Demonstrationen:Wandertage

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Zum Auftakt des G-7-Gipfels ist die Stimmung zwischen Polizei und Demonstranten gereizt, aber weitgehend friedlich. Die Aktivisten ziehen durch Garmisch-Partenkirchen und Umgebung und versuchen, den Betrieb mit kleineren Blockaden zu stören

Von Heiner Effern und Lisa Schnell, Garmisch-Partenkirchen

Es wirkt wie ein kleiner Showdown: Sonntagmittag, Bundesstraße B 2. Die Junisonne brennt auf den Asphalt herab. Kein Verkehr. Am Ortsausgang von Garmisch-Partenkirchen sitzen dicht gedrängt 30 junge Frauen und Männer auf der Straße. Einer hat sich komplett ausgestreckt. Ein Baum spendet ihnen Schatten. Um die Gruppe herum bilden Bereitschaftspolizisten in schwarzen Einsatzanzügen einen Kreis. Kollegen in Grün kommen immer wieder, um einen nach dem anderen abzuholen. Die ersten Blockierer stehen noch auf und gehen freiwillig mit in die Seitenstraße. Dort werden sie von Kripo-Beamten fotografiert, durchsucht und anschließend weggebracht. Die letzten werden getragen, ein Polizist links, einer rechts. Wenn sich der Demonstrant dagegen sperrt, wird er eben mitgeschleift. Oder die Beamten nehmen seine Arme auf den Rücken und schieben einen Schlagstock unter den Achseln hindurch. Ein zweiter kommt unter die Kniekehlen, und dann wuchten die Beamten die Männer hoch und tragen sie sitzend. "Seien Sie bitte vorsichtig", sagt ein Demonstrant. "Ich will Ihnen nicht weh tun", antwortet der Polizist. Es ist schon die zweite Sitzblockade auf der Bundesstraße B 2 an diesem ersten Gipfeltag. Auch sie endet friedlich, um 13.40 Uhr ist die Straße ohne großes Drama wieder frei. Es ist eine Art Guerilla-Taktik, mit der die Gipfelgegner vorgehen. Aufgesplittet in viele verschiedene Gruppen versuchen sie die Polizei von Garmisch-Partenkirchen bis Elmau zu beschäftigen. Um acht Uhr am Morgen beginnt ein Sternmarsch in Richtung Schloss Elmau, der auf allen Routen am Sicherheitszaun endet. Auch die ersten 20 Demonstranten schwärmen aus. Sie blockieren die B 2 - ein Erfolg aus ihrer Sicht: "Das war ein Punktsieg für uns", sagt danach Cornelia Keller, eine Sprecherin der G-7-Gegner. Denn wegen der Blockade hätten Journalisten, die eigentlich mit dem Bus anreisen wollten, auf einen Helikopter umsteigen müssen. Einen weiteren Blockadeversuch von 300 Protestierern aus dem Camp auf der Bundesstraße verhindert die Polizei allerdings. Mittags marschiert dann ein großer Zug von mehreren hundert Gegnern ins Garmisch-Partenkirchner Zentrum. Mindestens 50 Personen befinden sich laut Polizei in der Gefangenensammelstelle, Verletzte soll es keine gegeben haben. Bis zum Sonntagabend zeigt sich die Polizei sehr zufrieden über den fast ausschließlich friedlichen Verlauf aller Aktionen. Selbst die Großdemo am Samstag war friedlicher als zuvor befürchtet, auch wenn es nicht ganz so harmonisch zuging wie am Sonntag. Es kam zu Ausschreitungen, der Versuch, die Straße zu blockieren, scheiterte. Umstände und Taktik waren völlig anders. Eingepfercht zwischen zwei Reihen von Polizisten mit Schlagstöcken und weißen Helmen, zog der Demozug durch die Garmischer Straßen. Nach Polizeiangaben waren es etwa 3600; die G-7-Gegner sahen aus der Sicht der Polizei wohl doppelt und zählten mehr als 7000 Teilnehmer. Von drei Lautsprecherwagen schallten Technomusik und antikapitalistische Parolen. Democlowns mit weiß geschminkten Gesichtern, Pappnase und pinkfarbenem Tüllrock umtollten die Polizisten. "Schubsi, schubsi", flöteten sie und rüttelten an den Schultern der genervten Beamten. Vorneweg marschierten Hunderte vom Schwarzen Block, manche vermummt mit schwarzen Schals, Käppis und Sonnenbrille. Die Staatschefs der G 7 wurden von ihnen als "Mörder" betitelt. Die Demonstration sollte an einer Kreuzung mit der Bundesstraße B 2 stoppen. Auch hier misslang der Versuch, die Fahrbahn zu blockieren. Bei einer Zwischenkundgebung drängte der Schwarze Block gegen eine Polizeikette, ein bengalisches Feuer wurde gezündet. Die Polizei reagierte mit Pfefferspray und Schlagstock. Laut Polizei sind acht Beamte leicht verletzt worden, einer befinde sich im Krankenhaus. Auch ein Demonstrant hätte behandelt werden müssen. Läden, Wohnhäuser und Fahrzeuge seien jedoch nicht beschädigt worden. Die G-7-Gegner kommen zu einem anderen Rechenergebnis: Mindestens 60 Personen seien durch Pfefferspray verletzt worden, mehrere hätten Schläge auf Kopf und Nacken bekommen, vier sollen im Krankenhaus behandelt worden sein.

Nach dem Ende der Auseinandersetzung am Samstag sah es mehr nach einem Trauerzug aus: Die Demonstranten trotteten zurück, die Füße schwer, der Blick müde. Und dann brach auch noch der Himmel über ihnen zusammen. Blitze zuckten durch die Wolken, zwei Hartgesottene tänzelten noch pitschnass im Dauerregen vor der Bühne, alle anderen stoben auseinander. Nur wohin? Stolz hatten die G-7-Gegner die Tage zuvor noch von ihrem ausgeklügelten Evakuierungskonzept gesprochen, das sie mit dem Roten Kreuz ausgearbeitet hatten. Es hat bloß nicht funktioniert. Auch hierzu gibt es zwei Versionen. Die eines Camp-Bewohners geht so: Stundenlang waren sie obdachlos, die Turnhalle, in die sie umziehen sollten, sei nicht geöffnet worden. Ins Camp wollte die Polizei sie vorerst auch nicht zurück lassen. Manch einer verkroch sich deshalb in eine leer stehende Volkshochschule, andere kamen bei hilfsbereiten Garmischern unter, viele wurden einfach nass. Das Landratsamt hat dagegen eine andere Geschichte zu erzählen: Sie hätten den Demonstranten wie besprochen angeboten, sie in die Turnhalle zu bringen. Die hätten das aber abgelehnt. Wahrscheinlich, weil sie die Polizei beim Umzug begleiten sollte.

Auch die Rechtshilfe der G-7-Gegner ist sich mit den Behörden uneinig. Die Anwälte der Demonstranten haben einen Protestbrief an die Polizei verfasst. Eine Sprecherin beschwert sich über ein "Sammelsurium an Schikanierereien". Anträge würden verschleppt und Anwälte stundenlang nicht zu ihren Mandanten durchgelassen, obwohl die nur zwei Räume weiter sitzen würden.

Und trotzdem hat man am Ende des Protesttages den Eindruck: Es hätte schlimmer kommen können. Und zwischendurch fließt sogar der Verkehr.

© SZ vom 08.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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