Oberammergau:Von der Passion in die Pleite

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Die Passion fährt Rekordgewinne ein, dennoch droht Oberammergau bald die Pleite. Die Gemeinde steckt zu viel Geld in den Tourismus und müsste dringend sparen. Doch fast alle Versuche, die Ausgaben zu senken, scheitern.

Heiner Effern

Die Oberammergauer sind ein bibelfestes Volk, auch dank ihres berühmten Passionsspiels. Sie kennen das gespaltene Verhältnis von Gott und Geld, das der Evangelist Matthäus so auf den Punkt bringt: "Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon."

Eine Passion mit Rekordgewinn: Im Jahr 2010 spielte das Stück 37 Millionen Euro ein. Doch die Freude war verfrüht: Nach einer Gesetzesänderung muss der Ort den Gewinn nun versteuern. (Foto: AFP)

Doch die Oberammergauer sind auch ein sehr pragmatisches Volk, längst haben sie eine eigene Auslegung dieser Bibelstelle gefunden: Wir dienen Gott mit unserem Passionsspiel, der Mammon kommt dann von alleine. Doch die alte Rechnung, die der Gemeinde und vielen Einheimischen über Jahrzehnte hinweg ein Leben im Wohlstand garantierte, sie geht nicht mehr auf. Trotz eines Rekordgewinns der Passion 2010 mit 37 Millionen Euro droht spätestens 2016 die Pleite.

Nebeneffekte wie eine deutliche höhere Gewerbesteuer eingerechnet, seien Oberammergau sogar mehr als 40 Millionen Euro geblieben, berichtet Bürgermeister Arno Nunn. Davon seien schon 7,5 Millionen Euro an Steuern und Abgaben bezahlt worden, die für den Ort neuerdings anfielen. Wegen einer Gesetzesänderung kann er die Schulden, die der Tourismusbetrieb in den Jahren zwischen den Passionen anhäufte, nicht mehr mit dem Gewinn aus dem Theaterspiel verrechnen.

Dazu muss Oberammergau acht Millionen Euro auf Weisung des Innenministeriums, das die Passion 2010 mit einer Bürgschaft vorfinanziert und damit gerettet hatte, für das Spiel 2020 zurücklegen. Nach Nunns Rechnung bleiben 27 Millionen Euro. Davon plant er 16 Millionen Euro für die nächsten Jahre ein, um in Straßen, Kindergarten oder andere Projekte der Grundversorgung zu investieren. Der Rest von elf Millionen Euro bildet die Rücklage für die Jahre von 2012 bis zur Passion 2020. Da aber die Kommune für ihre touristischen Einrichtungen jährlich gut 2,5 Millionen Euro draufzahlt, ist das letzte Polster Ende 2015 aufgebraucht.

"Wir müssen unsere Strukturen verändern. Wir geben zu viel Geld aus", sagt der Bürgermeister. Das Gremium, dieses zu beschließen, wäre der Gemeinderat. Doch dort beharken sich traditionell zwei Lager, die sich im Umgang mit dem Passionsspiel gebildet haben: die konservativen Bewahrer mit dem Landtagsabgeordneten der Freien Wähler, Florian Streibl, und die Erneuerer mit Regisseur und Spielleiter Christian Stückl.

"Deshalb kam es zum Eklat"

Dazwischen steckt der Bürgermeister, der nur an die Macht kam, weil sich die beiden Lager so bekämpften, dass bei der letzten Kommunalwahl die Mehrheit für den damaligen Neueinsteiger stimmte. "Man kann sich nicht jeden Wunsch erfüllen, wir müssen konstruktiv zusammenarbeiten", sagt Streibl. "Man muss sich zusammensetzen und überlegen, was wir machen können", sagt Stückl.

