Architekturfotografie:Der ewige Kampf zwischen Schatten und Licht

Lesezeit: 3 min

Mit ihrer Plattenkamera hielt Sigrid Neubert ein großartiges Panorama der modernen Nachkriegsarchitektur in Bayern fest.

Von Hans Kratzer

Die 1927 geborene Sigrid Neubert stammt aus einer Generation, die Fotografie noch als ein echtes Handwerk verstand. Erfolgreiche Arbeit basiert aus ihrer Sicht vor allem auf Tugenden wie Präzision, Gefühl und Geduld. Dies stets beherzigend, entwickelte sich Neubert zu einer bedeutenden Architekturfotografin. Sie wurde zu einer Großmeisterin im Spiel mit dem Licht. Oft ging sie mit der Sonne durch den Tag, um die Verwandlungen eines Gebäudes im wechselnden Licht zu beobachten und diese auf Schwarz-Weiß-Fotos einzufrieren. Neubert konnte ein Gebäude mit Hilfe von Licht und Schatten lebendig wirken lassen, landschaftlichen Räumen verlieh sie durch geschicktes Kontrastieren Tiefe und Transparenz.

Neuberts ausdrucksstarke Fotografien haben das Bild der Nachkriegs-Architektur geprägt. Auch in Bayern dokumentierte sie mit ihrer 9×12-Plattenkamera zwischen 1957 und 1989 viele herausragende Bauwerke. Die Glasnegative, auf denen sie ihre Motive belichtete, zeichnen sich durch Kontrastreichtum und große Schärfe aus. Selten hat man das BMW-Verwaltungsgebäude, das Dach des Münchner Olympiastadions oder das abgerissene Verwaltungsgebäude des Süddeutschen Verlags in einer solchen Klarheit wahrgenommen wie auf Neuberts Fotografien. Zudem verleiht sie Kirchen, Wohnhäusern und Funktionsbauten eine fast unwirklich anmutende Ausstrahlung. Die SZ stellte einmal anlässlich einer Neubert-Ausstellung fest, die Fotografin habe, als sie 1964 Alexander von Brancas Weißenburger Heilig-Kreuz-Kirche fotografierte, diese in ein Monument des ewigen Kampfes zwischen Schatten und Licht verwandelt.

In sehr hartes Licht setzte Neubert um 1975 das Hörsaalgebäude der Uni Regensburg, kontrastierend mit den Silhouetten von Studenten.

Zukunftsperspektive der 60er-Jahre: die in eine bayerische Barocklandschaft hineingesetzte Erdfunkstelle bei Raisting.

Eislaufzelt im Olympiapark.

1962 fotografierte Neubert die von Hans-Busso von Busse entworfene Erlöserkirche in Erding.

Das Parkhaus Grottenau in Augsburg.

1 / 1
(Foto: Staatliche Museen Berlin)

Der als Ikone geplante BMW-Vierzylinder.

Sigrid Neubert näherte sich ihren Motiven mit handwerklicher Präzision und mit langem Vorlauf. Sie fotografierte mit einer 9×12-Plattenkamera.

Der für das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege tätige Architekt Frank Seehausen hat nun einen Teil des Lebenswerks von Sigrid Neubert in einem beeindruckenden Buchprojekt zugänglich gemacht. Beim Durchblättern wird dem Leser bewusst, welchen Facettenreichtum das Bauen in der Nachkriegszeit auch in Bayern besaß. Die Dokumentation bezieht ihren Wert nicht zuletzt aus dem Umstand, dass zahlreiche Bauwerke nicht mehr existieren, weil sie der Spitzhacke zum Opfer fielen. 60 repräsentative Projekte hat Seehausen für das Buch ausgewählt. Neubert arbeitete 30 Jahre lang mit bedeutenden Architekten, etwa mit Kurt Ackermann, Walther und Bea Betz, Hans-Busso von Busse, Alexander von Branca und auch mit Karl Schwanzer, dessen BMW-Vierzylinder laut dem Magazin Bauwelt von vornherein als Ikone geplant und von Neubert auch so in Szene gesetzt worden sei.

Zuverlässig arbeitete sie mit ihrem einfühlsamen fotografischen Blick die individuellen Qualitäten der jeweiligen Architektur heraus. Die Exaktheit und die Leidenschaft, mit der Neubert ihre Aufnahmen anfertigte, zog sich durch den ganzen Produktionsprozess. Dass aber auch bei ihr ein kreatives Chaos nicht ausblieb, das wurde Seehausen bewusst, als er vor vier Jahren begann, Neuberts Material zu sichten. Nach ihrem Umzug nach Berlin anno 2009 lagerten die Fotografien und Negative ungeordnet in Kisten. In jeder Kiste seien faszinierende Entdeckungen ans Tageslicht gekommen, kraftvolle Schwarz-Weiß-Abzüge und Einblicke in Architekturen, deren Qualität erst durch die Bilder wieder deutlich geworden sei, resümiert Seehausen.

In Bayern stieß sie auf eine Vielfalt der Baukunst

Sigrid Neubert absolvierte ihre Ausbildung an der damaligen Bayerischen Staatslehranstalt für Lichtbildwesen, wo sie 1954 ihre Meisterprüfung ablegte. Dass sie sich recht bald der Architekturfotografie zuwandte, begründete sie mit dem Argument, sie habe in vielen Bauwerken einen Teil der Persönlichkeit der Entwurfsverfasser wiederentdeckt. Umgekehrt fiel es ihr schwer, für Auftraggeber zu arbeiten, zu denen sie keine positive Beziehung aufbauen konnte.

Neuberts Aufnahmen wurden in Fachzeitschriften veröffentlicht und später auch in Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt. Ihre Arbeitsweise könnte man am besten mit dem Begriff entschleunigt beschreiben. Bevor sie einen Gegenstand fotografierte, beschäftigte sie sich sehr intensiv damit. "Moderne Architektur entwickelte sich im konservativen Umfeld Münchens sehr heterogen und eigenständig - das reizte auch Sigrid Neubert", sagt Frank Seehausen. Zweifellos hatte sie ein gutes Gespür für die Besonderheiten von Bauwerken, die sie dann mit Licht und Schatten noch stärker herausarbeitete. Nicht selten wartete sie Wochen, bis sie das Licht für passend hielt.

In den vergangenen Wochen waren Neuberts herausragende Architektur-Fotografien in Berlin zu sehen. Im Oktober soll die Ausstellung im Alf-Lechner-Museum in Ingolstadt und in der Lechner-Stiftung in Obereichstätt gezeigt werden. Die Präsentation des Buchs von Frank Seehausen wird demnächst in München und in Berlin über die Bühne gehen.

Frank Seehausen: Sigrid Neubert, Architekturfotografie der Nachkriegsmoderne, Hirmer Verlag, 336 Seiten, 45 Euro.

© SZ vom 07.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Ausstellung
:Der Stolz der Juden

Das Berliner Centrum Judaicum eröffnet seine neue Dauerausstellung zur Geschichte der Neuen Synagoge. Sie belehrt und überwältigt nicht - und setzt vor allem auf denkende Besucher.

Von Jens Bisky

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: