Flüchtlinge in Bayern:Kosovarische Kinder aus Abschiebezentrum dürfen zur Schule

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Für Asylbewerber-Kinder gilt die Schulpflicht. Jene in den Abschiebezentren will das Kultusministerium aber vom Regelunterricht fernhalten. (Foto: Peter Steffen, dpa)
  • Eigentlich müssen Flüchtlingskinder in Deutschland die Schule besuchen.
  • Kinder, die in den Abschiebezentren untergebracht sind, werden allerdings normalerweise nicht in die Regelschule geschickt.
  • Nun hat das Kultusministerium eine Ausnahme gemacht, die Folgen haben könnte.

Von Andreas Glas, Ingolstadt

Dürfen Kinder von Asylbewerbern zur Schule gehen? Dürfen sie Deutsch lernen? Eigentlich ja, sagt das Gesetz, denn sie sollen sich integrieren können. In Bayern aber gibt es zwei Orte, an denen dies nicht gilt: in den sogenannten Abschiebezentren in Bamberg und in Manching bei Ingolstadt. Diese Zentren hat die Staatsregierung eingerichtet, um Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern im Eilverfahren in ihre Heimat zurückzuschicken.

Echter Unterricht ist dort überflüssig, findet das Kultusministerium - und verbietet den Kindern dort, in eine Regelschule zu gehen. Obwohl darunter einige sind, die monatelang zur Schule gegangen sind und angefangen hatten, sich zu integrieren. Bis sie ins Abschiebezentrum kamen, wo sie gerade mal zwölf Stunden Unterricht pro Woche kriegen, Deutsch lernen sie praktisch gar nicht mehr. Eine zweifelhafte Praxis, die nun ins Wanken geraten könnte.

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Erstmals hat das Kultusministerium jetzt drei Kindern aus dem Abschiebezentrum in Manching erlaubt, eine Mittelschule beziehungsweise eine Berufsschule zu besuchen - auf Drängen des Münchner Rechtsanwalts Franz Bethäuser. Der Anwalt hatte für die aus Kosovo stammenden Mädchen einen Eilantrag auf Regelschulbesuch beim Verwaltungsgericht gestellt. Um einen Präzedenzfall zu verhindern, sei das Ministerium dem Urteil zuvorgekommen und habe den Schulbesuch von sich aus genehmigt, sagt Bethäuser.

Das Ministerium wisse, dass es gegen Recht verstoße und dass es peinlich wäre, wenn ein Richter den Verstoß entlarven würde. Dass das Ministerium nachgebe, sei ein Eingeständnis, "dass es keine Rechtsgrundlage dafür gibt", Flüchtlingskindern den Regelschulbesuch zu verbieten, sagt Bethäuser. Erst wenn die Staatsregierung das neue Integrationsgesetz durchsetzt, könnte es eine solche Rechtsgrundlage geben.

Der Flüchtlingsrat kritisiert das Schulverbot schon lange und wirft der Staatsregierung vor, die Rechte von Flüchtlingskindern zu verletzen. Das Kultusministerium dagegen verteidigt den eingeschränkten Unterricht - obwohl das bayerische Schulgesetz Asylbewerber grundsätzlich dazu verpflichtet, eine normale Schule zu besuchen. Dass man nun "in einem Einzelfall" vom Schulverbot abgerückt sei, habe lediglich damit zu tun, dass die kosovarische Familie bereits drei Monate in Deutschland lebe und eine ordentliche Aufenthaltsgestattung besitze, sagt ein Ministeriumssprecher. Man könne das "nicht als klassischen Fall der Personen, die in Bamberg oder Manching leben, bezeichnen".

Mehr Kinder könnten Anspruch auf Schulbesuch haben

Ob das stimmt, ist fragwürdig. Denn laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bekommt in Manching und Bamberg jeder Asylbewerber "mit dem Tag der Antragstellung" eine ordentliche Aufenthaltsgestattung. Diese gilt, bis der Antrag genehmigt oder - wie in den Abschiebezentren üblich - abgelehnt wird. Nur wenn es länger als drei Monate dauert, bis die Behörde über den Antrag eines Asylbewerbers entscheidet, dürfen dessen Kinder auf eine Regelschule gehen. Das ist die Logik des Kultusministeriums - und nach dieser kann man im Fall der kosovarischen Familie kaum von einem Einzelfall reden.

Nach Auskunft der Regierung von Oberbayern wartet jeder vierte der zurzeit gut 1000 Asylbewerber im Manchinger Abschiebezentrum länger als drei Monate, bis die Ausländerbehörde endgültig über seinen Antrag entschieden hat. Für wenigstens 250 Menschen könnte demnach das Recht gelten, ihre Kinder - sofern sie welche haben - auf eine Regelschule zu schicken. Im Bamberger Abschiebezentrum sind aktuell 500 Menschen untergebracht, indes kennt die Regierung von Oberfranken die Zahl derer nicht, deren Asylantrag bereits länger als drei Monate zurückliegt. Weil auch das BAMF keine Statistik darüber führt, kann es sein, dass in Bamberg gar noch mehr Kinder Anspruch auf Regelschulunterricht haben als in Manching.

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Der Flüchtlingsrat hält diese Zahlen ohnehin für irrelevant. Laut Erziehungsgesetz entscheidet nicht der Zeitpunkt der Asylantragstellung über den Beginn der Schulpflicht, sondern die Schulpflicht beginnt gemäß Artikel 35 "drei Monate nach dem Zuzug aus dem Ausland". Und weil die Menschen "zum Teil schon zwei, drei Jahre in Deutschland sind, bevor sie nach Bamberg oder Manching kommen", sagt Flüchtlingsrat-Sprecher Alexander Thal, müssten praktisch alle dort untergebrachten Kinder auf eine normale Schule gehen dürfen.

Die Familie will niemanden verärgern

Ähnlich argumentieren Barbara Lochbihler und Volker Beck, die wegen der Unterrichtssituation in den Abschiebezentren eine Beschwerde beim Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen eingereicht hatten. Die Grünen-Politiker dürften sich gestärkt fühlen, nachdem das Kultusministerium nun erstmals selbst von der Praxis des Regelschulverbots abrückt.

Die kosovarische Familie, die bald zum Musterfall für andere werden könnte, will sich derweil nicht äußern. Der Mutter wäre es am liebsten, ihr Fall wäre gar nicht bekannt geworden. Aus Furcht darüber, sie könnte die Behörden verärgern, wäre sie niemals selbst an die Öffentlichkeit gegangen. Ihr Anwalt ist indes froh, dass die Diskussion um Kinderrechte in den Abschiebezentren wieder an Fahrt aufnehmen könnte. Denn was dort geschehe, sagt Bethäuser, "ist echt absurd".

© SZ vom 30.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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