Kommunalwahl in Bayern:Wirrwarr auf dem Wahlzettel

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Bunte Vielfalt auf den Plakatwänden, Verwirrung auf dem Stimmzettel: Bei der Kommunalwahl treten die verschiedensten Wählergruppen in Städten und Gemeinden an. (Foto: dpa)

Bei den Kommunalwahlen buhlen nicht nur CSU, SPD und Grüne um Stimmen. Auch Frauenlisten oder Studentenlisten treten an. In Oberhaching machen gleich vier Splittergruppen den etablierten Parteien Konkurrenz. Und das sorgt für Verwirrung.

Von Friederike Zoe Grasshoff

Der Wähler wird wählerischer, das Angebot größer, die Kandidaten bunter. Wenn Berglerner oder Dachauer, Neubiberger oder Oberhachinger, Pullacher oder Emmeringer am 16. März die Stimmzettel zur Kommunalwahl in den Händen halten, ist das Angebot an etablierten Parteien und unabhängigen Wählergruppen mancherorts etwas unübersichtlich.

Ob um einen Supermarkt in der Ortsmitte gestritten wird, Bürgerinitiativen gegen Windkraftanlagen kämpfen oder Münchner nicht mehr die Hälfte ihres Einkommens für die Miete ausgeben wollen: Der Drang zur Mitbestimmung in den Kommunen wächst - auch in der Großstadt. Mancherorts herrschen nahezu chaotische Verhältnisse.

Eine Wählergruppe reicht nicht immer

Ein Beispiel aus der Gemeinde Oberhaching im Landkreis München, wo unabhängige Wählergruppen eine lange Tradition haben: Die "Wählergemeinschaft Oberhaching" (WGO) ist seit 1952 ununterbrochen im Gemeinderat vertreten und arbeitet eng mit der Listenverbindung "Bürgervereinigung Oberhaching (BVO)/ Interessengemeinschaft Gemeinde Oberhaching/ Altgemeinde Oberbiberg (IGAO)" zusammen, bei der WGO ist gar von einer "Seelenverwandtschaft" die Rede. Der stellvertretende Vorsitzende der "Gruppierung Freie Bürger" dagegen bezeichnet die Zusammenarbeit mit den anderen Gruppen als "problematisch": Die anderen Wählergruppen stünden der Rathauspolitik des CSU-Bürgermeisters nicht kritisch genug gegenüber.

Kumulieren und panaschieren
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Es ist ein Kreuz: Heute dürfen die Bürger in fast 2000 Gemeinden in Bayern kumulieren und panaschieren. Keine Abstimmung bietet so viele Möglichkeiten wie die Kommunalwahl - doch das macht die Angelegenheit ziemlich kompliziert. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Anna Fischhaber und Katja Riedel

Und es geht noch weiter: 2010 ist eine weitere Wählergruppe entstanden, die Vereinigten Freien Wähler Oberhaching (VFWO). Und das gefällt nicht allen. Während es aus der traditionsreichen WGO heißt, die neue Gruppe sei "überflüssig" und vertrete "relativ moderne Ansichten", die mit der Oberhachinger Praxis nicht zusammengingen, liegen die Freien Bürger ohnehin auf "Konfliktkurs" mit dieser Gruppierung. Um das Chaos perfekt zu machen: Der Mitbegründer der VFWO, Markus Franklin, war früher selbst bei den Freien Bürgern, und sah nach internen Streitigkeiten die Zeit für einen Neuanfang gekommen. Gemeinde Oberhaching - ein Wahnsinn aus Abkürzungen, Schrägstrichen und persönlichen Animositäten.

