Unterfranken:Wie die Hassenbacher ihrem Dorf wieder eine Mitte gaben

Lesezeit: 4 min

Der Freistaat hat das Projekt mit der Denkmalschutzmedaille ausgezeichnet. (Foto: Terhart)

Die Bürger in dem unterfränkischen Ort haben ein baufälliges Haus renoviert - und damit etwas wiederbelebt, das schon ausgestorben schien.

Von Maria Terhart, Hassenbach

Das Gemeindehaus von Hassenbach hat eine Seele. Walter Hartmann kann sie spüren, wenn er durch die Räume geht. Das Knarzen des Holzbodens erinnert ihn daran, wie er der früheren Bewohnerin als Kind die Post gebracht hat. Manchmal hörte die alte Frau sein Klopfen nicht, dann trat er so lange auf eine ächzende Stelle im Boden, bis sie "Herein!" rief.

Ein Zimmer im Obergeschoss, das früher ein Bad war, lässt Hartmann an die Winterzeit denken. Das Wasser sei fast immer gefroren gewesen, erzählt er. Die Frau habe sich weder waschen noch duschen können. Wenn er diese Zeit beschreibt, hört man fast die Geräusche von damals durch die Jahrzehnte hindurch: Die krächzende Stimme der Alten, Kinderfüße auf der Treppe, der Wind, der durch die Fenster zieht.

Mittelfranken
:Ein Dorf kämpft gegen Discounter

Weil die Hofläden so gut laufen, haben Supermärkte in diesem Ort keine Chance.

Von Katja Auer

Der Geruch des Holzes ist gleich geblieben über die Jahrhunderte, die seit dem Bau des Hauses 1779 vergangen sind, doch erst seit kurzem erfüllen wieder Stimmen die Gemäuer im Ortszentrum von Hassenbach (Landkreis Bad Kissingen). Das ist Bürgermeister Gotthart Schlereth und vielen Freiwilligen aus der Gemeinde zu verdanken. Sie restaurierten das Baudenkmal und stemmten sich so gegen den Zerfall - den des Hauses und den der Dorfgemeinschaft.

Denn als 2004 die letzte Gaststätte in Hassenbach zumachte, gab es keinen Ort mehr, wo man sich treffen konnte. Die Vereine hatten es schwer, neue Mitglieder zu finden, und Feste wie die Kirchweih wurde sowieso seit Jahren nicht mehr gefeiert. Dazu kamen die üblichen Probleme auf dem Land: die Jungen ziehen weg, Ärzte schließen ihre Praxen.

"Das Projekt hat die Dorfgemeinschaft wirklich gerettet", sagt Schlereth. Heute nutzen die Vereine den Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss, die Menschen treffen sich wieder am Stammtisch oder zum Frühschoppen. Hinter dem Haus steht ein Holzofen, der vom Obst- und Gartenbauverein zum Brotbacken benutzt wird, im Garten spielen Flüchtlinge Fußball.

Dorfkultur, die schon ausgestorben war

Auf eins aber ist Schlereth besonders stolz: "Die größte Errungenschaft ist die Wiederbelebung der Kirchweih." Auf der Wiese vor dem Haus wird dann ein Zelt aufgestellt, Bier ausgeschenkt, man sitzt zusammen und plaudert. Um den Maibaum laufen Kinder herum. Dorfkultur eben. Im Winter wird der Maibaum gegen einen Weihnachtsbaum ausgetauscht, der "Winterzauber" beginnt, ein Weihnachtsmarkt mit verschiedenen Ständen, Bratwürstl und Glühwein. Noch vor Jahren undenkbar auf dem damals verwilderten Grundstück und mit dem baufälligen Haus, das beinahe symbolisch für die Probleme des Dorfs mit seinen 500 Einwohnern stand.

