weißen Haaren und den buschigen Brauen hat dieses Funkeln in den Augen. Und er hat seine Stirnlampe dabei.

Huber erzählt vom siebzigsten Geburtstag seiner Frau, wie sie zusammen mit einem Päckchen Suppe im Steinernen Meer biwakierten. Kaum vorstellbar, dass der Mann, der heiratswillige Paare für eine romantischen Verlobung auf den Watzmann führt, über Jahrzehnte in einer Bank Anträge bearbeitete. "Gfoin hod ma die Arbeit eigentlich scho", sagt er und stapft weiter den Waldweg entlang. Vogelgezwitscher. Baumrascheln. "Wenn ich 30 Jahre später geboren wäre", sagt er dann. "Ich hätte es wie meine Buben gemacht und wäre Berufsbergsteiger geworden."

Sommer 1954. Damals hatte es ihn gepackt. Von nun an sollten Hubers Eltern immer häufiger bis spät nachts auf ihren Sohn warten, in der Hoffnung, dass ihm nichts passiert. Es war ein warmer Julitag. Huber, damals 15, radelte heimlich in die Berge. Er hatte genug vom Kraxeln im kleinen Steinbruch daheim in Palling bei Trostberg.

Sein Ziel: der Redwitzkamin, Schwierigkeitsgrad IV. Nichts für Anfänger. Huber fuhr bis zum Fuß der Hörndlwand bei Ruhpolding und kletterte ungesichert drauf los. An einem Felsvorsprung kam er zunächst nicht mehr weiter. Weder vor noch zurück. Und Huber, der Jungspund, wusste: Wenn du loslässt, dann bis du tot.

Hubers Blick schweift über den Königssee. Hier, wo die Sonne zwischen den Bäumen durchblitzt, ist die Gefahr in weiter Ferne. Sie lauert hoch oben in der Watzmann-Ostwand, unter den schneebedeckten Gipfeln. Eine der Klettertouren von der - wie Huber sagt - "scharfen" Sorte. Hundertmal sei er sie bestimmt schon geklettert. Jene 1800 Meter hohe Ostflanke, an der bis heute mehr als hundert Menschen starben.

Bier gegen den Durst

Die Wurzeln auf dem Pfad werden weniger, die Steinbrocken größer. Keine Trödelei, denn wenn die Dämmerung den Abstieg zum Wettlauf gegen die Zeit macht, dann wird es gefährlich. Wer jetzt mit Huber Schritt halten will, kommt auch mit leichtem Gepäck ins Schwitzen. Im Geröll ist es schwierig, dem nach vorne gebückten Mann mit den Tourenstöcken zu folgen. Der dunkle Fleck am Rücken wird größer und die eigene Kehle trocken.

Die Sonne steht jetzt über der Mittelspitze, dem mit 2713 Meter höchsten Gipfel des Watzmann. Auf der Kühroint-Hütte, in 1420 Metern Höhe angekommen nimmt Huber einen großen Schluck Weißbier und bestellt ein neues. "Für den Durst dring i eigentlich meistens a Bier", sagt er. Im Licht der Sonne schaut der Gipfel des Hocheck geschmeidig gut aus. Er lockt. Doch Huber runzelt die Stirn.

Nur einmal musste Huber die Bergwacht rufen

"Wenns dunkel werd, verlassen sich d'Leid immer öfter auf ihr Handy und auf die Bergwacht", sagt er. "Bei so was werd ich züntig." Huber selbst rutschte vor einigen Jahren auf einer eisigen Hüttenveranda am Sonntagshorn aus und brach sich vier Rippen. Er erzählt das nicht so oft, sagt er, weil es das einzige Mal war, dass er von der Bergwacht ins Tal gebracht werden musste. "Eigentlich", sagt er, "wollt ich mir nur ein Weißbier holen."

Huber braucht seine Stirnlampe heute nicht mehr. Statt aufs Hocheck geht die Tour mit einer Querung zur etwas tiefer gelegenen Grünsteinhütte weiter. Kein Gipfel, kein Risiko. Hauptsache Natur, sagt Huber. Noch ein Weißbier für den Durst. Vom Nebentisch ertönt Gekicher. "Schön ist das", sagt Huber, "wenn junge Dirndln mit am Berg sind. Besonders beim Klettern."

Die Nachmittagssonne hat den Rücken getrocknet. Huber schnallt sich den Rucksack um. Einer der letzten schneefreien Abstiege des Jahres. Huber lächelt bei dem Gedanken. Schon bald, wenn der Spätherbst dem Winter weicht, stellt er die Bergschuhe in den Keller. Er tauscht sie dann aus - gegen Tourenskier und Eispickel.

© SZ vom 18.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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