Pumpspeicherkraftwerk am Osser:Ein Berg voller Probleme

Lesezeit: 4 min

Am Osser soll ein Pumpspeichekraftwerk entstehen: Der oberpfälzische Ort Lam ist deswegen zerstritten. (Archivbild: Kleiner Osser) (Foto: DPA/DPAWEB)

Energiewende? Grundsätzlich gerne - aber bitte nicht so: Die Pläne für ein Pumpspeicherkraftwerk im Bayerischen Wald spalten einen Ort, denn sowohl die Gegner als auch Befürworter nehmen für sich in Anspruch, im Interesse der Umwelt zu handeln.

Von Wolfgang Wittl, Lam

So einen Andrang erlebt das Gasthaus "Zum Hirschen" nicht alle Tage, aber der Anlass ist ja auch außergewöhnlich. Etwa 400 Menschen strömen herbei, um endlich aus erster Hand zu erfahren, worüber seit Wochen im Ort getuschelt wird. Obwohl die Veranstaltung am kühlen Vormittag beginnt, gerät die Stimmung so hitzig, dass der Pfarrer den nächsten Pfarrbrief mit mahnenden Worten versieht. "Trotz verständlicher Kritik und Emotion" möchten seine Schäfchen doch bitte "eine menschliche Grenze von Respekt, Toleranz, Fairness und Höflichkeit" bewahren, denn: "Das sind wir uns selbst und anderen im Bayerischen Wald schuldig."

Schuldig? Schuldige gibt es in Lam derzeit einige, je nachdem mit wem man spricht. Seit bekannt geworden ist, dass eine Münchner Firma hier ein Pumpspeicherkraftwerk bauen will, geht ein Riss durch den Ort: Auf der einen Seite stehen die Befürworter, die in dem Projekt einen Beitrag zur Energiewende und zum Klimaschutz sehen, die auf Gewerbesteuereinnahmen und einen Schub für die Region hoffen. Auf der anderen die Gegner, die eine Versündigung an der Natur befürchten.

Streit um das Matterhorn des Bayerwaldes

Die Zustimmung zur Energiewende ist ungebrochen hoch, etwa 70 Prozent der Deutschen halten sie laut aktuellen Umfragen für sinnvoll. Doch die Energiewende polarisiert immer dort, wo sie praktiziert werden soll: Ob Landstriche voller Solaranlagen, ob Windparks oder Pumpspeicherkraftwerke - stets haben die Diskutanten gute Argumente für ihre Position.

Lam, eine 2600 Einwohner große Marktgemeinde im Kreis Cham unweit der tschechischen Grenze: Der Ort liegt im Schatten des Ossers, einem Berg, der wegen seiner markanten Form auch Matterhorn des Bayerwalds genannt wird. Der Osser gehört zu Lam wie die Zugspitze zu Garmisch: Kinder wachsen mit der Legende vom Osserriesen auf, es gibt ein Osserbad, Osser-Bier, die Fußballer heißen Osserbuam - nur ein Osser-Pumpspeicherkraftwerk, das wollen viele nicht. Doch ausgerechnet dort, direkt neben der Osserwiese, soll der obere der beiden Seen angelegt werden.

In zwei Meter dicken Rohren soll das Wasser gut fünf Kilometer oder 600 Höhenmeter talwärts stürzen, um Strom zu erzeugen. Danach wird es wieder nach oben gepumpt, um den Kreislauf fortzusetzen. Mit dieser Methode sollen Schwankungen in der Stromversorgung ausgeglichen werden können. Fast vier Hektar soll die Fläche der beiden Seen jeweils betragen, so groß wie ein halbes Dutzend Fußballfelder.

Die Investitionen belaufen sich auf bis zu 100 Millionen Euro, 200 000 Megawattstunden Strom jährlich sollen eingespeichert werden können. Damit zählte dieses Werk zu den kleineren. Auch deshalb wird es für Amir Roughani, Geschäftsführer des Investors Vispiron, allen Anforderungen gerecht. Er sagt: "Wir nehmen Rücksicht darauf, dass Großprojekte wie am Jochberg nicht mehr vermittelbar sind."

