Prozess um Mord in JVA Straubing:Das tödliche System der Russenmafia

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Andreas J. ist vor drei Jahren in der JVA Straubing erstochen worden. Vor dem Landgericht Regensburg stehen die mutmaßlichen Täter nun vor Gericht - auch sie sind Gefängnisinsassen. Der Prozess gibt Einblicke in eine Parallelwelt.

Max Hägler

An diesem Morgen, kurz vor neun Uhr, heulen wieder die Martinshörner vor dem Regensburger Landgericht. Zwei Polizeibusse sperren die Straße, zwei weitere rasen in den Hof des Gerichts. Auf der Straße: Polizisten mit Maschinenpistolen. Die Fenster des Gerichts: verklebt. Selbst altgediente Juristen haben so einen Aufwand noch nicht erlebt.

Ein Hochsicherheitsgefängnis ist Straubing, aber für die Gefangenen gilt das nicht unbedingt: In Zelle 81 wurde ein Häftling erstochen. (Foto: dpa)

Der Staat möchte Sorge tragen dafür, dass keiner stiften geht, aber auch dafür, dass es nicht noch einmal einen Toten gibt in seinem Einflussbereich, dass keiner Rache nimmt an den Beteiligten dieses Prozesses.

Unter Leitung des selbstbewussten und akkuraten Richters Werner Ebner verhandelt das Gericht derzeit einen Mord in der Justizvollzugsanstalt Straubing. Andreas J. ist dort vor drei Jahren erstochen worden, in Haftraum 81.

Das Opfer, die vier mutmaßlichen Täter und die Tatzeugen: Alle saßen damals ein in dem Hochsicherheitsgefängnis. Alle sind Deutsche, die in den ehemaligen Sowjetstaaten geboren wurden. Und alle sind verbunden durch die Kultur des heiligen Abschtschjak.

Abschtschjak nennt sich die Gemeinschaftskasse, die Gefangene russischer Herkunft hinter Gittern pflegen, in der Kaffee, Tabak, Klamotten und auch Geld getauscht werden. In den Gefangenenlagern des stalinistischen Russlands entstand dieses System aus Regeln, Hierarchien und eben Spendenkasse. Heute ist diese Kultur eine der Grundlagen dessen, was man "Russenmafia" nennt.

Gäbe es diese Strukturen nicht, dann wäre dieser Streit um Ehre und Macht im Herbst 2008 vermutlich nicht so ausgeartet, sagt Mario Huber, Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität des Bayerischen Landeskriminalamtes (LKA), im SZ-Gespräch.

In der Justizvollzugsanstalt Straubing war damals Konstantin F. Chef des Abschtschjak, gemeinsam mit Helfern verwaltete er die Naturalien, aber auch die Geldspenden, die nicht im Gefängnis abgewickelt wurden. "Es gibt eine Person - grob gesagt draußen, die das Konto verwaltet", erklärt an diesem Verhandlungstag Anton W. dem Gericht als Zeuge. Wenn der Anführer nun sage, dass man Geld in den Abschtschjak überweisen solle, dann werde das den Verwandten bei den Besuchsterminen ausgerichtet, die alles weitere veranlassten. Breit ist der 25-jährige Zeuge W. und kurzhaarig, man sieht durch den dünnen Pulli, dass er viel Sport macht im Gefängnis, wie übrigens auch die Angeklagten. Wie ihnen nimmt man aber auch ihm nicht die Fußfesseln ab - Anton W. ist verurteilt wegen versuchten Mordes.

In Straubing hieß es damals, man sammle Geld, um einem anderen Inhaftierten, Revaz "Reso" Arveladze, einen Rechtsanwalt zu finanzieren, erzählt er. Arveladze ist einer der deutschlandweit wichtigsten Köpfe der Russenmafia. Ein guter Zweck, fanden die Häftlinge; auch Anton W. ließ 4000 Euro überweisen. Aber bald redeten die Russen im Straubinger Gefängnis, dass etwas schief laufe, dass Konstantin F. vom Gemeinschaftsgeld eine Kette für seine Frau gekauft habe.

Am 18. Oktober 2008 sei deshalb eine Versammlung einberufen worden, um darüber zu sprechen, berichtet W. Ort: Haftraum 81, Uhrzeit: Gegen halb drei Uhr, während des Hofgangs. Voll sei die Zelle gewesen, sagt Anton W., vielleicht 25 Leute hätten sich versammelt gehabt. Die Ausführungen decken sich weitgehend mit den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft.

Und dann habe das spätere Mordopfer Andreas J. begonnen nachzufragen, was mit dem Abschtschjak-Geld sei und mit der Kette. Immer lauter sei das Gespräch geworden. Einer seiner Freunde habe dann einen Helfer des Abschtschjak-Anführers zu Boden geschlagen, berichtet der Zeuge.

Doch der Mann sei wieder aufgesprungen, in der Hand etwas Metallisches, wohl ein selbst gemachter Dolch. Damit habe der dem Freund "eine gegeben", berichtet Anton W. - trotz Verletzung einer Brustarterie überlebte dieser Mann und ist bei dem Prozess Kronzeuge. Schließlich seien Konstantin F. und sein Helfer auf Andreas J. losgegangen, beide bewaffnet mit Dolch und Messer. Ein Stich traf sein Herz. Andreas J. starb eine Woche später im Krankenhaus.

Die Regeln des Abschtschjak sehen natürlich vor, dass niemand darüber spricht", sagt LKA-Experte Huber. "Wer diese Regeln bricht, der ist in massiver Gefahr für seine körperliche Unversehrtheit." Auch deswegen gibt es die großen Sicherheitsvorkehrungen bei diesem Prozess, der noch mindestens bis Jahresende dauern wird. Wer weiß, was wäre, säßen nicht neun Polizeibeamte um die Anklagebank herum.

Gespannt, aber regungslos verfolgt Konstantin F., der mutmaßliche Mörder und Anführer des Abschtschjak, die drei Stunden dauernde Vernehmung des W. Die grauen Haare hat der 43-Jährige ordentlich gelegt, sein Blick ist starr auf den Zeugen gerichtet, den Zeugen der Anklage.

Wieso habe er so eine umfangreiche Aussage gemacht, nachdem er doch anfangs nichts sagen wollte, fragt am Ende der Vernehmung einer der Verteidiger Anton W. - "Damit alle ihren Frieden finden - reicht ihnen das?" Ob es nur darum geht oder auch um Hafterleichterungen, wird nicht diskutiert. Klar ist aber, sagen Beamte: Anton W. wird zu seinem Schutz künftig abgeschirmt gegenüber anderen Russischstämmigen, gegenüber der Kultur des heiligen Abschtschjak.

© SZ vom 18.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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