Theater im Gefängnis:Mörder auf der Bühne

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Die Schauspieler der Theatergruppe der JVA Straubing haben zusammen 50 Menschen auf dem Gewissen. Aber auf der Bühne ist es egal, wer sie im wirklichen Leben sind.

Von Christiane Lutz

Als Heiko zu sprechen beginnt, wandert seine volle, tiefe Stimme bis hoch unters Dach der Halle. Er könnte mit dieser Stimme auf Volksfesten und Stammtischen hervorragend Reden halten. Könnte. Doch die Halle, in der Heiko spricht, gehört zur Justizvollzugsanstalt Straubing. Die Bühne, auf der er steht, ist die der Theatergruppe der JVA. Und Heiko ist Insasse dieser JVA. Straubing ist ein Hochsicherheitsgefängnis, dort sitzen die harten Fälle. Mord, Vergewaltigung, sechs Jahre aufwärts. Heiko wird also noch lange keine Gelegenheit haben, auf Volksfesten zu sprechen, sollte er das wollen. Aber er kann Theater spielen.

Es ist ein lieblicher Frühlingstag in Straubing, der Eingang zur JVA könnte, wenn man es nicht besser wüsste, auch der Zugang zu einem Park oder einer Schlossanlage sein. Alfred Jurgasch steht schon bereit vor der Mehrzweckhalle, er trägt eine froschgrüne Fliege. Jurgasch ist Pharmazeutisch-technischer Assistent, Mitglied mehrerer Laien-Schauspielgruppen und der Regisseur der Theatergruppe der JVA, seit 17 Jahren schon. Jedes Jahr entwickelt er mit den Gefangenen ein Stück, die Proben ziehen sich über Monate. "Zweimal die Woche 90 Minuten Probe, mehr ist nicht drin", sagt er. Der Zeitplan im Gefängnis lässt das nicht zu.

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In der Mehrzweckhalle, die der Luft zu schließen nach meist zu Sportzwecken genutzt wird, ist alles schon vorbereitet: Bühne, Stühle, Kostüme. In der Woche vor der Premiere aber kriegt Jurgasch ein paar mehr Stunden für die Probe. In diesem Jahr, zum 40. Jubiläum des JVA-Theaters, hat er das Stück "Schwere Jungs" ausgesucht, eine Komödie von Frank Pinkus. Darin geht es um die Theatergruppe eines Gefängnisses, die eine Szene aus Shakespeares "Sommernachtstraum" einstudiert. "Tragödien haben wir hier noch nie probiert", sagt Jurgasch, "ich glaube, das trauen sich die Gefangenen weniger zu, sie haben Angst vor der Schwere."

Die Schwere. Davon haben die mehr als 800 Insassen der JVA genug. Freiheitsstrafe bedeutet ja nicht nur ein Leben auf wenigen Quadratmetern, sondern den beinahe vollständigen Verlust der Individualität. Das beklemmt, obwohl natürlich jeder weiß: Hier landet keiner einfach so. Alfred Jurgasch sagt, er denke nicht darüber nach, warum der oder jener im Gefängnis sitze, "das interessiert mich auch nicht. Ich behandle die Männer wie meine anderen Laien-Schauspieler, nur wohnen diese hier halt an einem speziellen Ort."

Es lohnt sich, bei einer Sache zu bleiben

Die Tatsache, dass viele der Schauspieler so lange im Gefängnis säßen, komme der Theaterarbeit zugute, sagt Jurgasch. Manche der Männer kennt er schon seit Jahren. Sie haben gelernt, dass es sich lohnt, bei einer Sache zu bleiben, weil sie eben nicht bald wieder raus sind. Keiner von ihnen hat schauspielerische Erfahrung. Die wenigsten haben überhaupt ein Theater von Innen gesehen. Aber sie wissen, dass auf den 180 Stühlen bald Angehörige und Neugierige sitzen werden.

"Die Schauspieler sind die einzigen, die direktes Feedback für ihre Arbeit bekommen", sagt Jurgasch. Sicher verkauft der ein oder andere Insasse mal ein Kunstwerk oder eine getöpferte Vase, aber den Käufer sieht er nie. Beim Theaterspielen hingegen ist der Zuspruch in Form von Applaus unmittelbar. Und Zuspruch, das sagt Jurgasch pauschal, hätten die Männer in ihrem Leben eher wenig bis überhaupt nicht bekommen. Ein Verbrechen ist eben häufig nicht nur auf eine denkbare Weise tragisch.

Heiko mit der tiefen Stimme wollte anfangs überhaupt nicht beim Theater mitmachen. Er ließ sich von einem Küchen-Kollegen ins Bühnenbau-Team überreden und spielte plötzlich selbst mit. Jetzt spielt er Klaus, der, wie er selbst, anfangs nichts vom Theater wissen will und am Ende gar nicht mehr aufhören mag. Das Textlernen war für ihn das größte Problem, er verhaspelt sich gern, dann geben ihm die Kollegen das Stichwort. "Ich hab' total Schiss vor einem Texthänger", sagt er, "aber Theater ist eben ein Spiel ohne doppelten Boden." Wie das Leben auch.

Die "Schweren Jungs" beginnen ihr Spiel, erste Szene: zwei Entlassene stehen vor den Toren der auf Leinwand gezeichneten JVA. Einer hat versucht, ein Bürogebäude in die Luft zu sprengen, der andere hat jemanden umgebracht. Dann Rückblende in zwei karge Gefängniszellen, in denen sich die Insassen kabbeln und von einer Theaterpädagogin zur Probe gebeten werden. Das kann nur witzig finden, wer es schafft zu vergessen. "Manche Zuschauer packen das nicht", sagt Jurgasch, "diese Abstraktion von Person und Rolle. Die sehen immer nur Verbrecher auf der Bühne."

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Natürlich kann es emotional kompliziert werden, wenn eine Gefängnis-Theatergruppe ein Stück über eine Gefängnis-Theatergruppe einstudiert und Mörder Mörder spielen. Nur eben den lustigen Klischee-Mörder. In Wirklichkeit haben die sieben Schauspieler zusammen 50 Menschenleben auf dem Gewissen. Aber, und das ist das Besondere am Theater, auf der Bühne ist es egal, wer du im wirklichen Leben bist, so lange du es schaffst, den Zuschauer zu berühren. Ihn zum Lachen zu bringen, ist da eine ganz heilsame Form von Berührung.

"Theater verändert Menschen"

Natürlich soll Jurgaschs Arbeit nicht nur Spaß machen, sondern auch einen pädagogischen Effekt haben. Die Männer sollen erfahren, was es heißt, füreinander einzustehen. Gemeinsam etwas zu erschaffen. Das Stichwort geben, wenn einer nicht weiter weiß. Jurgasch selbst, der für seine Arbeit nur eine Aufwandsentschädigung bekommt, ist kein Gutmensch-Typ, der die Männer unbedingt verbessern will. Er beobachtet einfach gern, wie sich Menschen unter seinem Vertrauen entwickeln, wie sie sich nach erster Überforderung dann doch wagen. "Theater", daran glaubt er fest, "Theater verändert Menschen."

Das Ende des Stücks geht so: Die Shakespeare-Aufführung war ein großer Erfolg und Jahre später treffen sich die "Schweren Jungs" vor der JVA, um den letzten von ihnen nach seiner Entlassung zu empfangen. Einer von ihnen sagt: "S'Leben fängt jetzt erst an." Jurgasch ist zufrieden, die Probe ist zu Ende. Und das, was demnach nicht das Leben ist, geht weiter.

© SZ vom 15.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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