Mitten in Bayern:Kein Halt in Lichtenfels

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Die einen finden die neuen Verbindungen der Bahn ganz wunderbar, München-Berlin in vier Stunden, toll. Die anderen hängen den alten Zeiten nach. Als sie noch nicht abgehängt waren

Kolumne von Olaf Przybilla

Vielleicht sollten Leser aus Lichtenfels an dieser Stelle die Lektüre einstellen. Wir blenden uns ein in die Fahrt einer 41 Jahre alten Historikerin, die mittwochs am Nürnberger Hauptbahnhof um 13 Uhr auf Gleis 7 in den ICE 1004 eingestiegen ist, auf dem Weg zu einer Weihnachtsfeier in Berlin. Ebenfalls auf Gleis 7 ist sie in der Bundeshauptstadt angekommen, fahrplanmäßig und auf die Minute genau nach zwei Stunden und 51 Minuten. Dazwischen? Ein top funktionierendes Wlan, nett-entspanntes Zugpersonal, eine komplett reibungslose Fahrt. Berlin mit dem Flieger? "Nie wieder", tippt die Historikerin ins Handy, in der Hauptstadt angekommen.

Schwenk nach Oberfranken, zu Günter Dippold. Er ist Kreisrat in Lichtenfels und ebenfalls Historiker, Jahrgang 1961. Der Coburger Neuen Presse hat er dieser Tage ein Interview gegeben, nach dessen Lektüre einem ganz flau werden konnte vor Melancholie. Dippold stammt aus einer Eisenbahnerfamilie und ist aufgewachsen in einem Stadtteil der alten Eisenbahnerstadt Lichtenfels. Er hat mal zusammengerechnet: Als er ein Kind war, gab es im Gebiet des heutigen Landkreises Bamberg 43 Bahnhaltepunkte. Heute sind's noch zwölf. Auf dem sogenannten Land, sagt er, wohnen in Deutschland immerhin drei von vier Menschen. Dieses Land aber sei für die Bahn offenkundig "nur noch dazu da, um Stecke zu überwinden". Lichtenfels? Ist weithin abgehängt. Tempi passati, logisch. Und der ICE jetzt eben auch.

Zurück nach Mittelfranken. Wenn Nürnberger den wunderbar fränkischen Begriff "Eurobäische Medrobolregion" für ihren Ballungsraum im Munde führen, ernten sie mitunter mitleidiges Lächeln. Künftig dürfte dort (heimlich, wie es sich in Franken gehört) zurückgelächelt werden. Keine drei Bahnstunden nach Berlin, eine Stunde nach München, in etwas mehr als zwei Stunden nach Stuttgart und Frankfurt. Mit dem Auto sind die Nürnberger auf der chronisch leeren A 6 in drei Stunden bequem in Prag. Es dürfte in Europa schlechter angebundene Metropolen geben.

Donnerstagmittag in Berlin. "Pünktliche Abfahrt", meldet die Historikerin. Die Ankunft in Nürnberg stimmt dann nicht so ganz: eine Minute zu spät. Lichtenfels? Stand nicht auf dem Fahrplan.

© SZ vom 15.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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