Eröffnung in Augsburg:Provisorium Romanum

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Kisten, Paletten, Stapelboxen: Nach zweijähriger Zwangspause eröffnet das Römische Museum eine einstweilige Ausstellung. Sie ist so gut gelungen, dass Besucher die lange Wartezeit auf die Renovierung der Dominikanerkirche verschmerzen können

Von Stefan Mayr, Augsburg

Steine, Steine, Steine. Überall Steine. Die Besucher des Römischen Museums in Augsburg wurden über viele Jahrzehnte hinweg geradezu erschlagen von Meilensteinen, Grabsteinen und sonstigen Felsbrocken, die mitunter zwar schon imposant waren, aber in ihrer Gesamtheit irgendwie sehr eintönig.

Wie gut, dass es jetzt eine völlig neugestaltete Ausstellung gibt. "Römerlager. Das römische Augsburg in Kisten", heißt die Präsentation in der Toskanischen Säulenhalle im Zeughaus. Und sie überrascht den Besucher sogleich mit einem unerwarteten Exponat: Holz, Holz, Holz. In der Mitte der lang gezogenen Halle liegt und steht auf Lech-Kiesboden ganz viel Holz. "Das war der kleine Lechhafen", sagt Kurator Manfred Hahn.

Ja, im zweiten Jahrhundert nach Christus war Augusta Vindelicum auch eine Hafenstadt. "Der wesentliche Handelsweg der Stadt war nicht auf dem Land, sondern auf dem Wasser", sagt Hahn. An der Anlegestelle aus Weißtannen- und Eichenholz legten die Flachbodenschiffe an und brachten Lebensmittel und Handelsware für die etwa 15 000 Einwohner. Die Boote lieferten Früchte und Öl - und ja, sie brachten auch jene Steine, die all die Jahre als Zeugen der ruhmreichen Vergangenheit überdauert haben. Die Jurakalk-Steine aus der Schwäbischen Alb wurden zunächst über die Donau transportiert und dann flussaufwärts über den Lech nach Augsburg "hochgetreidelt". Also von Maultieren, Ochsen und Menschen gezogen.

Natürlich wird auch die neue Ausstellung von Steinen dominiert. Aber dennoch ist den Machern eine ungewöhnlich leichte Präsentation gelungen, was sicherlich auch an der Ausstattung liegt. Die Exponate liegen in schlichten weißen Kisten, die Füße der Schränke und Tische bestehen aus Euro-Paletten oder grauen Stapelboxen aus Plastik. Alles wirkt wie ein Provisorium. Sogar die Stellwände stehen schräg. Als wären sie nur kurz angelehnt auf dem Weg zu ihrem endgültigen Standort. Das ist in doppelter Hinsicht ein gelungener Kniff: Erstens verbreitet die Halle damit einen ungewöhnlichen Charme, zweitens ist das Design eine klare Botschaft an die Besucher und vor allem die Stadtoberen: Liebe Leute, so hört man jede Kiste rufen, bitte vergesst nie, dass das hier nur eine Interimslösung ist.

Auf Kisten aus Plastik: Die Präsentation der Ausstellungsstücke ist bewusst provisorisch gehalten. (Foto: Stefan Puchner)

Dass dieser Wink bitter nötig ist, haben die Politiker in mehreren Stadtratsperioden eindrucksvoll bewiesen: Nach der Eröffnung des Römischen Museums im Jahr 1966 wurde dessen Grundkonzeption nicht mehr überarbeitet. Außerdem ließ man die marode Dominikanerkirche, in der die bedeutende Sammlung gezeigt wurde, jahrzehntelang verrotten. Bis sie im Dezember 2012 quasi über Nacht zugesperrt werden musste. Der Boden war nicht mehr sicher. Seitdem hatte die Stadt kein Museum mehr, das ihre römischen Wurzeln würdigt. Ein starkes Stück für die ehemalige Hauptstadt der römischen Provinz Raetien, die von Nördlingen bis St. Gallen und von Passau bis nach Südtirol reichte. Für eine Stadt, die sogar den Namen des Kaisers Augustus trägt, die sich auf ein Militärlager um die Zeit von 15 vor Christus gründet und als älteste Stadt Deutschlands neben Trier und Kempten gilt.