In den letzten beiden Gemeinderatssitzungen vor der Sommerpause stand der Haushalt 2012 auf der Tagesordnung. Zweimal, weil Bürgermeister Arno Nunn beim ersten Mal keine Mehrheit für seinen Entwurf fand. Es sei zu wenig über Sparvorschläge gesprochen worden, monierten die Kritiker. Eine Klausur zum Thema Haushalt forderten andere. "Deshalb kam es zum Eklat", sagt Streibl.

Die in Oberammergau fast schon üblichen Beschimpfungen auf persönlicher Ebene seien diesmal gar nicht so schlimm gewesen. Es gebe halt noch immer die alten Gräben, die in solchen Fragen wieder aufbrächen. "Früher war es heftiger. Wir sind noch nicht auf dem normalen Maß, aber es läuft eigentlich gar nicht so schlecht."

Wenn die Oberammergauer weitermachen wie bisher, dann läuft der Ort allerdings sehenden Auges in die Pleite. Bürgermeister Nunn verweist darauf, dass bereits fast 20 Vollzeitstellen abgebaut wurden. Dass der defizitäre Lift und die Hütte am Kolben verkauft worden seien. Dass man beim Wellenberg, dem Bad der Kommune, die Kosten senken wolle, in dem die Freiflächen deutlich verkleinert würden. Die Oberammergauer würden schon erkennen, dass die laufenden Kosten der Gemeinde gesenkt werden müssen. "Grundsätzlich sind sie dazu bereit. Sie sehen das Ganze aber sehr differenziert, wenn sie selbst, ihr Umfeld oder ihr Verein betroffen sind", sagt der Bürgermeister.

Die Oberammergauer sehen auch ihren Gemeinderat sehr differenziert. Die wichtigen Entscheidungen für den Ort trauen sie dem Gremium nicht zu. Ein kurzer Auszug der jüngeren Geschichte der Oberammergauer Basisdemokratie: Der Gemeinderat beschließt den Umzug der Verwaltung aus dem Rathauses in das sogenannte Ammergauer Haus. Per Bürgerentscheid abgelehnt.

Der Gemeinderat beschließt die Schließung des Wellenbergs. Per Bürgerentscheid abgelehnt. Der Gemeinderat will Oberammergau an der Bewerbung um die olympischen Winterspiele 2018 beteiligen. Die Drohung mit einem Bürgerentscheid reicht zum Rückzug. Der Bürgermeister sagt über seine Bürger: "Die haben uns oft abgegrätscht."

Zwei Möglichkeiten hat eine Gemeinde, die jährlich mindestens 2,5 Millionen Euro Miese macht: Ausgaben reduzieren oder Einnahmen erhöhen. Einziger nennenswerter Wirtschaftszweig ist der Tourismus. Also die Passion öfters spielen?

Also Kosten runter

"Langfristig ein Fehler", sagt Bürgermeister Nunn, und hier spricht er wohl mal für den ganzen Ort. Die Kosten für die Passion drücken? "Ich würde mich niemals künstlerisch einschränken", sagt der alte und möglicherweise neue Spielleiter Stückl. "Die Passion ist unser wichtigstes Gut, dem geht es an den Kragen."

Und er verweist darauf, dass seine Produktion 2010 das veranschlagte Budget sogar unterschritten habe. Die Bühne mehr nützen, schlägt der Regisseur vor. In diesem Jahr lief bereits erfolgreich ein Shakespeare-Drama. Doch ein schlüssiges Konzept, wie man die auf den Andrang einer Passion ausgerichteten Häuser auch in den Jahren dazwischen füllen könnte, hat niemand.

Also Kosten runter. Auch da ist der große Wurf bisher nicht zu erkennen. So mancher hofft auf einen Gnadenakt des Finanzministers. "Ohne die Steuern wären wir hingekommen", sagt der Bürgermeister. Doch einig sind sich alle in einem: "Der Ort kann und wird die nächste Passion stemmen", sagt Streibl. Egal wie. "Wir haben dafür immer so etwas wie eine Bürgschaft oder einen Kredit gebraucht", sagt Stückl.

© SZ vom 21.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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