Urteilsspruch:Der tiefe Fall des Chefarzts

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Der Angeklagte Heinz W. (l) unterhält sich im Gerichtssaal mit seiner Anwältin Katharina Rausch. Sie forderte vergebens eine Bewährungsstrafe. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Sieben Jahre und neun Monate Haft wegen schwerer Vergewaltigung und weiteren Delikten: Das Landgericht Bamberg verurteilt den Gefäßchirurg, der sich an betäubten Patientinnen verging

Von Annette Ramelsberger, Bamberg

Der Angeklagte kämpfte bis zum Schluss. Kurz vor dem Urteil, eine Woche, nachdem die Plädoyers gehalten worden waren, ergriff der Angeklagte Doktor Heinz W. noch einmal das Wort. "Ich habe niemanden betäubt. Insbesondere wurde niemandem Gewalt angetan. Ich kann versichern, dass ich nie Böses im Schilde führte. Alle Patientinnen wurden bestmöglich behandelt", beschwor er das Gericht. Und seine Verteidiger forderten noch einmal, einen Experten für Betäubungsmittel im Blut zu hören - sie wollten damit bis zuletzt die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin in Frage stellen.

Der Staatsanwalt hatte 15 Jahre gefordert, die Verteidigung Bewährung

Doch das änderte nichts mehr. Der wegen mehrfacher Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs von Patientinnen angeklagte frühere Bamberger Chefarzt Heinz W. muss für sieben Jahre und neun Monate in Haft. Das Landgericht Bamberg entzog dem 51 Jahre alten Mediziner am Montag nach eineinhalb Jahren Prozess zudem für fünf Jahre die Berechtigung, als Arzt tätig zu sein.

Der Vorsitzende Richter Manfred Schmidt erklärte, die Vorwürfe hätten sich ganz überwiegend bestätigt, es sei nicht um wissenschaftliche Untersuchungen, sondern um sexuellen Missbrauch gegangen. Der Richter sprach Heinz W. in sechs Fällen der schweren Vergewaltigung schuldig und entsprach damit einer Forderung des Staatsanwalts. In sechs Fällen habe es sich bei den Taten von Doktor W. um sexuelle Nötigung und gefährliche Körperverletzung gehandelt. Der Arzt habe sich zudem des Missbrauchs Widerstandsunfähiger schuldig gemacht. Der Staatsanwalt hatte die Höchststrafe von 15 Jahren gefordert, die Verteidigung Bewährung.

Der Arzt hatte unter dem Vorwand, wissenschaftliche Studien über Beckenvenen-Thrombosen durchzuführen, zwölf Patientinnen und Mitarbeiterinnen des Klinikums Bamberg über Jahre hinweg mit einem Hypnotikum namens Midazolam narkotisiert und ihnen dann Sexspielzeug eingeführt. Bilder und Videos davon waren auf seinem Computer gefunden worden. Midazolam führt zu einem apathischen, willenslosen Zustand und zu Gedächtnisverlust. Erst durch eine Medizinstudentin, die ihr Blut unmittelbar nach der Tat untersuchen ließ, kam der Missbrauch ans Tageslicht. Die Frau, mittlerweile Ärztin, war nicht zum Urteil erschienen. Dafür kamen ihre Mutter und ihre Schwester. "Uns ist nur wichtig, dass er schuldig gesprochen wurde" , sagte die Mutter, das Strafmaß sei zweitrangig. Der Richter hat der Familie dann quasi eine Ehrenerklärung mit ins Urteil geschrieben.

Doktor W. stand kurz vor dem Urteil noch einmal auf, wie immer in dunklem Anzug, weißem Hemd und dunkler Krawatte. "Zu allererst entschuldige ich mich bei allen Betroffenen für die öffentliche Darstellung, der sie ausgesetzt waren, und für die Art und Weise, in der Betroffene mit dem Bildmaterial konfrontiert wurden", sagte er zu den Nebenklägerinnen. Stets habe er alles zum Wohl der Patienten gemacht. Seine Untersuchungen seien nichts anderes gewesen als ein Nebeneingriff vor Operationen, wie eine Untersuchung mit einem Blasen-Katheter. Alle Patienten hätten schriftlich in diese Eingriffe eingewilligt. Er habe niemandem Gewalt angetan. "Das zu verkennen, ist fern jeder Realität."

