Horst Seehofer wird 60:Die Sphinx von Ingolstadt

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Maßstab für Seehofer ist allein Seehofer: Was ihr Parteichef wirklich will, weiß die CSU nicht - aber sie braucht ihn, um erfolgreich zu sein. Heute wird Seehofer 60 Jahre alt.

Annette Ramelsberger

Die ganze CSU Oberbayerns steht auf wie ein Mann, als er den Saal in Dachau betritt. Der Bezirkschef wieselt ans Mikrophon und huldigt dem Parteichef. "Die CSU wird wieder gehört, seitdem du das Ruder übernommen hast", ruft Siegfried Schneider dem Chef zu. "Du hast der CSU ihren Stolz zurückgegeben."

Ein Mann, auf den man schaut: Horst Seehofer macht was her. (Foto: Foto: dpa)

Beifall brandet auf, alle blicken auf Seehofer. Der rührt sich nicht. Er sitzt unbewegt auf dem Podium. Rührt in seinem Kaffee. Lächelt nicht. Der Mann am Mikro legt sich noch mehr ins Zeug. "Die Menschen suchen Halt in dieser Zeit. Sie brauchen einen Lotsen. Unser Lotse ist Horst Seehofer." Da lächelt der Chef. Endlich.

Nur die Rolle des "Messdieners"

Seehofer lässt die Seinen zappeln. Er, den sie selbst so lange nicht wollten an der Spitze der Partei. Den sie durchfallen ließen, als er sich 2007 zur Wahl als Parteichef stellte. Und den sie erst holten, als ihnen keine andere Wahl mehr blieb, 2008, im Herbst, als die CSU auf historische 43,4 Prozent gefallen war. Da hatten sie ihn dann doch noch gebraucht.

Seitdem spielt Seehofer Katz und Maus mit seiner Partei. Er zeigt ihnen, was er kann, trotzt der Kanzlerin die Erbschaftsteuerreform ab, das Versprechen für niedrigere Steuern nach der Bundestagswahl. Er gibt der CSU das schöne Gefühl, wieder wer zu sein.

Und wenn er auf dem Wahlparteitag von CDU und CSU in Berlin der Kanzlerin schmeichelt, er habe bei ihr nur die Rolle des "Messdieners", dann hört sich das nicht kleinlaut an wie bei seinen Vorgängern, sondern durchtrieben. So wie das seine Partei mag.

Und er kann's mit den Leuten, kann charmant sein, witzig. "Meinen Sie, ich wär zum Stoiber hingegangen und hätt' mir ein Autogramm geholt", sagt eine Frau aus Wackersdorf, als sie beim Empfang in der Residenz den Ministerpräsidenten trifft. "Der Seehofer ist so nahbar."

Für die eigenen Leute ist er es nicht. Er lässt sie in ständiger Unsicherheit. Bleibt er? Geht er? Ist er berechenbar? Schon beim Politischen Aschermittwoch in Passau hat er plötzlich von seinem "Vermächtnis" gesprochen, von seinen "Nachfolgern".

Am vergangenen Mittwochabend ließ er seine Parteifreunde schon wieder zusammenzucken. Auf der CSU-Mediennacht in München war es, als Seehofer erzählte, er habe alle seine öffentlichen Auftritte, alles, was je über ihn geschrieben wurde, im Keller seines Hauses archiviert.

Gelesen habe er es nie. "Das werde ich mir anschauen, wenn ich das alles hier hinter mir habe", sagte er. Und fügte leichthin an: "Vielleicht nach der Bundestagswahl - bei unserem Rotationsprinzip." In der ersten Reihe schauten sich CSU-Geschäftsführer Markus Zorzi und der alte Strauß-Vertraute Wilfried Scharnagl entgeistert an. Ein Spaß? "Natürlich", sagt Seehofer.

"Ein großer Vorsitzender"

Ein Spaß, den man erst verstehen muss. "Ein Politiker darf ruhig mal kryptisch sein", sagt der frühere CSU-Chef Theo Waigel. "Vielleicht will er einfach nur, dass die Leute zu ihm sagen: Horst, bleib bei uns! Wir brauchen Dich! Seehofer ist für die CSU in den nächsten Jahren unabdingbar."

"Er ist ein großer Vorsitzender. Aber er gibt mir hin und wieder Rätsel auf", befindet Scharnagl am Morgen nach dem Spaß. Nicht nur ihm. Seine ganze Partei wird nicht schlau aus ihm. Maßstab für Seehofer ist allein Seehofer. Und die Partei? "Wenn es mir nicht passt, gehe ich", sagt er. "So mache ich das doch seit 15 Jahren."

So wie damals, als er sich 2004 zurückzog, weil er sich gegen Merkels Vorstellungen für eine Gesundheitsreform nicht durchsetzen konnte. Noch kann er in der CSU alles durchsetzen. Also kann er bleiben. Er will "die Mission zu Ende bringen", sagt Seehofer. "Ich möchte den Punkt erreichen, an dem ich aus freien Stücken und ohne jeden Druck von außen sagen kann, die Stabübergabe erfolgt."

Die Auftritte der Seehofers
:Alles gut, alles in Ordnung

Garstige Gerüchte kursieren über das Privatleben des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer - da hilft nur eins: Fotosafari mit Ehefrau Karin. Die Auftritte des Paares in Bildern.

60 Jahre wird Seehofer an diesem Samstag. Da war Stoiber auf dem Höhepunkt seiner Macht, Franz Josef Strauß nahm nochmal Anlauf. Und er? "Der Horst fühlt sich nicht als Übergangs-Ministerpräsident", sagt Alfred Sauter, einer der wenigen, mit denen sich Seehofer austauscht. "Der will in die Geschichte eingehen. Der macht es so lange, wie er durchhält."