60 Kilometer weiter nördlich geht es etwas friedlicher zu. Die drei freien Wählergruppen in der 2600-Einwohner-Gemeinde Berglern im Landkreis Erding eint ein Ziel: Die Verhinderung der dritten Start - und Landebahn des Münchner Flughafens. Der amtierende Bürgermeister Herbert Knur trat vor zweieinhalb Jahren mit viel Getöse aus der CSU aus, nachdem Ministerpräsident Horst Seehofer sich auf eine dritte Startbahn festgelegt hatte. Nicht nur Knur war plötzlich weg; der gesamte Vorstand des CSU-Ortsverbandes folgte ihm - und Knur gründete die Parteiunabhängigen Berglerner (PUB). Neben PUB treten in Berglern zwei weitere parteifreie Gruppen an, die Berglerner Bürgerliste und die Freie Wählergemeinschaft Berglern. Fragt man bei Vertretern der Gruppierungen nach, wie sich die Zusammenarbeit gestalte, kriegt man zu hören: "Von den Zielen unterscheiden wir uns wenig." Oder: "Wir haben eigentlich das gleiche Wahlprogramm, aber andere Köpfe."

Zwölf Kandidaten für die Münchner OB-Wahl

Die Liste der unabhängigen Vereinigungen, die bei dieser Kommunalwahl antreten, ist lang - und bisweilen skurril. Allein für das Amt des Oberbürgermeisters bewerben sich in München zwölf Kandidaten - doppelt so viele wie noch 2008. Darunter ist auch der Wirt, Türsteher und Sozialarbeiter Wolfgang Zeilnhofer-Rath, Initiator und Spitzenkandidat der Wählergruppe HUT, die von einer Reihe von Bürgerinitiativen aus der Stadt mitgetragen wird. Hinzu kommen in München 14 Stadtratslisten, das sind drei mehr als vor sechs Jahren.

Posse vor der Kommunalwahl
:CSU gegen CSU

Die Lage in Puschendorf ist besonders verfahren: Seit der Bürgermeister und seine Stellvertreterin zur Wahl stehen, steht sich das einstige Traumteam unversöhnbar gegenüber - dass beide von der CSU sind, spielt beim Kampf um Wählerstimmen keine Rolle.

Auch abseits der Großstadt finden sich mitunter ungewöhnliche Gruppierungen: In Fürstenfeldbruck sorgt die Frauenliste Grafrath für Aufsehen. Andernorts haben sich Mitglieder eines Burschenvereins beim Weißwurstfrühstück überlegt, mit einer Jungen Liste den Hattenhofener Gemeinderat zu verjüngen. In Dachau - der Stadtrat besteht aktuell bereits aus sieben Fraktionen - hat der ehemalige SPDler und Stadtrat Horst Ullmann eine Wählergruppe namens Bürger für Dachau gegründet. Nachdem ihm wegen parteiinterner Differenzen der Parteiausschluss drohte, suchte er sich lieber selbst eine neue politische Heimat. In Dachau ist Ullmann nicht irgendwer, als Besitzer eines Trachtengeschäfts hat er Fans.

Jede Gemeinde hat ihre Geschichte

Eine ganz ähnliche Trotzgeschichte hat sich in der Gemeinde Emmering im Landkreis Ebersberg abgespielt: Nachdem der bisherige CSU-Bürgermeister Max Meier von seiner Partei nicht mehr aufgestellt worden war, trat er bei den Christsozialen aus und gründete die Bürger für Emmering. Die Anzahl der erforderlichen Unterstützerunterschriften, die sich gesetzlich an der Einwohnerzahl orientiert, hatte er schnell zusammen.

Das Phänomen in München, Fürstenfeldbruck und Berglern ist das gleiche: Politisch interessierte Menschen sagen sich von gewohnten Parteistrukturen los - und bauen neue auf. Während Bundes- und Europapolitik vielen Wählern undurchsichtig und nur bedingt steuerbar erscheint, sind die Probleme vor der eigenen Haustür greifbar. Jeder, der einigermaßen sesshaft geworden ist und nicht alle zwei Jahre Job und Postleitzahl wechselt, ist direkt davon betroffen, wenn um 20 Uhr keine Busse mehr fahren, das Rathaus saniert wird oder Flugzeuglärm die teuer erkaufte Idylle stört. Je enger man sich an einen Ort bindet, desto mehr wächst die Identifikation, desto fassbarer werden die politischen Entscheidungsprozesse, desto realistischer die Aussicht auf politische Beteiligung. Mal sehen, wie der Abkürzungswahnsinn bei den nächsten Kommunalwahlen im Jahr 2020 ausfällt.

© SZ vom 03.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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