Niederbayern:Das Jahr der Extreme in Triftern

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Erst geht die Gemeinde in der Flut unter, dann gewinnt die Sportschützin Barbara Engleder Gold bei den Olympischen Spielen in Rio.

Von Hans Kratzer, Triftern

Die Annalen von Triftern werden das Jahr 2016 als ein herausragendes Ausnahmejahr vermerken. Nie lagen Tragik und Triumph in dem beschaulichen Markt im Rottal näher beisammen als in diesem Sommer, der mit einem verheerenden Hochwasser begann. Die Schäden in der Gemeinde sind immer noch nicht genau zu beziffern, "wir gehen von vier bis fünf Millionen Euro aus", sagt Bürgermeister Walter Czech.

Nach wie vor werden Häuser abgerissen, deren Mauern mit Öl durchtränkt sind, ganz zu schweigen vom menschlichen Leid, das vom Wasser verursacht wurde. Wochen später wich die Katastrophe wieder aus dem Gedächtnis, abermals stand Triftern im Fokus der Öffentlichkeit: Die dort lebende Sportschützin Barbara Engleder gewann bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro eine Goldmedaille, in ihrem Heimatort war die Begeisterung schier grenzenlos.

Olympia
:"I brauch heut Abend noch a Weißbier" - Schützin Engleder holt Gold

Nach ihrem knappen vierten Platz am ersten Olympia-Tag hat Barbara Engleder das Finale im Dreistellungskampf mit dem Kleinkalibergewehr gewonnen und plant eine bayerische Partynacht.

"Zwei Jahrhundertereignisse, und uns widerfährt das innerhalb von zwei Monaten", wundert sich Bürgermeister Czech noch heute. Doch ungeachtet dessen: "Der Olympiasieg war für uns ein Riesenereignis", schwärmt Czech. "Wir haben der Barbara einen tollen Empfang bereitet." "Mich hat des narrisch gfreit!", sagt Barbara Engleder, die ihren Sieg ausgekostet, aber auch gelernt hat, dass ein Dasein als Olympiasiegerin anstrengend ist, vor allem für eine extrovertierte Person wie sie.

Barbara Engleder war, zumindest redetechnisch, eine der auffälligsten Athletinnen in Rio. Sie sorgte vor allem bei Journalisten für Irritationen, denn sie erklärte ihre Weltsicht stets im breiten Rottaler Dialekt, der prompt missverstanden wurde. Nachdem ihr im ersten Wettkampf eine Chinesin knapp eine Medaille weggeschnappt hatte, sagte Engleder trocken: "So a Matz!" Sie gebrauchte ein Schimpfwort, aber in ihrer Heimat drücken Schimpfworte oft auch ein Kompliment aus. Die Matz war anerkennend gemeint, aber Engleder musste trotzdem Kritik einstecken. "Die ham das einfach nicht kapiert", sagt sie, "aber ich bin halt grod aussa." So sagt man im Rottal, wenn jemand direkt sagt, was er denkt.

Vor den Spielen in Rio lief vieles schief. Über Triftern lag ein Geruch aus Moder und Heizöl, überall türmten sich Schlamm, Müll und Grünzeug, das der zum reißenden Fluss gewordene Altbach in den Ort gespült hatte. "So etwas hatten wir noch nie erlebt", sagt Bürgermeister Czech. Das Hochwasser hatte auch Engleders Haus berührt, zum Glück wurde nur der Keller überflutet. Ebendort aber war ihre Munition gelagert. Die Hälfte davon war durchnässt und nicht mehr zu gebrauchen. Und auch zwei Gewehre wurden vom Wasser beschädigt.

Eine Kraftnatur steckt das weg

"Ich stand ratlos da", erinnert sich Barbara Engleder, die ihren Sohn mitten im Hochwasser mit dem Traktor vom Kindergarten abholte. Beinahe wäre Olympia verloren gewesen. Freilich, eine Kraftnatur wie sie steckt sogar so etwas weg. Einen Verwandten aus ihrer Großfamilie hatte es weitaus schlimmer getroffen. "Dem seine Schreinerwerkstatt ist kaputt, da stand zwei Meter hoch 's Wasser drin."

Das Happy End ihrer schon 16 Jahre dauernden Karriere entschädigt jedoch für viele Mühen und Enttäuschungen. In Rio absolvierte sie ihre vierten Olympischen Spiele. Eine Medaille hatte sie bis dahin noch nicht gewonnen. "Ich hab immer gsagt, wenn ich mal mit dem Schießen aufhöre, dann geh ich mit am Kracher", sagt sie. Und das ist ihr gelungen, auch wenn sie ihre Augen vor den Schattenseiten des großen Sports nicht verschlossen hat. Bei der Ankunft in Rio sah sie vom Luxusbus aus kleine Kinder, die unter Brücken schliefen. "Da hab ich schon ein schlechtes Gewissen bekommen."

Auch ihre eigene Familie hatte es nicht leicht mit ihr - mit einer Mama und Tochter, die neun Monate im Jahr in der Welt herumgondelte und nicht zu Hause war. Als nach dem Triumph von Rio "daheim der Punk abging, kam mein Mann fast ins Schleudern". Das Telefon stand nicht mehr still, Barbara hier, Barbara dort. "Höchste Zeit, dass sich das Fernsehen auf das nächste Frischfleisch stürzt", sagt sie lapidar. Die vielen Ehrungen, die vielen Trittbrettfahrer, die sich im Erfolg sonnen wollen, "das kann nervig werden. I bin ned die Mittelpunktsteherin. I bin a Werkerin".

Engleder genießt hohes Ansehen in Triftern

Barbara Engleder hat die ganze Welt gesehen. "Aber nirgendwo is so schee wia dahoam." Kein Wunder, ist sie doch eine begeisterte Imkerin, außerdem kümmert sie sich um den eigenen Fischweiher. Natur und Heimat bedeuten ihr viel. Als sie zwölf war, hockte sie noch lieber ausdauernd vorm Fernseher. Ihrem Vater gefiel das nicht, und so nahm er sie zu den örtlichen Bergschützen Voglarn mit. Anfangs wenig begeistert, fand sie nach den ersten Erfolgen dann doch Gefallen am Schießsport, der in Niederbayern eine große Tradition hat. Schon 1972 kam ein Olympiasieger aus Pfarrkirchen, er hieß Konrad Wirnhier. Engleders Erfolg stachelt schon jetzt den Ehrgeiz junger Schützenmädchen im Rottal an, wie Bürgermeister Czech festgestellt hat.

In ihrer Heimat steht Barbara Engleder auch wegen ihrer menschlichen Qualitäten in hohem Ansehen. "Sie hat keine Star-Allüren, beteiligt sich sehr aktiv am Vereinsleben und ist bei allen Festen dabei", sagt Czech. Und wenn es sich ergibt, dann bedient sie auch die Gäste. Beim Benefizabend für die Hochwasseropfer von Triftern in München am Mittwoch wird sie allerdings fehlen. Seit Montag ist sie im Urlaub, Sport und Politik ruhen jetzt. Seit 2008 sitzt Barbara Engleder für die ÖDP im Kreistag von Rottal-Inn. Sie engagiere sich aus Prinzip, sagt sie, denn: "Wer 's Maul ned aufmacht, braucht sich nicht beschweren, wenn er nix erreicht."

© SZ vom 27.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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