Immaterielles Weltkulturerbe:Was die Welt den Bayern zu verdanken hat

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Eine breite Sparte an bayerischen Bräuchen geht in die Bewerbung um den Titel "immaterielles Weltkulturerbe". Auch dabei: Der Meistertrunk. (Foto: dpa)

Viktualienmarkt, Passionsspiele, Drachenstich: Kulturell hat Bayern viel zu bieten - und geht mit 18 Bräuchen ins Rennen um einen Platz auf der Unesco-Liste zum immateriellen Weltkulturerbe. Die Kandidaten im Überblick.

Welches Brauchtum wird von der Unesco zum immateriellen Kulturerbe erkoren? Noch in diesem Jahr soll erstmals ein bundesweites Verzeichnis der erhaltenswerten Traditionen erstellt werden. Aus Bayern sind 18 Bewerbungen im Rennen. Aus den Kandidaten wird der Freistaat bis April die zwei besten auswählen. Dann entscheidet ein Expertenkomitee der Deutschen Unesco-Kommission, welche Vorschläge aus allen Bundesländern auf die Liste kommen.

Glasbläser-Kunst

1Ein feines, handgeblasenes Glas ist der passende Kelch für einen Rotwein, was sonst? Im Bayerischen Wald, über Jahrhunderte Heimat der Glasbläser, können sie aber mehr als Trinkbecher. Handwerker zaubern mit ihren Pfeifen Zylinder, die sie nochmals erhitzen und dann zu Fenstern ausbügeln. Kaum eine Kirche, die nicht solche oft wertvoll bemalte Scheiben hat. Auch berühmte Künstler wie Marc Chagall malten auf mundgeblasenen Fenstern.

Viktualienmarkt

2 Die Marktkaufleute fänden die Auszeichnung gut, weil sie dann noch ein Zehnerl mehr draufschlagen könnten. Die Kunden schimpfen hier eh gern über " Apothekenpreise", worauf ihnen die Standlfrauen übers Maul fahren, dass es eine rechte Weltkultur hat. Abgesehen davon: dass der älteste Stand (seit 1898!) ausgerechnet die Nordsee-Fischhalle ist und im Biergarten alle sechs Wochen ein anderes Bier ausgeschenkt wird, das ist große Weltkultur. Oder was sonst?

Passionsspiele Oberammergau

3 Die Oberammergauer sind nicht nur mit Streitlust ausgestattet, sondern auch mit Selbstbewusstsein. Manch einer wird deshalb überrascht sein, dass die Passion nicht längst Weltkulturerbe ist. Die Dorfbewohner spielen nach einem Pestgelübde schon seit 1632 alle zehn Jahre die Leiden Christi nach, mit Engagement und Kunstsinn. Besucher aus aller Welt reisen dafür an. Also bitte, schleunigst aufnehmen, die Passion und ihre Darsteller müssten schon längst unter Schutz stehen.

Hemadlenzn-Umzug

4 In der Stadt Dorfen schlüpft am Unsinnigen Donnerstag jeder in eine weiße Unterhose, zieht ein weißes Nachthemd über und schon geht's los mit dem Winteraustreiben. Mit Tamtam karren die Hemadlenzn eine Strohpuppe durch die Stadt, um sie dann an einem Galgen aufzuhängen und unter blasmusikalischen Hymnen zu verbrennen. Trotz Alkohol-Exzessen ist es ein einzigartiges Brauchtum, das wegen des schwächelnden Winters aber vielleicht bald keinen Sinn mehr hat.

Kötztinger Pfingstritt

5 Es begann mit einer Legende: Der Pfarrer von Kötzting sollte zu einem Sterbenskranken im Nachbarort reiten, um ihm die Sakramente zu spenden. Das war 1412. Zum Dank, dass er den gefährlichen Weg heil überstanden hatte, wird der Ritt jährlich wiederholt und zählt heute zu den größten Bittprozessionen Europas. Die Stadt im Bayerwald befindet sich dann stets im Ausnahmezustand - nicht nur des Betens wegen. Quicklebendige Symbiose von Kirche und Bayern. Aus. Amen!

Leonhardi-Ritt

6 Früher konnten jeder Hagelschlag und jede Seuche Existenzen vernichten. Wenn das Vieh hustete, dann galt die letzte Hoffnung dem heiligen Leonhard. Dieser aus Frankreich stammende Heilige wird in Bayern schon seit tausend Jahren verehrt. Dem Bauerngott, wie man ihn nennt, wird bei Leonhardi-Ritten und -fahrten gedankt. Als die berühmteste gilt jene in Bad Tölz mit 1000 Teilnehmern und einigen Alkoholleichen, die das Wort immaterielles Weltkulturerbe nicht mehr lallen können.

Der Meistertrunk

7 Wäre Rothenburg ob der Tauber nicht evangelisch geworden, müsste die Stadt nicht immer wieder nach einem suchen, der dreieinviertel Liter, nun ja, besten Weins in einem Zug leeren kann. Andererseits gäb's das Festspiel dann nicht, mit dem ein Bürgermeister gefeiert wird, der 1631 die Stadt vor Brandschatzung bewahrte. Der katholische Feldherr Tilly soll so beeindruckt gewesen sein vom Durst des Bürgermeisters, dass er die Stadt verschonte. Aber: Eine Zechleistung als Welterbe?

Genussregion Oberfranken

8 Das braune Autobahn-Schild macht dem Reisenden klar, wo in Oberfranken die Prioritäten liegen: auf den Wirtshaustischen. Der Landstrich hat die höchste Dichte an Brauereien, an Metzgern und Bäckern und bestimmt die meisten Wurst-Rezepturen. Schäufala und Krenfleisch, Klöß und Kraut und Bier machen Oberfranken zu einer genussfreudigen Region. Aber gehört eine Schweineschulter ins Welterbe? Echt nicht. Lieber auf den Teller.

Almwirtschaft

9 Den Hindelanger Viehscheid kennen viele. Aber um den Touristenrummel beim Almabtrieb geht's hier nur am Rande, sondern um das alte Wissen, mit der alpinen Natur schonend umzugehen. Im Fokus steht das Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen um Bad Hindelang als Beispiel für die Alm- respektive Alpwirtschaft. Die "Sömmerung", wie die Allgäuer den sommerlichen Weidegang auf der Alp nennen, ist seit 1794 belegt und ein guter Kandidat.

Die Kandidaten
:Meistertrunk und Kinderzeche

Von geschichtlichen Umzügen, über Goldhäubchen zu urbanem Gartenbau: Bayerns Anwärter für die Liste der immateriellen Weltkulturerbe.

Kinderzeche

10 Was den Rothenburgern ihr Meistertrunk, ist den Dinkelsbühlern ihre Kinderzeche. In Dinkelsbühl aber mussten nicht katholische Truppen besänftigt werden, sondern evangelische Schweden. Und es war nicht der Meisterdurst eines Politikers, sondern die Tochter des Turmwächters und der Liebreiz einer Kinderschar, der die Stadt vor Plünderung bewahrt haben soll. Kindliche Friedensdiplomatie. Nur: Dinkelsbühl auf die Liste, Rothenburg aber nicht?

Landshuter Hochzeit

11 Die Hochzeit des Herzogssohns Georg und der polnischen Königstochter Jadwiga im Jahre 1475 war eines der spektakulärsten Feste des Mittelalters. Alle vier Jahre spielen 2500 Landshuter dieses Ereignis so authentisch wie möglich nach, bis mancher gar rülpset und furzet. Ob Ritter und Gaukler vor 500 Jahren tatsächlich so leidenschaftlich agiert hatten, wie es hier gezeigt wird, weiß keiner, aber trotzdem wähnen sich viele bei der Landshuter Hochzeit voller Wonne im Mittelalter. 600 000 Gäste können sich nicht irren.

Further Drachenstich

12 Er ist fast 16 Meter lang und elf Tonnen schwer. Er kann Kopf, Schwanz und Flügel bewegen und sogar Feuer spucken. Als größter vierbeiniger Roboter hat es der Further Drache ins Guinness-Buch geschafft. Doch natürlich ist der Drachenstich nicht nur etwas für Technik-Freaks. Tausend Darsteller zelebrieren im August das älteste deutsche Volksschauspiel, in dem der tapfere Ritter Udo für seine Burgfrau kämpft. Mehr Romantik geht nicht.

Augsburger Stiftungskultur

13 Wo kann man sonst noch für 0,88 (in Worten: nullkommaachtundachtzig) Euro Jahres(!)-Miete wohnen? In der Augsburger Fuggerei, der ältesten Sozialsiedlung der Welt, sind die Preise jedenfalls seit 1521 unverändert geblieben. Die Fuggerei ist nur eine von mehr als 100 Stiftungen - und bei weitem nicht die älteste -, die das Zusammenleben erleichtern und bereichern. Rauf auf die Liste - und bitte die Fuggerei mit ihrer Minimiete noch gleich zur Welterbestätte erklären!

Bamberger Sandkerwa

14 Die einen freuen sich das ganze Jahr darauf, die anderen verrammeln ihre Häuser und fahren weg. Weg von den Tausenden, die im August in die Altstadt einfallen. Gut, es gibt das Fischerstechen und den Hahnenschlag. Aber längst ist die Kerwa ein Biergelage wie die Bergkirchweih in Erlangen oder das Oktoberfest halt auch. Nur die Kulisse ist schöner. Weltkulturerbe eben. Aber das reicht dann auch. Bier trinken im Welterbe, ok. Aber Bier trinken als Weltkulturerbe - bloß nicht!

Goldhaube

15 Seit Jahrhunderten tragen die stolzen Frauen aus dem Passauer Land zu festlichen Anlässen eine Goldhaube, und nicht selten fertigen sie diese sogar selber an. Attraktive Frauen, die auch handwerklich auf Zack sind, lassen die Welterbe-Juroren möglicherweise dahinschmelzen. Noch ein Plus: Die Goldhaube ist wie der Fußballer Alaba länderübergreifend in Österreich und Bayern satisfaktionsfähig und somit Ausdruck des vereinten Europa.

Limmersdorfer Lindenkerwa

16 Um die Bäume tanzen sie ja vielerorts, aber die Limmersdorfer tanzen auf dem Baum. In der Krone ihrer Tanzlinde, auf dem hölzernen Podest. Irgendwann im 17. Jahrhundert soll der Baum gepflanzt worden sein und beinahe genauso lang wird rundherum an Bartholomä Kerwa gefeiert. Das können alle Oberfranken gut. Aber Tanzlinden gibt es nicht einmal mehr eine Handvoll in Deutschland, vom Tanz in der Krone ganz zu schweigen. Deswegen: Auf die Liste mit der Limmersdorfer Linde!

Urbaner Gartenbau

17 Mitten in der Stadt wachsen in Bamberg Zwiebeln und Lauch, Salat und Kräuter und die Bamberger Hörnla, die schmackhaften Kartoffeln. Sogar Süßholz wird wieder angebaut. Die Gärtnertradition ist Jahrhunderte alt, und man müht sich redlich in Bamberg, sie zu erhalten. Die Gärtnerhäuser mit ihren anschließenden Feldern zwischen Regnitz und Bahnhof gehören wie die ganze Innenstadt schon zum Unesco-Weltkulturerbe. Den Gartenbau auch noch aufnehmen? Wieso nicht.

Fischzug Schmidmühlen

18 Mit Karpfen oder Angelrute hat der Fischzug von Schmidmühlen nichts zu tun, wohl aber mit Flüssigkeit: Am Aschermittwoch, 13 Uhr, wird in der Marktgemeinde in der Oberpfalz der Fasching zu Grabe getragen. Reden ist während des Trauerzugs streng verboten. Um so fröhlicher geht es dafür zu, wenn die Männer im schwarzen Frack mit weißem Fisch am Rücken in jedem Dorfwirtshaus einkehren. Angeblich entstand der Brauch, um vor der Fastenzeit die letzten Bierreste zu vernichten. Nichts für Feinschmecker, aber ökologisch und gesellschaftlich wertvoll!

Von Franz Kotteder, Hans Kratzer, Heiner Effern, Katja Auer, Olaf Przybilla, Stefan Mayr und Wolfgang Wittl

© SZ vom 22.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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