So lange sein Herz durchhält. 2002 wäre er fast an einer Herzmuskelentzündung gestorben. "Ich war gerade bei meinem jährlichen Check", beruhigt Seehofer, "beste Werte." Und erzählt plötzlich von seinem Vater, einem Lastwagenfahrer, der mit 57Jahren an Krebs gestorben ist: "Geburtstag ist kein Verdienst, das ist ein Glück."

In Dachau an den Biertischen der CSU wollen sie jetzt mal ein wenig Ruhe. "Wir wollen nicht jedes Jahr einen neuen Ministerpräsidenten", sagt Landwirt Benedikt Hager. "Der soll jetzt mal ein bisschen bleiben. Müssen ja nicht 14 Jahre sein wie bei Stoiber." Allerdings machen sich die Leute Sorgen um den Ministerpräsidenten, nicht so sehr um seine Gesundheit, eher um seinen Ruf.

Die Gerüchte über sein Privatleben haben sie noch nicht weggesteckt. Die Basis hofft, dass da nichts nachkommt. "Ehrlichkeit muss sein", sagt Hager. Deutlicher will er nicht werden. "Ich nehm' dem Horst das ab", ruft Kathrin Fischer dazwischen, eine fesche CSU-Frau im Dirndl. "Er muss doch auch die Chance haben, sich um das Kind zu kümmern." Jenes Kind, das er mit einer jungen Frau in Berlin hat. Und von der die Bunte berichtet, dass sie noch immer seine Freundin sei.

Seehofer äußert sich dazu nicht, zumindest nicht direkt. Aber er lässt seine Partei wissen, was er von ihr erwartet: "Man fällt nicht über ein Medium, man fällt nur, wenn es die eigenen Parteifreunde wollen", sagt er. "Wenn die Parteifreunde stehen, fällt man nicht."

Seehofer weiß, dass seine Partei ihn nicht liebt. Dass sie ihn nur braucht. So lange er Erfolg hat. Diesem Erfolg ordnet er alles unter. Er richtet Politik nach Applaus aus. Und hält zum Beispiel Bayerns Landwirtschaftsminister dazu an, gegen die eigene Einsicht die Empfänger von EU-Subventionen geheimzuhalten und lieber Strafe an die EU zu zahlen - weil Seehofer bei den Bauern punkten will.

Der CSU-Chef geht immer so weit, wie sich die anderen nicht trauen. "Provokateur" nennen ihn die einen. Ein Taschenspieler sei er, sagen die, die bewundern, wie er mit Berlin spielt, und die sich gleichzeitig sorgen, dass er auch sie in die Tasche steckt. Sein Freund Sauter sagt, Seehofer lebe nach dem Motto: "A bisserl was geht immer." Andere sagen: "Er könnte auch Lordmayor von Las Vegas sein."

Der Mann kann Wähler gewinnen, bei Quelle, bei den Bauern, bei den Betriebsräten der Republik. "Ein Menschenfänger, dem niemand das Wasser reichen kann", sagt Sauter. Die Grundfesten der Partei sind da nicht mehr wichtig. Gerade die CSU, die sich so viel darauf zugutehielt, feste Standpunkte, eherne Grundsätze zu haben, weiß nun nicht mehr, was sie wollen soll. Maßstab ist allein der Wille des Chefs. Doch weiß man, was er will?

Seine Gunst schwankt im Tagestakt. Gerade noch hatte Seehofer seinen Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hochgelobt, am vorigen Wochenende wurde er dann gerüffelt, weil er bei der Hilfe für Quelle zu skeptisch gewesen sei. Dann war über Nacht alles wieder gut.

Selbst einem Wendigen wie dem bayerischen Umweltminister Markus Söder konnte da schwindelig werden. Am Abend stellte er seinem Parteichef eine Frage, deren Antwort ihn auch persönlich interessieren dürfte: "Es gibt den Vorwurf, du würdest oft deine Meinung ändern. Was sagst du dazu?" Seehofer schaut verdrossen, ein wenig angewidert. "Ein Etikett, das mir aufgedrückt wurde", entgegnet er. "Es ist keine Todsünde, wenn man seine Meinungen fortentwickelt."

Dem Chef kommt man nicht zuvor

Und erklärt, wie er früher als Bundesminister der Kanzlerin gehorchen musste. Und wie er jetzt als Ministerpräsident frei agieren kann. "Wir fahren nicht Achterbahn", sagt er. "Seine eigenen Leute wissen heute nicht, was er morgen will", halten die Unionsfreunde in Berlin dagegen.

Seehofer schickt eine SMS, wenn ihm einer der Seinen zu still ist. Er holt sie Sonntagabend zusammen, um die Linie vorzugeben. Einen fähigen EU-Abgeordneten strafte er ab, weil der seine anstehende Ernennung zum Generalsekretär zu schnell an die Presse weitergab. Über Nacht holte sich Seehofer einen anderen. Dem Chef kommt man nicht zuvor.

Wenn man Seehofer fragt, was er sich zum Geburtstag wünscht, schaut er erstaunt. Und sagt dann einen Satz, der seine Parteifreunde wieder mal zusammenfahren lässt: "Ich führe ein sorgenfreies Leben." Was war da mit Quelle, der Landesbank, der Autokrise? Was mit der Bunten? Als alle um ihn herum ungläubig blicken, erklärt er: "Ich verdiene gut, ich kann meinen Kindern eine gute Ausbildung zahlen. Und wir werden die Wahl gewinnen." Dann ist ja alles gut.

© SZ vom 04.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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