Schminkkurs für Krebspatientinnen:Wenn die Haare beim Tanzen davonfliegen

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Die Schminkkurse für Krebspatientinnen am Uniklinikum Erlangen sollen auch den Heilungsprozess unterstützen. (Foto: dpa)

Der tägliche Kampf ums Überleben wird auch zum Kampf mit dem Spiegelbild: Krebserkrankungen hinterlassen neben seelischen auch fast immer äußerliche Spuren. Schminkkurse für Patientinnen sollen den Heilungsprozess unterstützen.

Eine Reportage von Katja Auer

Erst die Reinigungsmilch ganz sanft mit dem Wattepad verreiben. "Seien Sie zärtlich", sagt Seminarleiterin Elisabeth Wolf. Fünf Frauen streichen sich übers Gesicht. Jede hat einen runden Schminkspiegel vor sich und einen ganzen Beutel voller Kosmetikprodukte.

Monika Saffer hat ihre Brille abgenommen. Und ihre Haare. Unter der Perücke sind zurzeit nur ein paar Stoppeln. Die 39-Jährige ist krebskrank, wie alle Teilnehmerinnen am Schminkkurs für Krebspatientinnen am Uniklinikum in Erlangen.

Jetzt die Creme. "Die Ohren nicht vergessen, die schrumpeln nämlich auch", sagt Elisabeth Wolf. Sie weiß, wie sich die Krankheit anfühlt, vor zehn Jahren bekam sie selbst die Diagnose. Heute ist sie gesund und ihre 75 Jahre sieht man der ehemaligen Schulleiterin auch auf den zweiten Blick nicht an. Sie ist sorgfältig geschminkt, natürlich, und auch während ihrer Krankheit habe sie sich mit Make Up und Lippenstift immer besser gefühlt, sagt sie.

Deswegen gibt sie seit acht Jahren diese Kurse. Die veranstaltet die gemeinnützige Gesellschaft DKMS life kostenlos für die Patientinnen, "denn sich wohlfühlen fördert das Selbstwertgefühl und unterstützt den Heilungsprozess", heißt es im Prospekt. 200.000 Frauen in Deutschland erkranken nach Angaben der DKMS jedes Jahr an Krebs und der hinterlasse neben den seelischen auch fast immer äußerliche Spuren wie Haarausfall oder Hautirritationen. "So entwickelt sich der Kampf ums Überleben auch zum täglichen Kampf mit dem Spiegelbild."

Dagmar Rentsch hat dunklen Lidschatten aufgetragen, die Wangen sehen frisch aus vom Rouge. "Früher war ich immer geschminkt", sagt die 60-Jährige. Da konnte sie noch arbeiten, dann kam der Krebs. Seit 25 Jahren ist sie krank. "Ich bemühe mich, positiv zu denken", sagt sie. Trotzdem hat sie irgendwann aufgehört, sich jeden Tag zu schminken - bis auf den Lippenstift. Von ihren Ärzten hat sie den Rat bekommen, sich beim Seminar anzumelden.

Niemand mag es, angestarrt zu werden

Denn da geht es nicht nur um praktische Tipps. "Die Patientinnen haben mal Zeit für sich", sagt Elisabeth Wolf. Draußen scheint die Sonne, Studenten laufen auf der Straße vorbei. Die Teilnehmerinnen sind beim Make Up angekommen. "Sie müssen solange drücken, bis es gleichmäßig ist", erklärt Wolf und lässt die Damen ihre Gesichter tupfen.

"Ich seh aus wie ein Clown", sagt Monika Saffer, sie hat einen zu hellen Farbton erwischt. Ihr Gesicht ist gebräunt, Arme und Schultern ebenso und wäre da nicht der kahle Kopf, man würde ihr die Krankheit nicht ansehen. Soll man auch nicht, sagt sie. Deswegen trägt sie Perücke, weil die Leute ohnehin schauen.

Vor vier Wochen hat sie die Haare abrasiert, als die immer dünner wurden wegen der Chemotherapie. "Da mach ich nicht lange rum", sagt sie. 39 Jahre ist sie alt, ihre Diagnose lautet Brustkrebs. Kürzlich war sie Motorradfahren, erzählt sie, und wollte unter dem Helm keine Perücke tragen. Nur ein Tuch hat sie um den haarlosen Kopf gewickelt. Und auch da hätten die Leute gegafft. Das mag hier keine leiden, angestarrt zu werden.

Elisabeth Wolf beginnt mit den Malarbeiten, wie sie es nennt. Lidschatten, Rouge, Lippenstift. Und Augenbrauen. Es kann sein, dass während der Chemotherapie nicht nur die Haare auf dem Kopf ausfallen, sondern auch Augenbrauen und Wimpern. Barbara Müller verzieht schmerzhaft das Gesicht, als Wolf das erzählt. "Dann hat man ja gar nichts mehr im Gesicht", sagt sie.

Auch sie hat die Haare abrasiert, bevor sie von selbst ausfallen. "Das ist für eine Frau schon schlimm", sagt sie. Seit einer Woche ist sie kahl, das fühle sich nackig an, sagt sie, und kühl. Im Mai hat die 37-Jährige erfahren, dass sie Brustkrebs hat. Schon zum zweiten Mal. Vor fünf Jahren war sie an der anderen Brust erkrankt. Die erneute Diagnose sei ein Schock gewesen, sagt sie. Die junge Frau hat möglicherweise den Gendefekt, der die Schauspielerin Angelina Jolie kürzlich dazu bewog, sich beide Brüste abnehmen zu lassen. Vorsorglich.

Zwei Damen von der Gesellschaft für Haarästhetik in Fürth sind inzwischen im Seminarraum dazugekommen. Sie haben Perücken dabei aus echten und künstlichen Haaren, Mützen, Tücher und Haarteile. Julia Cerny erklärt, wie das falsche Haar auf dem Kopf hält. Sie trägt selbst Perücke, sie hat Alopecia, Haarausfall.

Cerny erzählt, wie sie mal die Perücke mitsamt Fahrradhelm abgenommen hat und wie ihr die Haare beim Walzertanzen davongeflogen sind. "Das sind so Momente, die empfehle ich keinem", sagt sie. Sie lacht dabei und die Damen im Raum tun es auch. Die anfänglichen Hemmungen sind längst gefallen, mit lippenstiftroten Lippen und getuschten Wimpern versichern sich die Teilnehmerinnen gegenseitig, wie positiv sich ein bisschen Farbe im Gesicht auswirkt. "Man muss etwas für sein Wohlbefinden tun", sagt Barbara Müller. Sie hat ein ausdrucksstarkes Gesicht und frisch geschminkt sieht sie noch attraktiver aus. Gar nicht krank. Dann muss sie zur Chemotherapie.

© SZ vom 18.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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