Die rettende Idee wurde bereits 2003 geboren. Es war die 700-Jahr-Feier, die den Gemeinschaftssinn der Hassenbacher anfachte: 30 000 Euro kamen damals zusammen. Bei der Suche nach einem passenden Verwendungszweck kam Schlereth schnell auf das marode Haus, er wandte sich an das Landesamt für Denkmalpflege. Viele Anträge und Behördengänge wurden fällig, sodass die Sanierung erst 2010 richtig losging. Gut die Hälfte des benötigten Geldes kam aus dem Landesfonds für Denkmalpflege, aber bei Gesamtkosten von 1,1 Millionen Euro, gab es zu Anfang auch viele kritische Stimmen.

Gerade ältere Menschen waren skeptisch, ob man dieses "Gelumb" noch einmal herrichten sollte. "Ich versteh das auch", sagt Schlereth. "Die sind mit der Zerbrechlichkeit von alten Bauwerken aufgewachsen." Menschen, die im Krieg und in der Nachkriegszeit die Zerstörung so vieler Häuser miterlebt hätten, trauten eher neuen Betonbauten. "Aber das sind die ersten, die jetzt am Stammtisch sitzen und sehr stolz auf unser Gemeindehaus sind."

Im oberen Stockwerk befindet sich heute ein Museum zur Geschichte von Hassenbach, hier werden alte Vasen und Tongefäße ebenso ausgestellt wie Schränke und Kleider aus dem vergangenen Jahrhundert. In einer Vitrine liegen kleine braune Flaschen, wie sie einst zur Aufbewahrung von Jod oder Hustensäften gebraucht wurden, seltsame Vorrichtungen aus verrostetem Metall, die früher wohl einem medizinischen Zweck dienten, und sogar eine Pistole. Es sind die Fundstücke aus dem Brunnen vor dem Haus, der erst im Zuge der Restaurierungsarbeiten entdeckt wurde. Sie lassen darauf schließen, dass das Haus zeitweise von einem Arzt bewohnt war.

"Bei der Arbeit haben wirklich viele mit angepackt", sagt Walter Hartmann. Er ist ein leidenschaftlicher Hassenbacher. Seit 17 Jahren engagiert er sich im Sportverein, er half bei dem Bau eines Hochbeets für den Kindergarten und natürlich auch bei der Sanierung des Gemeindehauses. Am Anfang habe er etwa die alten Böden rausgerissen, erzählt er, die schwierigen Dinge hätten aber Handwerker aus der Gegend übernommen. So wie Schreiner Karl-Heinz Eyrich, der die Küche eingebaut hat. "Ich mag solche alten Häuser viel lieber", sagt Eyrich. "Das ist viel interessanter von den Materialien und von der Bauweise her."

Handwerklich die größte Herausforderung war laut Schlereth der Teil des Hauses, der nicht unterkellert war. Diese Ecke stand nur auf morschen Holzbalken, die im Lehm einsanken. Das Haus musste von unten angehoben und die Balken entfernt werden. Anschließend wurde alles wieder abgesenkt, was sich über Wochen hinzog. Jetzt steht das Gebäude sicher auf Stahlstützen. "In der Zeit hätte theoretisch alles zusammenfallen können. Aber ich war schon optimistisch", sagt Schlereth.

Gotthart Schlereth (rechts) und Walter Hartmann sind stolz auf ihr Werk. (Foto: Markt Oberthulba)

Nicht nur das Dorfleben profitierte von der Restaurierung. Sie löste noch ein anderes Problem: Lange gab es keine Arztpraxis in der Umgebung. Nun lebt der Arzt Joachim Hepp neben dem Gemeindehaus, und das nur, weil Denkmalschützer während ihrer Arbeit auch den Wert des Nachbarhauses erkannten. So konnte es ebenfalls unter Denkmalschutz gestellt und restauriert werden. Familie Hepp zog ein und blieb. Ein Happy End also in vielerlei Hinsicht.

Auch für den Denkmalschutz selbst: 2016 zeichnete das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege das Projekt mit der Denkmalschutzmedaille aus, in der Hoffnung, dass andere Gemeinden sich Hassenbach zum Vorbild nehmen. Die Sanierung einer alten Schule im Nachbarort Wittershausen ist schon im Gespräch.

© SZ vom 19.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: