Eishalle in Bad Reichenhall:"Das begleitet einen immer"

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Die eingestürzte Eissporthalle in Bad Reichenhall am 5. Januar 2006. (Foto: dpa/dpaweb)

15 Menschen sind beim Einsturz der Eishalle in Bad Reichenhall vor zehn Jahren ums Leben gekommen. Darunter die beiden Töchter von Robert Schmidbauer. Er hat sich trotzdem ins Leben zurückgekämpft.

Von Matthias Köpf, Bad Reichenhall

Dieser eine Satz fällt immer wieder, wenn Robert Schmidbauer über den 2. Januar 2006 spricht: "Wir haben keine Kinder mehr." Es war der zweite Satz, an den sich Schmidbauer erinnert, nachdem sich seine Frau trotz eines dreifach gebrochenen Beckens selbst aus den Trümmern gekämpft, sich in dem Chaos von irgendwem ein Mobiltelefon ausgeliehen und ihn daheim in Freilassing angerufen hatte. Ihr erster Satz lautete: "Die Halle ist eingestürzt."

Der Weg über die eigentlich nur 17 Kilometer nach Bad Reichenhall zog sich an dem Tag vor genau zehn Jahren unerträglich hin, denn die Bundesstraße war an dem Tag wegen der starken Schneefälle gesperrt. Der Taxifahrer musste über Salzburg ausweichen und versuchte unterwegs hilflos, Schmidbauer irgendwie Mut zu machen, während sich im Autoradio die Schreckensnachricht verdichtete.

Während die Menschen um die 15 Todesopfer trauerten, mussten die Bergungsarbeiten wegen weiterer Schneefälle zeitweise unterbrochen werden. (Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Die Eishalle in Bad Reichenhall ist unter der Last des Schnees eingestürzt. Verletzte, Tote. Irgendwann hat Robert Schmidbauer seine Frau dann liegen sehen auf der Trage in dem Verbindungsgang. Eine Handbewegung, ein kleines, verzweifeltes Abwinken: "Wir haben keine Kinder mehr." Dann ist Robert Schmidbauer selbst zusammengebrochen, und als nächstes erinnert er sich, wie sie beide im Krankenhaus waren.

Hilfe durch eine Psychologin - und drei Möglichkeiten

Seine Frau hatte die Große selber daliegen sehen, und dass auch die Kleine tot war, das wusste sie sofort. Seither ist in zehn Jahren kein Tag vergangen, an denen die Schmidbauers nicht daran gedacht hätten. "Das begleitet einen immer", sagt Robert Schmidbauer, der heute 49 Jahre alt ist. Aber oft seien es auch Gedanken an schöne Momente mit den Töchtern, mit Christina und Marina. Die Schmidbauers feiern weiterhin die Geburtstage der Mädchen, die nur elf und acht Jahre alt geworden sind.

Sie feiern Weihnachten und Silvester. Es sind keine einfachen Tage, so nah am 2. Januar. Aber seit 2008 gibt es in der Familie Schmidbauer wieder jemanden, der sich auf Weihnachten freut, und mit ihm seine Eltern. Dieser eine, furchtbare Satz stimmt nicht mehr. Zumindest für die Öffentlichkeit wollen die Schmidbauers ihren Sohn von all dem fernhalten. Er weiß, dass er zwei Schwestern hat und dass sie im Himmel sind. Robert Schmidbauer sagt, "dass wir unser Leben wieder so weit im Griff haben".

Hass hat Robert Schmidbauer nie gespürt, doch die Wut bleibt. (Foto: oh)

Das erste Jahr hat eine Psychologin sie begleitet, die klare Worte gewählt und von drei Möglichkeiten gesprochen hat: Sich umzubringen, Alkoholiker zu werden oder sich ins Leben zurückzukämpfen. Sie haben sich für Nummer drei entschieden und nach einem Jahr auch dafür, es von nun an selbst zu schaffen. Sie seien lebensfrohe Leute gewesen und seien es oft wieder, sagt Robert Schmidbauer. Vielen anderen Hinterbliebenen von Reichenhall geht es anders. Zu manchen haben die Schmidbauers engeren Kontakt, zu manchen losen, einige hätten sich ganz in die Verbitterung zurückgezogen. Bei ihm selbst habe es nie Hass gegeben, sagt Schmidbauer. Die Wut bleibt.

Die Folge von Verantwortungslosigkeit, Schlamperei, Skrupellosigkeit

Denn schon die Gedenkstätte mit einer bunten Stele für jedes der 15 Todesopfer haben sich die Angehörigen erkämpfen müssen gegen die Stadt Bad Reichenhall. Viele im Rathaus hätten sich lieber nicht an die Katastrophe erinnert, die kein Schicksal war, sondern die Folge von "gravierenden Fehlern, Ignoranz, Verantwortungslosigkeit, Schlamperei, Skrupellosigkeit". So hat ein Richter die Gründe dafür beschrieben, dass mitten in Deutschland, wo angeblich alles geregelt und normiert ist, ein öffentliches Gebäude einfach einstürzt, weil es viel geschneit hat an einem Ort, wo es oft viel schneit.

Die städtische Eishalle ist in den Augen des Richters "letztendlich ein Schwarzbau" gewesen. Die Verantwortlichen aus dem Rathaus hatten vor Gericht ein erbärmliches Bild abgegeben, doch am Ende erhält nur ein Statiker eineinhalb Jahre Haft auf Bewährung. Ein Gutachter wird zweimal freigesprochen. Selbst wenn er die Fehler bei Planung und Bau erkannt und benannt hätte, so hätte diese Stadtverwaltung darauf wohl nicht reagiert, lautete ein Argument.

Robert Schmidbauer kann nur schwer akzeptieren, dass am Tod seiner Töchter irgendwie alle und darum keiner Schuld gewesen sein sollen. Er hätte sich damals ein Urteil gewünscht, "mit dem du weißt: der und der ist verantwortlich", sagt er heute, wo er dieses Urteil nicht mehr bekommen wird. Immerhin gibt es seit 2010 die Gedenkstätte. "Die Stadt Bad Reichenhall ist sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst und gedenkt an dieser Stelle der verstorbenen 12 Kinder und der 3 Mütter", steht darauf, und weiter unten auch die Zeilen "Christina Schmidbauer, 11 Jahre" und "Marina Schmidbauer, 8 Jahre". An diesem Samstag werden sich die Schmidbauers dort wieder mit anderen Angehörigen treffen, wie jedes Jahr. Um 16.30 Uhr folgt ein Gottesdienst in der Kirche St. Zeno.

© SZ vom 02.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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