Schausteller-Messe:Geschäfte zwischen Blinklichtern und Stoffherzen

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Die bunte Welt der Schausteller präsentiert sich in Augsburg. Hundert Firmen aus ganz Europa zeigen ihre Produkte für Volksfeste. (Foto: dpa)

In Augsburg treffen sich Schausteller zu ihrer großen Jahrestagung - mit viel Gaudi, aber auch mit Klagen. Viele kämpfen ums Überleben, kleine Volksfeste sterben aus.

Von Stefan Mayr, Augsburg

Noch nie war ein Messe-Eingang so unübersehbar und unüberhörbar. Zwei rote Riesenpfeile blinken um die Wette mit all den grünen und blauen Sternen, von irgendwo her tönen sowohl Sirenen-Geräusche als auch Drehorgel-Musik. Ist das hier die Augsburger Schwabenhalle oder die Reeperbahn? Hereinspaziert in die Interschau, die Messe für Schausteller und Erlebnis-Gastronomen.

Es blinkt und dudelt überall, aber in all dem Getöse gibt es einen ruhenden Pol: Josef Diebold, Vorsitzender des Schwäbischen Schausteller-Verbands. Sein Telefon klingelt zweimal pro Minute und noch öfter stupsen ihn Menschen an und stellen irgendeine ganz wichtige organisatorische Frage. Und Diebold, den alle nur "Joe" nennen, macht einen Scherz: "Wir Schausteller schaffen das."

Der 50-Jährige hat die ganze Schaustellerszene Deutschlands und auch etliche Firmen und Familien aus Österreich, Italien, Holland und Belgien nach Augsburg gelockt. Er und seine Kollegen haben die dreitägige Delegierten-Versammlung des Deutschen Schausteller-Bundes (DSB) organisiert - und ganz nebenbei erstmals seit acht Jahren wieder die Interschau aus dem Boden gestampft. Mehrere Tausend Besucher sind in der Stadt, zum Rahmenprogramm gehören auch zwei Partys - eine für die Jugend, eine für die älteren Herrschaften. "Wo gearbeitet wird, darf auch gefeiert werden", sagt Diebold. Aber es gibt nicht nur Grund zum Strahlen, die Schausteller plagen auch Sorgen.

Die Schausteller finden, sie werden diskriminiert

"Wir Schausteller werden diskriminiert", sagt DSB-Boss Albert Ritter. "Wir müssen acht Cent pro Kilowattstunde mehr zahlen als jeder Bäcker und Schlosser", schimpft er. Über dies und "zu viel Bürokratie" und die seiner Meinung nach überzogenen Sicherheitsanforderungen wollten sie mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und EU-Kommissar Günther Oettinger am Freitagabend ein ernstes Wörtchen reden.

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Vorher ist aber ein Messe-Rundgang Pflicht. Es ist ein Kopfsprung in eine andere Welt. Was es alles für Firmen gibt; Ein Fahrchip-Hersteller ist hier, ein Lose-Produzent und gleich mehrere Hersteller von überdimensionalen und - natürlich - bunten Stofftieren und -herzen. Der Lakritze-Mann ist aus Finnland gekommen, um seine neuesten Kreationen zu präsentieren. Hundert Aussteller sind es insgesamt. Am allergrellsten ist es bei der "Mareck Lichttechniek". Wenn Chef Marcel Jansen auf den Knopf drückt, dann hilft nur noch: Augen zukneifen. Besonders stolz ist Jansen auf sein neues System, mit dem er seine LED-Blitze und -Donner jetzt drahtlos steuern kann.

Auf bis zu 10 000 Besucher hoffen die Veranstalter bis Sonntag

Überhaupt ist die Stimmung hier lauter, bunter und entspannter als auf anderen Messen. Mehr Kirmes als Messe halt. Man duzt sich hier durchgängig und von Anfang an.

Die Interschau war einst die europäische Leitmesse mit bis zu 400 Ausstellern. Doch in den vergangenen Jahren war sie eingeschlafen. Jetzt wurde sie wiederbelebt - zunächst in kleinerem Format, aber immerhin. "Wir wollen nicht mehr nach Göteborg oder Genua fahren, um Made in Germany zu kaufen", sagt DSB-Chef Ritter. Die Veranstalter hoffen bis Sonntag auf bis zu 10 000 Besucher. "Das ist ein mutiges Projekt", sagt Chef-Organisator Josef Diebold.

Der Rummelplatz-Clan: Edmund Diebold (li.) begann einst mit einem Autoscooter, Sohn Josef (hinten mitte) ist heute Schwabens Schausteller-Chef. (Foto: Lienhart Gregor)

Er ist der Spross einer alteingesessenen Augsburger Rummelplatz-Familie. Sein Vater Edmund baute nach dem Krieg eigenhändig einen Auto-Scooter zusammen. Heute haben die Kinder und Enkel des 78-Jährigen ein halbes Dutzend Fahrgeschäfte auf dem Augsburger Plärrer stehen. Josef Diebold betreibt den "Orient-Zauber", ein Kinderkarussell mit zwei Etagen. "Zuletzt war es schwierig", berichtet er. Die demografische Entwicklung, weniger Kinder bedeuten weniger Umsatz. "Gleichzeitig sind die Kosten für Personal, Strom und Gebühren gestiegen", erzählt er. "Aber wir haben den Gürtel enger geschnallt und überlebt. Jetzt geht's wieder a bissle aufwärts."

Der schleichende Tod der kleinen Volksfeste

Er hat schon einen besonderen Beruf: Man bringt Kinderaugen zum Leuchten, macht Menschen glücklich und beschert ihnen schöne Erinnerungen. Aber viele Schausteller müssen ums Überleben kämpfen. "Es ist schwieriger geworden", sagt auch DSB-Chef Albert Ritter. Das Mittelstands-Entlastungsgesetz sei in einigen Bundesländern für Schausteller bis heute nicht umgesetzt. Die Dokumentationspflicht für den Mindestlohn nervt, und vor allem zwei Dinge gefährden ihm zufolge die Existenz vieler Betriebe: Erstens die "moderne Wegelagerei" der GEMA und zweitens die neue EU-Sicherheitsnorm, die in Deutschland viel strenger gehandhabt werde als anderswo.

Zudem befürchten die Schausteller den schleichenden Tod der kleinen Volksfeste. "Die müssen neben den berühmten Groß-Events gepflegt werden", fordert Josef Diebold. Zuletzt hat es das Volksfest in Neu-Ulm erwischt: Es wurde ersatzlos gestrichen, weil auf dem Rummelplatz eine Multifunktionshalle errichtet wurde. In Lindau drohte das gleiche Schicksal wegen des Ausbaus der Inselhalle. Doch der Schwäbische Schaustellerverband warf sich dazwischen und handelte mit der Stadt eine Lösung aus. Das Volksfest zog um aufs Hafen-Areal. "Das war ein Knaller", sagt Diebold. Jetzt steht das Riesenrad direkt am Hafen. Schöner war es noch nie.

Nachwuchs-Probleme haben die Schausteller trotz allem nicht. "Im Gegenteil", sagt Albert Ritter. Josef Diebolds drei Töchter sind bereits in der Branche tätig.

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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