Tagung in Bamberg:Markstein des modernen Bayern

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Vor 100 Jahren bekam der Freistaat seine erste demokratische Verfassung. Lange unterschätzt, gilt sie heute als Wegbereiter des Rechtsstaats

Von Hans Kratzer, Bamberg

Im Dezember 1946 bekam das Land Bayern eine moderne Verfassung, die inhaltlich so anrührend ist, dass sie gelegentlich sogar mit einem Liebesbrief verglichen wurde. Für die Menschen ist diese Verfassung ein nobles Geschenk. Die halbe Welt wäre froh, wenn sie einen solchen Schatz besäße. Und doch nehmen ausgerechnet diejenigen, die am meisten profitieren, von dieser Errungenschaft nur geringe Notiz. Die Verfassung des Freistaates Bayern führt im öffentlichen Leben ein Nischendasein. Immerhin gibt es jährliche Verfassungsfeiern, ausgerichtet vom Verein "Bayerische Einigung", die an die Bedeutung der Verfassung erinnern und durch Wettbewerbe auch junge Menschen motivieren, sich damit zu befassen.

Bis heute wird Geschichte häufig als Geschichte der Herrscher und der Mächtigen vermittelt. Insofern herrscht in der Bildungsarbeit ein krasses Defizit an Demokratiegeschichte. Diesen Mangel soll unter anderem das künftige Museum der Bayerischen Geschichte in Regensburg beseitigen. Die bayerische Verfassungsgeschichte und die Entstehung der Demokratie sollen dort einen zentralen Platz einnehmen. Es fügt sich gut, dass das Museum im Jahr 2018 eröffnet wird. Dann ist es nämlich 200 Jahre her, dass die erste bayerische Verfassung von 1818 in Kraft getreten ist und knapp 100 Jahre, dass die erste demokratische Verfassung in Bayern gültig wurde. Diese wurde 1919 in Bamberg verabschiedet, weshalb an diesem Freitag und Samstag im dortigen Staatsarchiv eine rechtshistorische Tagung läuft. "100 Jahre Bamberger Verfassung" lautet das Thema der Veranstaltung, bei der so manches bisherige Urteil revidiert werden soll.

Zweifellos hatte die Bamberger Verfassung von 1919 Schwächen, und sie war auch nur von kurzer Dauer. Sogar Wilhelm Hoegner, der Vater der modernen bayerischen Verfassung, hielt nicht viel von ihr. 1949 urteilte er: "Die bayerische Verfassung von 1919 entbehrt der schöpferischen Gedanken. Sie wurde nie volkstümlich und führte neben der Reichsverfassung von Weimar ein Schattendasein."

"Heute würden wir Hoegners herbes Urteil differenzieren", sagte der Münchner Historiker Hermann Rumschöttel am Freitag bei seinem Vortrag in Bamberg. Er nannte die Bamberger Verfassung von 1919 "das Dokument einer Hoffnung, die sich letztlich erst 1946 erfüllte". Auch wenn diese Verfassung nur bis 1933 bayerische Wirklichkeit gestalten konnte, sei sie bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein Wegweiser in eine demokratische Zukunft gewesen. "Die Bamberger Verfassung hat unsere moderne Verfassung mitgeprägt", sagte Rumschöttel.

Entstanden ist dieses Papier in der chaotischen Zeit kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Nach der Ermordung von Ministerpräsident Kurt Eisner am 21. Februar 1919 versuchten linksradikale Kräfte in München ein Rätesystem nach russischem Vorbild zu installieren. Die Regierung unter dem Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann (MSPD) wich mit zahlreichen Landtagsabgeordneten nach Bamberg aus, wo der von der Regierung vorgelegte Verfassungsentwurf beraten wurde. Zwischenzeitlich aber hatte sich in Weimar die verfassunggebende Nationalversammlung konstituiert. Bayern konnte wegen der inneren Unruhen auf die Gestaltung der Weimarer Reichsverfassung kaum Einfluss nehmen. Am 12. August 1919 in Kraft getreten, reduzierte diese zunächst die eigenstaatliche Gesetzgebungskompetenz der Länder. Sie machte die Länder finanziell vom Reich abhängig und beseitigte deren Sonderrechte.

Mit der kurz darauf (14. August 1919) unterzeichneten Bamberger Verfassung dokumentierte Bayern trotzdem seine Eigenstaatlichkeit im Deutschen Reich. Zudem war sie nach dem Sturz der Monarchie die erste demokratische Verfassung in Bayern. Die früheren Rechte des Königs wurden nun vom Landtag und von der Regierung wahrgenommen. Weil das Bundesrecht von da an das Landesrecht brach, war es für Bayern allerdings schwierig, im weithin zentralisierten Deutschen Reich eine föderalistische Politik zu betreiben.

Trotzdem: "Auch mit den damals kaum genutzten Möglichkeiten der Verfassungsbeschwerde, des Volksbegehrens und des Volksentscheides oder mit der Postulierung von Grundrechten wies die Bamberger Verfassung in die Zukunft", resümierte Rumschöttel in seinem Vortrag. Der Historiker Wolfgang Ehberger sprach sogar von einer Omnipräsenz der Bamberger Verfassung bei den Beratungen für die heute gültige Verfassung von 1946 und nannte sie "einen zentralen Markstein auf dem Weg Bayerns zum freiheitlich-demokratischen Rechts- und Verfassungsstaat moderner Prägung". Nachdem die Nationalsozialisten die Bamberger Verfassung 1933 demontiert hatten, wurde die verfassungsrechtliche Eigenständigkeit Bayerns 1946 wieder hergestellt.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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