Zuvor war das Gericht noch einmal in die Verhandlung eingetreten. Verteidigerin Katharina Rausch forderte einen Experten für Biomathematik, Pharmako-Kinetik und Pharmako-Dynamik zu hören, der die Betäubungsmittelkonzentration im Blut der Hauptbelastungszeugin Romana S. überprüfen soll. Das werde ergeben, dass es keinen "unbeeinflussten" Zusammenhang zwischen den Blutwerten von Romana S. und der angeblichen Verabreichung von Midazolam durch Doktor W. gebe. Die Verteidigung zog damit erneut die Glaubwürdigkeit der Medizinstudentin in Zweifel, durch die die Ermittlungen gegen Doktor W. in Gang kamen. Diesen Antrag lehnte das Gericht jedoch im Urteil ab.

"Es ging den Zeuginnen nicht darum, den Angeklagten madig zu machen."

Der Richter beschrieb, wie der Arzt - dokumentiert auf von ihm selbst gefertigten Bildern - die apathisch daliegende Medizinstudentin mit Ultraschallsonden untersucht, mehrmals die Schamlippen gespreizt und ihr dann Sexspielzeug eingeführt hatte - ohne, dass sie das mitbekam. Das wertet das Gesetz als Vergewaltigung, auch wenn kein Geschlechtsverkehr stattfand. Die junge Frau war danach zur Tanzstunde gefahren, wo ihr schwindlig wurde. Ihr fiel auf, dass sie keine Erinnerung an die Untersuchung hatte und ließ sich von ihrem Vater, einem praktischen Arzt, Blut abnehmen. Das Labor stellte einen hohen Wert an Midazolam fest, der sich auch nicht durch eine Drogeneinnahme der Studentin erklären ließ, wie das die Verteidigung nahegelegt hatte. In den Haaren von Romana S. seien keine Rückstände von Drogen gefunden worden, sagte der Richter. "Die Hauptbelastungszeugin hat detailreich, widerspruchsfrei und absolut überzeugend berichtet. Es handelt sich um eine im Leben stehende junge Frau, keinen Medikamenten- oder Betäubungsmitteljunkie. Das ist eine bewusst falsche Behauptung", kritisierte der Richter die Verteidigung. "Die Frau wusste, dass eine Anzeige gegen Doktor W. auch für sie belastend wird." Sie habe den Angeklagten auch nicht als schlechten Menschen dargestellt, sondern als engagierten Arzt. "Wir haben uns hier den Film von der Untersuchung unter Ausschluss der Öffentlichkeit angesehen, es ist nicht vorstellbar, dass sich eine junge Frau diesen Dingen freiwillig unterzieht. Es gibt auch keinen Grund, warum sich eine Familie auf einen ihr bis dahin unbekannten Arzt stürzen und ihn mit einem Lügenkonstrukt überziehen sollte." Mutter, Vater, Schwester und Lebensgefährte von Romana S. hatten übereinstimmend ausgesagt, wie aufgelöst die Studentin war und wie man versucht hatte, herauszufinden, was geschehen war.

Auch die Staatsanwaltschaft bekam Kritik ab. Sie habe niemals richtiggestellt, dass bei Doktor W. nicht Millionen von Missbrauchsbildern gefunden wurden, wie sie öffentlich gemacht hatte, sondern nur eine überschaubare Zahl. Die anderen seien medizinisch bedingt gewesen, erklärte Richter Schmidt.

"Wir haben eine Reihe von jungen Frauen vernommen, sie haben alle übereinstimmende Aussagen gemacht. Sie waren mit der medizinischen Seite der Behandlung sehr zufrieden", sagte der Richter. "Es ging den Zeuginnen nicht darum, den Angeklagten madig zu machen."

Das Gericht ging alle zwölf Missbrauchsfälle durch, Doktor W. wurde dabei immer unruhiger. Dann brach es aus ihm heraus. "Dann hätten Sie doch operiert", rief er dem Richter zu. Noch zweimal rief er dazwischen, dann forderte der Staatsanwalt wegen ungebührlichen Verhaltens 400 Euro Ordnungsgeld oder vier Tage Ordnungshaft. Der Arzt kritisierte, medizinische Tatsachen spielten im Urteil wohl keine Rolle. Der Richter mahnte ihn: "Wir haben sehr lange und mit größter Geduld Ihren Ausführungen zugehört. Sie werden sich beherrschen können. Wenn nicht, dann ziehen wir Ordnungsmittel in Betracht."

Doktor W. verließ nach dem Urteil wortlos den Saal. Seine Verteidigerin sagte, ihm gehe es sehr schlecht. Sie will in Revision gehen. Auch der Staatsanwalt überlegt, ihm ist das Urteil zu milde. Der Richter hatte während der Urteilsbegründung gesagt: "Sie, Doktor W., haben einen tiefen Fall erlebt. Wir haben uns auch gefragt, wie wir Sie noch bestrafen sollen."

© SZ vom 18.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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