Isar 1:"Ein Flugzeugabsturz könnte verheerende Folgen haben"

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Bedrohung aus der Luft: Der Sicherheitsexperte Christoph Pistner erklärt, warum die Risiken bei alten Anlagen besonders groß sind.

Kassian Stroh

Christoph Pistner, 41, ist der Experte für Anlagensicherheit beim Öko-Institut in Darmstadt. Kassian Stroh sprach mit ihm über die Bedrohung von Atomkraftwerken aus der Luft.

Das Atomkraftwerk Isar I gehört zu den alten Kraftwerken, die durch einen Flugzeugabsturz am schlimmsten getroffen werden können.  (Foto: Johannes Simon)

Süddeutsche Zeitung: Atomkraftgegner argumentieren, die Reaktoren seien gegen Flugzeugabstürze unzureichend geschützt. Ist das eine theoretische Debatte oder eine ernste Gefahr?

Christoph Pistner: Dass Terroristen, die Flugzeuge entführen und gegen zivile Ziele einsetzen, eine reale Gefahr sind, haben wir 2001 gesehen. Wie wahrscheinlich so ein Anschlag ist, hängt aber immer von den politischen Rahmenbedingungen ab: von der Bedrohungslage zum Beispiel, der internationalen Situation. Insofern ist diese Frage nicht einfach zu beantworten.

SZ: Angenommen, ein Passagierflugzeug würde gekapert und in ein Atomkraftwerk gelenkt - wäre das sehr bedrohlich?

Pistner: Wenn ein solcher Anschlag gelänge, dürfte es eines der schlimmsten terroristischen Szenarien sein, die man unterstellen kann. Aber es gäbe auch andere, ähnlich schlimme.

SZ: Welche?

Pistner: Diese Ideen möchte ich jetzt nicht breit diskutieren. Nur so viel: Es gibt andere Schwachstellen an Kraftwerken, die ausgenutzt werden könnten.

SZ: Zurück zum Flugzeugabsturz: Was würde da im Reaktor passieren?

Pistner: Da muss man erst einmal die Anlagen unterscheiden: Wir haben in Deutschland Reaktoren, bei deren Bau unterstellt wurde, dass sie vom Absturz einer schnell fliegenden Militärmaschine getroffen werden könnten. Diese Anlagen haben im Prinzip das Potenzial, auch den Absturz einer Passagiermaschine auszuhalten. Dazu gehört zum Beispiel Isar 2. Ältere Anlagen wie Isar 1 würden solch einen Absturz wahrscheinlich nicht überstehen.

Dann droht, dass das Reaktorgebäude zerstört wird - und damit auch der Sicherheitsbehälter, der bei einem Störfall die Radioaktivität im Inneren einschließen soll. Wie groß die Auswirkungen tatsächlich sind, hängt von Faktoren wie der Größe und Geschwindigkeit des Flugzeugs ab. Die Gefahr ist, dass die Kühlung des Reaktors unterbrochen wird, wenn auch die Notkühlung ausfällt - dann käme es zur Kernschmelze. Das setzt Radioaktivität frei.

SZ: Und wenn nicht der Reaktor getroffen würde, sondern nur das Turbinenhaus?

Pistner: Das Entscheidende ist, dass die Kühlung des Kerns aufrechterhalten bleibt. Wenn er selbst nicht betroffen ist und so lange man die Nachkühlsysteme hat, die für Störfälle gedacht sind, würde deutlich weniger Radioaktivität freigesetzt.

SZ: Und das Zwischenlager mit den alten Brennstäben neben dem Kraftwerk?

Pistner: Die sollen so ausgelegt sein, dass sie einem Absturz standhalten - also nicht die Lager als solche, aber in Kombination mit den Castorbehältern, in denen die Brennelemente lagern. Die sollen sowohl den Absturz wie auch einen Treibstoffbrand aushalten.

SZ: Wir haben jetzt nur über einen von Terroristen herbeigeführten Absturz gesprochen. Hätte ein unfallbedingter ähnliche Folgen?

Pistner: Grundsätzlich ja, man geht aber davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit eines solchen Absturzes relativ gering ist. Man kann sie durch Maßnahmen weitgehend reduzieren: durch Überflugverbote etwa oder die Verlegung von Ein- und Abflugschneisen.

SZ: Für Isar 1 wurde mal diskutiert, es mit einer Vernebelungsmaschine zu schützen. Eine gute Idee?

Pistner: Meines Wissens sind in Deutschland bisher nur wenige dieser Anlagen errichtet worden. Das bringt auch nicht viel. Vernebeln und damit den Anflug erschweren könnte man ja nur zeitlich begrenzt - für Minuten vielleicht, nicht für Stunden. Ursprünglich war vorgesehen, dass man so Zeit gewinnt, um ein entführtes Flugzeug dann noch abschießen zu können. Das darf man jetzt aber nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr.

SZ: Warum ist es eigentlich so schwer zu prognostizieren, welche Gebiete im Falle eines Falles verstrahlt würden?

Pistner: Weil das sehr von den jeweiligen Bedingungen des Unfalls und vom Wetter abhängt. Aber das Szenario eines großen Flugzeugabsturzes mit Kernschmelze hätte in jedem Fall verheerende Konsequenzen. In der Ausbreitungsrichtung müssten Gebiete in 50 bis 100 Kilometer Entfernung evakuiert werden. Oder viel mehr - je nach Wetter und tatsächlicher Freisetzung.

© SZ vom 04.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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