Quelle in Nürnberg:Zwangsversteigerung einer Traumimmobilie

Lesezeit: 4 min

Sechs Jahre nach der Quelle-Insolvenz kam das ehemalige Versandzentrum des untergegangenen Handelsriesen in Nürnberg unter den Hammer. (Foto: dpa)
  • Seit der Insolvenz vor sechs Jahre war das alte Versandzentrum von Quelle in Nürnberg ein Paradies für Kreative und Künstler.
  • Das Gebäude ging für 16,8 Millionen Euro an den portugiesischen Investor Sonae Sierra, einen Spezialisten für Shoppingcenter.
  • Nun wollen die neuen Eigentümer aus Portugal darin ein Einkaufszentrum einbauen.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Es gibt die Legende eines Getränkehändlers, der im Quelle-Versandhaus an einem Freitagnachmittag die Automaten befüllen wollte. Der Mann verirrte sich und soll Stunde um Stunde in dem Labyrinth umhergeirrt sein, in den Hallen, Innenhöfen, Korridoren, die sich hinter dem Bau an der Fürther Straße verbergen. Am Ende soll er sich nicht anders zu helfen gewusst haben, als die Scheibe eines Feuermelders einzuschlagen. Von den Werksfeuerwehrmännern ging die Kunde, diese seien die einzigen, die sich wirklich auskennen in dieser Stadt in der Stadt mit einer Viertelmillion Quadratmeter Fläche.

Nun musste der Bau zwangsversteigert werden, auf den Tag genau sechs Jahre, nachdem die Quelle, früher einer der größten Arbeitgeber der Region, Insolvenz angemeldet hat. Das Gebäude ging, wie allgemein erwartet, für 16,8 Millionen Euro an den portugiesischen Investor Sonae Sierra, einen Spezialisten für Shoppingcenter. Ein Gläubiger, eine Schweizer Großbank, hatte den Antrag auf Zwangsversteigerung gestellt. Sierra war der einzige Interessent, der mitgeboten hat im "Casino", in dem bis 2009 Quelle-Mitarbeiter zu Mittag gegessen haben.

Wobei man darüber streiten könnte, ob die Portugiesen wirklich die einzigen Bieter waren. Eine zweite Interessentin trat ebenfalls vor die Rechtspflegerin des Gerichts und gab ein Angebot ab. Für "Liebe und Glück" wollte sie den Bau erwerben, findet aber, sie sei vom Gericht "gar nicht richtig ernst genommen" worden.

1 / 3
(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Ein Trauerfall: Kreative fürchten nach der Versteigerung um ihr billiges Quartier.

2 / 3
(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Der riesige Gebäudekomplex am Stadtrand soll teilweise in ein Shoppingzentrum umgewandelt werden. Das war er schon mal in gewisser Hinsicht.

3 / 3
(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Wo einst die Beschäftigten speisten: Am Dienstag wurde im Casino die Zentrale des ehemaligen Versandhändlers Quelle zwangsversteigert.

Wie Künstler das Quelle-Areal bevölkern

Es bleibt nicht die einzige kuriose Begleiterscheinung dieser Zwangsversteigerung, was vor allem daran liegt, dass der Quelle-Bau in den sechs Jahren seit der Insolvenz zur Heimat von Kreativen und Künstlern geworden ist. Etwa 170 Mieter nutzen das Labyrinth an der Grenze zur Stadt Fürth, gemeinsam bespielen sie aber kaum zehn Prozent des denkmalgeschützten Gebäudes. Die Quadratmeterpreise auf Quelle sind überschaubar, und so konnten sich Mieter wie Hannes Hümmer und Elnaz Amiraslani einnisten und dort einen Ort schaffen, wie es ihn sonst in Nordbayern kaum gibt.

Künstler statt Versandhändler
:Die neuen Quellianer

Künstler, Designer und Architekten haben sich auf dem Areal des einstigen Versandhändlers Quelle in Nürnberg eingerichtet. Doch ein Großteil des denkmalgeschützten Gebäudes steht vier Jahre nach der Pleite wegen der ungeklärten Eigentumsverhältnisse leer.

Von Olaf Przybilla

Gemeinsam betreiben die beiden ein Tonstudio auf Quelle, und wenn es ein größeres Projekt gibt für ihr Musiklabel, "dann können wir das nahezu ausschließlich mit Kreativen aus dem Haus stemmen", sagt Amiraslani. Direkt nebenan sitzen ein Grafiker, ein Produzent, ein Fotograf, ein Produktdesigner, ein Textildrucker. Alles, was man so braucht. Amiraslani erzählt, wie stolz sie Kollegen aus Berlin über die schier endlosen Gänge dieses Gebäudes geführt hat, wie lässig die das fanden und wie sehr man gehofft hat, dass das immer so weitergeht auf Quelle.