Experten warfen der Stadt Geschichtsvergessenheit vor, Lehrer fuhren mit ihren Schülern ins benachbarte Kempten, um ihnen dort etwas über die Ursprünge Augsburgs zeigen zu können. Die begehrten Funde der Stadt sorgten europaweit in Museen für Furore, während die Besitzer sie nie zeigen konnten. Ein peinlicher, untragbarer Zustand, der zweieinhalb Jahre lang dauerte.

Am Samstag wurde nun in der Toskanischen Säulenhalle im Zeughaus die Übergangsausstellung eröffnet. Sie zeigt einen Überblick über die zahlreichen archäologischen Funde der Stadt, bis das Stammareal des Römischen Museums restauriert und erweitert ist. "Wir gewähren während des Umzugs einen Einblick in unsere Transportkisten", sagt Manfred Hahn. 400 Objekte hat er aus dem Depot ausgewählt. Viele davon sind altbekannte Pflichtstücke: Der Pinienzapfen, der bis heute im Zentrum des Augsburger Stadtwappens steht. Der Siegeraltar, dessen Fund die Geschichtsschreibung änderte. Der bronzene Pferdekopf, zu dem es immerhin spannende neue Erkenntnisse gibt. Dazu kommen Exponate, die - wie der Holzhafen - noch nie gezeigt wurden. Allen voran die Überreste einer imposanten Sphinx, die stoisch ein Grab bewachte. Teilweise muss man die Vitrinenboxen erst öffnen, zum Vorschein kommen dann Goldmünzen, Geschirr, Amphoren, aber auch ein antiker Münzfälsch-Apparat oder 33 Gemmen, also Schmucksteine. Um deren Gravuren entziffern zu können, gibt es Touchscreens zum Heranzoomen.

Ein netter Gag nicht nur für jugendliche Besucher ist das Triklinium. In diesem nachgebildeten Speisesaal kann man "zu Tisch liegen", wie Manfred Hahn sagt. Die Jugend darf sich auf das Kanapee legen und Selfies schießen. Fehlt nur noch, dass Wein gereicht und mit Palmwedeln Luft zugefächert wird.

Insgesamt ist die Ausstellung in sieben Themenbereiche aufgeteilt. Einen davon hat Hahn bewusst klein gehalten: Das Militär. "Augsburg war nur bis 70 nach Christus Garnisonsstadt", sagt er, "danach prägten Händler und Produzenten das Straßenbild, aber keine Soldaten." Man kenne die Römer zwar vor allem als Waffen- und Helmträger, aber in Augsburg habe sich der Schwerpunkt "früh auf Handel, Verkehr und Verwaltung" verlegt. Wie lange das Intermezzo im Ausweich-Quartier andauern wird?

Der wesentliche Handelsweg der Stadt war nicht auf dem Land, sondern auf dem Wasser", sagt Kurator Manfred Hahn. Deshalb gibt es viel Holz zu sehen. (Foto: Stefan Puchner)

Bislang hat sich der Stadtrat nur auf den endgültigen Standort des Römischen Museums festgelegt: Es soll - irgendwann - in die restaurierte und erweiterte Dominikanerkirche zurückkehren. Einen Museums-, Bau- oder Zeitplan gibt es aber noch nicht. Es heißt, die Rückkehr klappe "nicht vor 2022". Es wird wohl eher bis 2025 dauern. Manfred Hahn sagt dazu nur: "Wir tun alles, damit keiner auf die Idee kommt, das hier ist eine endgültige Lösung." Er und seine Mitarbeiter haben das Kunststück fertig gebracht, trotz aller Restriktionen eine ansprechende Ausstellung auf die Beine zu stellen.

Die Präsentation endet mit dem Thema Tod. Das Sterben der Menschen und das Sterben des Römischen Reiches. Danach stößt der Besucher auf eine raumhohe Wand grauer Plastikkisten. Mit Aufschriften, die Lust auf mehr machen. Es ist die letzte kaum codierte Nachricht an den Stadtrat: Wir haben noch viel mehr auf Lager und würden es gerne zeigen, aber das ist leider noch nicht möglich.

"Römerlager. Das römische Augsburg in Kisten": Toskanische Säulenhalle im Zeughaus, Zeugplatz 4, dienstags bis sonntags 10 bis 17 Uhr. Kostenlose Führungen samstags um 14 Uhr (Anmeldung empfohlen), Tel. 0821-324-4112.

© SZ vom 27.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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