Mitten in Bayern:Tegernseer Knödelplausch

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Beim Essen beobachtet zu werden, ist nicht schön. Regelrecht übergriffig aber wird es, wenn im Wirtshaus vom Nachbartisch aus die Speisenauswahl lautstark kommentiert wird - noch dazu ohne Fachkenntnis

Von Johann Osel

Heut gibt's a Rehragout, das wird im traditionellen Bayern gern gesungen. Neulich, in einem Wirtshaus am Südufer des Tegernsees, gab es tatsächlich eins, mit Semmelknödel. Der erschöpfte Wanderer bestellt sich einen zweiten Knödel dazu - zur Sicherheit, um wirklich satt zu werden, und nicht hinnehmbar wäre es schließlich, wenn Soße übrig bliebe. Schlimm genug ist es ja, dass es von Haus aus nur einen Knödel gibt. Die Kellnerin serviert das zweite Exemplar, selbstverständlich. Ganz anders sieht das eine Dame mittleren Alters, augenscheinlich mit Gatte am Nebentisch sitzend, ohrenscheinlich Touristin, nicht aus Bayern. "Juuunger Mann", krakeelt sie beim Hinausgehen, "ich habe dat jerade jesehen. Zweiiiiiiii Knödel, solche Klopper. (Blick zum Ehemann) Du hast es doch auuuch jesehen. (Ehemann schaut verschämt zu Boden, macht den Eindruck, als ob er nicht dazugehört.) Solche Klopper war'n dat."

Der genaue Zweck dieser befremdlichen Einlassung bleibt unbekannt, der Angesprochene könnte aber allerlei entgegnen: Erörterungen über das Sattsein und über Soßenreste, generell über Geschmack und Rolle des Semmelknödels. Er könnte Johann Rottenhöfer zitieren, den ersten Mundkoch von König Maximilian II., konkret: Rottenhöfers "Neue vollständige theoretisch-praktische Anweisung in der feinen Kochkunst mit besonderer Berücksichtigung der herrschaftlichen und bürgerlichen Küche". Dort steht, wenn auch nicht bei Rehragout, so doch beim Boeuf à la mode: "Besonders aber spielen die Semmelknödel, wie auch gebackene Kartoffelknödel, eine Hauptrolle." Plural, "die" Knödel! Der Angesprochene könnte ferner philosophieren über die vollkommene Rundheit des Knödels, Ästhetik und Perfektion; er könnte erzählen über die Deggendorfer, die laut Legende im Mittelalter knödelwerfend Belagerer in die Flucht geschlagen haben sollen. Es ist zwar ein fingierter Teil der Stadtgeschichte, von dem gleichwohl in der Altstadt die Brunnenfigur der Knödelwerferin zeugt.

Das alles tut er am Ende nicht, sondern gibt über die Bestellung der zwei Knödel kurz, klar und knurrig zu Protokoll: "Die werd' ich schon brauchen." Sich denkend: Gar nicht braucht man solche seltsamen Gäste am Tegernsee.

© SZ vom 25.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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