Mitten in Bayern:Wundersame Wanderungen

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Menschen gehen durch Straßen und murmeln irgendwas von der Hirte oder so. Manche finden das gruselig, andere erkennen darin tiefe Religiosität

Von Katja Auer

Da haben die Kreuzberg-Wallfahrer großes Glück gehabt. Immerhin sind sie jetzt fünf Tage durch Unterfranken gelaufen, von Würzburg zum heiligen Berg der Franken und wieder zurück, ohne dass jemand die Polizei gerufen hätte. Warum? Na, weil die Pilger bestimmt "irgendwas von der Hirte und so" gemurmelt haben und vielleicht sogar, "dass sie sich von der Welt verabschieden". Und am Ende haben sie gar die heilige Maria Muttergottes angerufen. Wie das Katholiken halt so machen.

Nur sind die Zeiten längst vorbei, als auch noch das vierte Gesetz des freudenreichen Rosenkranzes zum Standardwissen von Schulkindern gehörte (Den Du, o Jungfrau, im Tempel aufgeopfert hast) und dreimal am Tag der Engel des Herrn gebetet wurde. Das tut heute kaum noch jemand im christlich geprägten Abendland, was die einen Verfall nennen und die anderen moderne Zeiten.

Eine junge Frau jedenfalls war ordentlich irritiert, als sie kürzlich bei der Polizei in Aachen anrief, einer überwiegend katholischen Stadt. Da liefen Menschen durch die Straßen, die "so Sprüche machen", sagte sie besorgt. Noch hätten die ja nichts gemacht, aber es sei irgendwie gruselig. Das sei nur eine Prozession, erklärte der offenbar im kirchlichen Brauchtum bewanderte Polizist. "Also nichts, wovor Sie Angst haben müssen."

Aus Bayern ist dergleichen noch nicht bekannt. Aber auch im Freistaat werden die Kirchgänger weniger und die Klagen gegen Glockenläuten mehr. Da könnte es bald nicht mehr als alltäglich gelten, dass jemand einen langen, beschwerlichen Fußmarsch zurücklegt, nur um hernach einer Marienstatue mit einem schwarzem Gesicht ein paar Wünsche vorzutragen oder 14 Heilige um Fürsprache zu bitten, von denen der eine seinen Kopf unter dem Arm trägt und der nächste die Hände aufs Haupt genagelt hat.

Aber noch finden ja Wallfahrten statt, am Samstag zum Beispiel am Königssee. Es gibt sogar noch Leute in Bayern, die dreimal am Tag den Engel des Herrn beten. Und fromme Muslime, die sich fünfmal am Tag gen Mekka wenden. Wer das eine jetzt so viel absonderlicher findet als das andere, der kann ja mal den heiligen Dionysius bemühen, das ist der mit dem Haupt in den Händen. Der hilft bei schweren Kopfleiden.

© SZ vom 27.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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