Wie der Komplex genutzt werden soll

Wobei, eigentlich hoffen sie das auch weiterhin. Denn der Investor aus Portugal hat kurz vor der Versteigerung noch mal Werbung in eigener Sache gemacht. Jawohl, man plane ein Shoppingcenter dort, wo früher die Päckchen des Wirtschaftswunders übers Band gingen. Allerdings muss sich, so lautet die Vorgabe der Stadt, der Investor an die festgelegten 18 000 Quadratmeter Einkaufsfläche halten, was überschaubar ist angesichts von 250 000 Quadratmetern Fläche. Und ein "Kreativzentrum" solle eben auch entstehen.

Das gebe es doch längst, sagt der Fotograf und Quelle-Mieter Peter Kunz belustigt, "das muss Sonae nicht erst erfinden". Derzeit kostet der Quadratmeter Miete etwa fünf Euro, wie das nach dem Umbau zu einem kombinierten Shoppen-Wohnen-Arbeiten-Freizeit-Center aussehen wird, können sich die jetzigen Mieter ausmalen. Innerhalb der nächsten drei Monate könnte ihnen gekündigt werden, das bringt eine Zwangsversteigerung so mit sich.

Für Kunz ist die Quelle-Story auch eine ganz persönliche Geschichte. Er ist aufgewachsen gleich neben dem großen Schickedanz-Anwesen in Fürth, fast jeden Tag "fuhr der Versandhauskönig an unserm Haus vorbei", erzählt er. Kunz hat sich die Geschichte immer wieder angehört, wie das war mit einem der Hauptprotagonisten des Wirtschaftswunders. Wie Gustav Schickedanz gemeinsam mit seiner Frau das größte Versandhaus Europas aufbaute.

Wie das 1927 in Fürth gegründete Versandhaus in der Fünfzigerjahren der Flut von Bestellungen gar nicht mehr Herr zu werden drohte. Und wie also Grete und Gustav Schickedanz beschlossen, die Sache mit dem Versand richtig groß aufzuziehen. Und zwar nicht in Fürth, sondern in Nürnberg, im größten und damals modernsten Versandzentrum Europas.

Warum das Gebäude ein Problem für Inverstoren sein kann

Das galt mit seinen schier endlosen Fließbändern als eine technische Sensation. Ein "Konsumkraftwerk", wie Kunz das nennt, das im Sekundentakt Pakete ausspukte. Der Entwurf für diese Traummaschine stammte von einem der wichtigsten deutschen Architekten der Nachkriegsgeschichte, von Ernst Neufert, einem Bauhausschüler und Gropius-Mitarbeiter. Der funktionalistische Quader mit seinen fortlaufenden Fensterbändern mag nicht jedermanns Sache sein, der Bau aber wirkt trotz seiner monumentalen Größe erstaunlich leicht. Und er steht längst unter Denkmalschutz. Was ein Problem ist für Investoren, denn einfach abreißen dürfen sie das Neufert-Gebäude nicht. Einer der Gründe, warum sämtliche hochfliegenden Pläne für das Haus zerstoben sind bisher.

Ein Cover eines alten Quelle-Katalogs. Die waren zeitweise mindestens tausend Seiten lang und zwei Kilo schwer. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Die Stadt wollte die Immobilie nicht selbst entwickeln. Der Freistaat wiederum verzichtete lieber darauf, dort Teile der Universität unterzubringen. Die extremen Raumtiefen und der drohende Sanierungsbedarf schreckten Finanzminister Markus Söder, Nürnbergs CSU-Chef, ab. Er setzt lieber auf die AEG-Brache gegenüber. Weniger als 20 Prozent des Quelle-Gebäudes werden derzeit genutzt, für das meiste Leben sorgten bislang die Kreativen.

Was die Kreativen nun vorhaben

Leute wie Christian Weiß. Er hat eine Crowdfunding-Aktion initiiert, die sich zum Ziel gesetzt hatte, Quelle für die Bürger der Stadt zu sichern. Jedenfalls symbolisch. Nein, sagt er nach der Versteigerung, wirklich ernsthaft habe nie einer erwartet, dass das gelingen könnte. Am Ende hatte man 7000 Euro zusammen, angesichts der notwendigen 17 Millionen würde das gerade für ein Waschbecken einer Nasszelle reichen, nicht für den gesamten Bau.

Insolvenz von Quelle
:Rauswurf, dann Ausverkauf

Last-Minute-Kündigung: Ein schlichter Anruf bedeutete für rund 1900 Quelle-Mitarbeiter das sofortige Aus. Gewerkschafter werfen dem Insolvenzverwalter schlechten Umgang vor.

Weiß blickt auf einen Trauerkranz vor dem Gebäude, sechs Jahre durften die Kreativen von Quelle ihren Traum leben. Wie es weitergeht? Alle wollen mit dem neuen Eigentümer sprechen, sagt er. Gebe es ein akzeptables Angebot, wolle man als Kollektiv bleiben. Falls nicht, würden die meisten wohl aus Nürnberg wegziehen. "Berlin oder Leipzig", sagt Elnaz Amiraslani.

© SZ vom 10.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: