Mitten in Bayern:Papstkrise in Marktl

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Seit Benedikt XVI. im Kloster sitzt, ist der Boom in seiner Heimatgemeinde vorbei

Von Matthias Köpf

Rein als Papst spielt Joseph Ratzinger aus Marktl am Inn inzwischen ja keine so große Rolle mehr. Der pensionierte Pontifex verbringt seinen Ruhestand auf eine Weise, die dem Wort sehr angemessen scheint, und auch wenn er persönlich vermutlich nie dazu geneigt hat, die Seele baumeln zu lassen, so lässt er hoffentlich doch gelegentlich den Herrgott einen guten Mann sein oder vielleicht auch eine gute Frau, wer außer ihm selbst weiß das schon so genau? Ratzingers theologisches Werk ist jedenfalls längst selbst Thema vieler anderer Wissenschaftler, und nun hat die Forschung endlich auch den Geburtsort Marktl in den Blick genommen. Und die Erkenntnisse, die eine junge Marktler Kulturwissenschaftlerin aus Gesprächen mit ihren Mitbürgern für eine Bachelor-Arbeit an der Uni Regensburg gewonnen hat, sind erschütternd.

Demnach ist der emeritierte Papst zweieinhalb Jahre nach seinem Rücktritt selbst den Marktlern nicht mehr gar so präsent, kein Geburtsortseinwohner sei jetzt religiöser als vor Ratzingers Pontifikat, die anfängliche Euphorie sei abgeflaut und überhaupt habe man sich von all dem eigentlich mehr Nachhaltiges für Marktl erwartet. So jedenfalls fasst der örtliche Alt-Neuöttinger Anzeiger den Papst-Teil der insgesamt 100 Seiten starken Bachelor-Arbeit zusammen.

Dabei haben sie es ja weiß Gott versucht, mit all dem Papstbier und der Papstwurst und den Kerzen und den Karten. Nur nachhaltig genug war es ihnen eben nicht, denn Bier und Wurst sind vergänglich und mit Haltbarkeitsdatum versehen, Kerzen werden bei Gebrauch kürzer und mehr als einen Rosenkranz können auch die fingerfertigsten Gläubigen kaum gebrauchen. Direkt über die Gemeinde-Homepage ist derzeit nur ein Ersttagsbrief vom 19. April zum zehnten Jahrestag der Papstwahl zu beziehen - mit Sonderstempel auf der Papst-Marke, wobei die nur 55 Cent wert ist und daher noch eine schnöde Sieben-Cent-Marke daneben klebt. Ganz aufgegeben haben die Marktler aber noch nicht, denn eine postaktuelle 62-Cent-Sonderbriefmarke zum Zehnjährigen gibt es auch, zum Preis von einem Euro zuzüglich zwei Euro Porto. Und wenn das Interesse weiter abflaut, können sie für dieses Porto auch gleich Papst-Marken nehmen.

© SZ vom 04.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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