Erwin Molzan juckt das herzlich wenig, für ihn ist das Projekt eine Fehlgeburt - in welcher Größe auch immer. Der Osser ist sein Heimatberg, schon als Kind hat er ihn bestiegen, er bedeutet für ihn Fluchtpunkt aus dem Alltag. Nun ist Molzan 59, und seit März ist er Vorsitzender des Aktionsbündnisses "Gegen das Pumpspeicherkraftwerk am Osser".

Der Osser ist der vielleicht unverbrauchteste Berg im Bayerwald, er ist Landschaftsschutzgebiet, sein Quarzit wurde vom Landesamt für Umwelt zum "Gestein des Jahres 2012" gekürt. Um seltene Vögel wie den Bergpieper zu schützen, wurden sogar Wanderwege verlegt. Und nun soll womöglich ein ganzer See in den Berg gesprengt werden? Selbst bei der Energiewende müsse es doch Tabus geben, sagt Molzan. Das Dach des Regensburger Doms werde schließlich auch nicht mit einer Fotovoltaikanlage zugepflastert.

Die Gegner kommen aus der Mitte der Gesellschaft: Sie sind oft älteren Jahrgangs, sie sind Lehrer oder Ingenieure wie Molzans Stellvertreter Erwin Pfeffer, sie sind engagiert. Mehr als 6000 Unterschriften haben sie gegen das Projekt gesammelt, dem Bistum Regensburg als größtem Grundstücksbesitzer am Osser haben sie die Listen bereits übergeben.

Der Generalvikar erklärte, gegen den Willen der Bevölkerung werde man das Werk nicht bauen, doch allein darauf will das Bündnis sich nicht verlassen. Demnächst wollen die Gegner bei der Regierung der Oberpfalz vorstellig werden, die ein Raumordnungsverfahren vornehmen will, in dem sich alle Beteiligten äußern können. Denn der beabsichtigte Bau "in einem sehr sensiblen Bereich" stelle "eine überörtlich bedeutsame Maßnahme dar", teilt die Behörde mit.

Amir Roughani, der Initiator des Projekts, sagt, er vertraue auf die Kraft seiner Argumente. Immer wieder wird er unterbrochen, als er bei jener Veranstaltung im Wirtshaus spricht, berichten Teilnehmer. Er nehme die Skepsis ernst, nicht allerdings eine "Fundmentalopposition ohne Sachlichkeit", sagt Roughani. Die Gegner würden mit Mutmaßungen und Halbwahrheiten arbeiten. Weder würden sich die Seen in eine Kloake verwandeln, noch sei das Grundwasser gefährdet, noch habe er Informationen zurückgehalten. Tatsache sei nun mal: Der Osser sei ein idealer Standort, auch wegen einer bereits vorhandenen Hochspannungstrasse. Viele Bürger sähen das ähnlich. Zudem leiste das Pumpspeicherkraftwerk einen großen Beitrag zum Umweltschutz. Und was an einem begrünten Wasserbecken so schlimm sei?

Fragen wie diese zogen sich bis in den Lamer Kommunalwahlkampf hinein. Der neue Bürgermeister Paul Roßberger fordert, man solle die endgültigen Planungen der Firma abwarten, um ein Urteil zu fällen: "Emotionen helfen nicht weiter." Landrat Franz Löffler sagt, man müsse abwägen, ob der Ertrag diesen Eingriff in die Natur rechtfertige. Er bekenne sich zur Energiewende, würde aber gerne wissen, welchen Beitrag die Pumpspeicherkraftwerke dazu überhaupt leisten. Anfragen an diverse Ministerien sollen Klarheit verschaffen.

Müsste der Gemeinderat von Lam jetzt abstimmen - die Mehrheit würde wohl für den Bau der Anlage votieren, glaubt Erwin Molzan. Viele Bürger sind noch unentschieden. Immerhin ein Nutzen sei schon jetzt erkennbar, sagt mancher: Das Empfinden für die Heimat und Natur habe durch die Debatte wieder deutlich zugenommen.

© SZ vom 20.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: