Prozess gegen Ingolstädter Geiselnehmer:"Ich hab geblufft, gepokert und verloren"

Lesezeit: 2 min

Ingolstadt, 19. August 2013: Ein Geiselnehmer hat im Alten Rathaus vier Menschen in seiner Gewalt. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Den ganzen Prozess lang hat der Ingolstädter Geiselnehmer geschwiegen. Am Plädoyer-Tag sprudelt es aus ihm heraus. Er erzählt von seiner schwierigen Kindheit, seiner vermeintlichen Machtlosigkeit - und schlägt für sich eine längere Haftstrafe vor als sein Anwalt.

Von Wolfgang Wittl, Ingolstadt

Das letzte Wort vor dem Urteilsspruch gebührt stets dem Angeklagten - und Sebastian Q., der als Geiselnehmer von Ingolstadt bundesweit Schlagzeilen gemacht hat, macht davon wider Erwarten tatsächlich Gebrauch. Neun Verhandlungstage lang hatte der 25-Jährige vor dem Landgericht Ingolstadt beharrlich geschwiegen, nun sprudeln die Sätze aus ihm nur so heraus. "Sie können sich meinen Worten ja auch anschließen", raunt ihm sein Anwalt noch zu. Doch dafür ist es bereits zu spät. Gut eine halbe Stunde lang und in bemerkenswerter Offenheit erzählt Q. am Montag von seiner schwierigen Kindheit, von seiner vermeintlichen Machtlosigkeit gegenüber Behörden und den Stunden, in denen er im August vergangenen Jahres vier Geiseln in seiner Gewalt hielt.

Q. versucht erst gar nicht, die Verantwortung zu leugnen. Ja, er sei mit dem Vorsatz ins Alte Rathaus gegangen, von der Stadt ein Entschuldigungsschreiben zu bekommen, das ihn von seiner Ansicht nach falschen Vorwürfen freisprechen soll. "Es ist mir durchaus bewusst, was ich getan habe", sagt der Mann, und dass es ihm für die Geiseln leid täte. So etwas zu sagen, bedeute für ihn schon sehr viel.

Mit drei Schüssen in Schulter, Fuß und Hand war Q. bei der Festnahme durch ein Sondereinsatzkommando überwältigt worden, trotzdem sei der Zugriff für die Geiseln wohl schlimmer gewesen als für ihn. Er habe schließlich gewusst, worauf er sich einlasse. Dass so schnell so viele Polizisten kämen, dass sie ihm derart "auf die Pelle rücken", habe allerdings auch ihn überrascht.

Geiselnahme in Ingolstadt
:Täter legt volles Geständnis ab

Er nahm vier Personen im Rathaus als Geiseln und bedrohte sie. Jetzt steht der Täter in Ingolstadt vor Gericht. Zum Prozessauftakt lässt der 25-Jährige ein Geständnis verlesen - er selbst will sich nicht äußern.

Q. erzählt von seinen zerrütteten Familienverhältnissen, von einer Mutter, die "nicht ganz richtig im Kopf" sei; von einem Vater, der ihn missbraucht haben soll und den er "einen Perversen" nennt. Er spricht von seiner Zeit in Heimen, in der er gelernt habe, seine Gefühle zu verbergen. Etwa durch sein Grinsen, das im Prozess oft zu sehen war, in Wirklichkeit aber nur eine Maske für ihn darstelle.

Auch dem Jugendamt und der Justiz spricht er Schuld an seiner Situation zu - und den Politikern, welche die Behörden anwiesen. Q. will vieles klarstellen in diesen Minuten. Nur Mitleid für sich, das will er nicht. Q. ist Linkshänder, seine linke Hand wird er nie mehr richtig gebrauchen können. Deshalb eine Strafmilderung zu fordern, wie es sein Anwalt tut, empfände er als heuchlerisch. Dass der Polizist, der ihm die Schüsse verabreicht hat, sich dafür rechtfertigen musste, bedaure er.

Den Tag der Geiselnahme vergleicht Q. mit einem Kartenspiel: "Ich bin reinmarschiert, hab geblufft, gepokert und verloren. Das klingt scheiße, aber so ist das." Immer wieder spricht er den Staatsanwalt direkt an, der ihm fehlende Reue vorwirft und eine Haftstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten fordert. Zwei Gutachter bescheinigen ihm eine überdurchschnittliche Intelligenz, aber auch eine dissoziale Persönlichkeitsstörung.

Sieben Jahre Haft halte er für angemessen, sagt Q., damit liegt er sogar ein halbes Jahr über der Forderung seines Verteidigers. Am Ende verspricht Q., dass er Ingolstadt nach seiner Strafe verlassen wird, er habe vor, keine Straftaten mehr zu begehen. Nur in einer psychiatrischen Klinik möchte er nicht untergebracht werden. Das Urteil fällt am kommenden Montag.

© SZ vom 11.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: