Brauchtum:Dutzende Paragrafen für einen Maibaum

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Am schönsten ist ein Maibaum, wenn er, prachtvoll geschmückt, in der Mitte eines Dorfes steht. Das erschweren nicht nur Diebe, sondern viele Vorgaben. (Foto: Robert Haas)

Auch Traditionen sind längst reglementiert: Inzwischen reden beim urbayerischen Brauchtum Förster, Polizisten, Gutachter, Versicherungen und sogar Gerichte mit.

Von Sarah Beham

Nur noch wenige Tage, dann ist wieder Maibaum-Zeit. Wer jetzt denkt, das Maibaum-Aufstellen samt dem Maibaum-Stehlen sei nach wie vor ein Stück archaisches Brauchtum, der täuscht sich aber. Das Maibaum-Aufstellen und das ganze Drumherum sind längst genau geregelt. Nicht nur für das Aufstellen gelten alle möglichen Vorgaben und Empfehlungen. Ein Gang durch den Paragrafen-Dschungel.

Baumfällen

Selbst der stärkste Bursch kann nicht einfach in den Wald gehen und einen Baum umhauen. Vor dem Fällen müssen ein paar Gesetze eingehalten werden. Das fängt damit an, dass Wälder in Staats- oder Privatbesitz sind. "Diebstahl wird strafrechtlich verfolgt", sagt Revierförster Thomas Mayr von der städtischen Forstverwaltung in München. Außerdem dürfen nur Waldarbeiter, ausgebildete Feuerwehrleute oder Gemeindearbeiter Bäume fällen. Sie müssen sich an Sicherheitsbestimmungen der Unfallverhütungsvorschrift Forsten der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (GUV-V C 51) halten.

Unter "3.6.2.4. Fällung" heißt es: "Durch Beseitigung von Hindernissen im Bereich des Arbeitsplatzes am Stamm wird für einen sicheren Stand gesorgt." Zu beachten ist ferner: Sobald der Baum fällt, sollten die Arbeiter zurücktreten. Auch wenn die stolzeste Fichte lockt, so ist doch festgelegt, dass Gehölze außerhalb von Wäldern in der Zeit von 1. März bis 30. September nicht umgelegt werden dürfen. Außerdem haben Vögel und ihre Nistplätze Vorrang. Paragraf 39 Abs. 1 BNatSchG schreibt vor: "Es ist verboten, Lebensstätten wild lebender Tiere und Pflanzen ohne vernünftigen Grund zu beeinträchtigen oder zu zerstören."

Transport

Wenn der richtige Baum von kompetenten Leuten legal gefällt worden ist, muss er abtransportiert werden. Bisweilen ist das ein schwieriges Unterfangen. Schwertransporte müssen 14 Tage im Voraus beim jeweiligen Landratsamt angemeldet werden. Früher war dafür die Regierung Oberbayern verantwortlich. Sie erteilte ungefähr hundert Genehmigungen im Jahr. Am besten wird fürs Aufstellen "die Stadt gesperrt", rät das Polizeipräsidium Oberbayern Süd. Gesetzestreue Diebe sollten die Polizei über ihr Vorhaben informieren, damit sie den Maibaum eskortiert. Bloß hält sich niemand an diese Vorschrift. "Also, wenn man das anmelden muss, ist das reine Bürokratie. Dann hat das ja keinen Sinn mehr", sagt Georg Hartmann vom Maibaumverein München-Forstenried.

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Der Oberndorfer Maibaum gilt als besonders sicher. Der Burschenverein Forstinning ließ trotzdem nicht locker.

Das findet auch Polizeisprecher Jürgen Thalmeier: "Wir wissen, dass gegen Vorschriften verstoßen wird. Wir wissen aber auch nicht, wann welcher Baum wo geklaut wird. Ich kann mich an keine Anmeldung erinnern. Der Brauch würde ad absurdum geführt." Wichtiger ist dem Polizisten: "Die Fahrer sollten absolut nüchtern sein." Sonst bleibt vom Maibaum womöglich nur Brennholz übrig - wie vor einem Jahr, als 19 junge Männer mit einem 7,5-Tonner samt Baum durch den Rhein-Sieg-Kreis unterwegs waren. Sie hatten sich nicht ans Alkohol-Abstinenzgebot gehalten. Auf dem Weg von Troisdorf nach Sankt Augustin mussten sie zwei Brücken passieren. Die zweite war leider zu niedrig.

Diebstahl

Doch selbst wenn man nüchtern bleibt, kann Brauchtumspflege schnell zu Anzeigen führen. Vor zwei Jahren wurde den Arnbacher Burschen im Landkreis Dachau der Baum von den Weshofenern noch aus dem Wald geklaut. Statt Bier und Brotzeit bekamen die Weshofener eine Drohung, dass der Diebstahl angezeigt werde. Die Besitzer behaupteten, es handle sich bei ihrem Baum um Langholz, das verkauft werden sollte und nicht einfach geklaut werden dürfe. Dem Maibaum-Team aus Ebersried (Landkreis Pfaffenhofen) wurde gleich zweimal der Baum aus dem Wald gestohlen. Folge: Strafanzeige gegen die Diebe. Dabei gibt es kein Gesetz gegen Maibaum-Diebstahl.

Aber die "goldenen Regeln des Maibaum-Klaus", wie die Feuerwehr Berglern im Landkreis Erding auf ihrer Facebookseite schreibt: "Erst wenn der Maibaum im Ort ist, darf er gestohlen werden. Solange er im Wald steht, ist er tabu!" Von wegen: Auch den Feuerwehrlern wurde der Baum aus dem Wald geklaut. Sie nennen die Diebe "feige" und sprechen von einem "Armutszeugnis". Die "Hauxdorfer Haisl" stahlen einen Baum aus einer Holzscheune in Kötzersdorf-Haunritz bei Kemnath. Statt einer Auslöse folgte die Androhung einer Anzeige. Begründung: Einbruch und Diebstahl.

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Alfred Tausendpfund, Kreisheimatspfleger im Landkreis München, ist da ratlos. Er hält den Klau für einen Teil des Brauchtums. "Dass das plötzlich ein juristisches Problem werden soll, das ist mir unbekannt". Das versteht er nicht. "Schade, dass man gleich nach dem Richter schreit." Markus Fillinger, Richter am Landgericht Weiden, sagt: Der Maibaumklau ist kein Diebstahl. "Beim Klau eines Maibaums geht es ja darum, dass ihn der andere zurückerhalten soll. Für einen Diebstahl müsste die Absicht der dauernden Enteignung vorliegen".

Wenn, dann würde der Maibaum-Klau eher den Tatbestand der Erpressung erfüllen: "Einen Menschen rechtswidrig durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung zu nötigen und seinem Vermögen einen Nachteil zufügen." Richter Fillinger meint damit, dass sich die Auslöse des Baums im Rahmen halten solle - also eine Brotzeit für die Burschen, die ihn geklaut haben. "Wenn ich fünf Hektoliter Bier für einen Baum verlange ist das kritisch." Die Burschen sollten aber schon während des Klaus aufpassen: "Hier darf nichts beschädigt werden, sonst liegt eine Sachbeschädigung vor. Oder sogar Hausfriedensbruch." Etwa wenn der Baum in einer verschlossenen Scheune versteckt wird und das Schloss aufgezwickt werden würde.

Aufstellen

Der Maibaum ist eine "gefahrenträchtige Einrichtung", sagt die Versicherungskammer Bayern. Nur wenn das Aufstellen des Maibaums im Auftrag der Gemeinde geschieht, stehen die beteiligten Personen unter dem Schutz der gesetzlichen Unfall- und der kommunalen Haftpflichtversicherung. Stellen Vereine das Stangerl in Eigenregie auf, dann tun sie das auf eigenes Risiko. Deswegen empfiehlt die Versicherungskammer eine Maibaum-Versicherung. Sie kostet pro Baum und Jahr zwischen 115 und 190 Euro - je nachdem, ob das Fällen mit eingeschlossen ist und wie hoch die Versicherungssumme sein soll: drei oder fünf Millionen Euro.

Und das Aufstellen kann gefährlich sein: Im Mai 2015 wurde ein 19-Jähriger im Landkreis Cham schwer verletzt, als eine Hebestange zerbrach und Holzteile auf ihn herabfielen. Im gleichen Jahr rutschte in Pentling bei Regensburg ein Baum, der schon fast aufgestellt war, aus der Halterung und stürzte zu Boden. Ein 60-jähriger Helfer erlitt schwere Verletzungen am Bein und musste ins Krankenhaus. 2008 zertrümmerte im schwäbischen Bonstetten ein Maibaum beim Aufstellen eine Marktbude und beschädigte ein Garagendach. 1999 starb eine 59-jährige Besucherin beim Aufstellen des Baumes in einer Gaststätte in Kempten. Der 17 Meter lange Stamm wurde von einer Windböe erfasst und erschlug die Frau.

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Statik

"Man muss sicher stellen, dass der Baum nicht umfällt. Der, der ihn aufstellt, ist dafür verantwortlich, dass er hält", sagt Marc Tremel, Bauingenieur und Zimmerer. Er berechnet für Wirte, Vereine oder Feuerwehr die Statik für den Holzquerschnitt des Maibaums. Der Baum wird dabei an die Verankerung angepasst. Gesetzlich ist das nicht vorgeschrieben, aber empfehlenswert. Bei der Statik wird die Windlast unter Berücksichtigung der Anordnung der angebrachten Tafeln ermittelt, die Verankerung im Erdreich berechnet und dann ein Ausführungsplan erstellt. "Der Plan ist für den Stahlbauer, damit er weiß, wie er verschweißen und verschrauben muss". Kosten: 800 bis 1000 Euro.

Lebensdauer

Wenn der Baum endlich steht, muss er natürlich kontrolliert werden. Auch hier kennt sich die Versicherungskammer aus: "Die Kontroll- und Prüfungsanforderungen sind weder durch Gesetz noch durch die Versicherung vorgeschrieben, sondern ergeben sich aus Gerichtsurteilen, die zu Schadensfällen durch umstürzende Maibäume ergangen sind (Landgericht Traunstein, Amtsgerichte Nördlingen und Miesbach)."

Gefahr droht den Maibäumen durch Fäulnis oder Pilzbefall, vor allem dann, wenn sie - wie meistens der Fall - weiß-blau angestrichen sind. "Wenn zu viel Farbe auf dem Baum ist, kann er nicht austrocknen. Trockenes Holz hält aber länger als feuchtes. Wenn der Baum also am Austrocknen gehindert wird, ist das schlecht, da kommt dann der Pilz rein und greift den Baum an", sagt Georg Wagner, Maibaum-Prüfer beim TÜV-Süd. Das Landgericht Traunstein hat in einem Urteil konkrete Anforderungen für die Prüfung eines Maibaums formuliert: Nach einem Jahr muss ein Holzfachkundiger, zum Beispiel ein Schreiner, den Baum kontrollieren.

Nach zwei Jahren Standzeit muss ein IHK-Holz-Sachverständiger den Baum auf Fäulnis oder Pilzbefall untersuchen. Für alle, die es ganz genau wissen wollen: Diese Untersuchung kann auch ein weitergebildeter Holz-Sachkundiger übernehmen, der beispielsweise durch das Maibaum-Seminar der Versicherungskammer Bayern geschult wurde. Nach drei Jahren Standzeit darf dann aber nur noch ein IHK-Holz-Sachverständiger den betagten Maibaum prüfen.

Thomas Bör ist so einer. Der Diplom-Holzwirt hat auch das Maibaum-Seminar der Versicherungskammer besucht. Er kennt alle Problemzonen und Eigenheiten eines Maibaums. Wenn er gerufen wird, checkt Bör die Standhaftigkeit, die Faulstellen des Baums, sucht nach Rissen, inspiziert die Tafeln auf Rost und Lockerungen. "Man weiß nie, wohin die fallen können", sagt er. Ende April hat in diesem Jahr seinen ersten Auftrag. "Meistens erneuern die Vereine den Baum aber nach drei Jahren" - dann kommt er gar nicht zum Zug. Falls doch, darf der Baum aber höchstens fünf Jahre stehen bleiben, danach muss er abgeholzt werden. Fachgerecht, versteht sich. Wem das alles zu kompliziert ist: Es gibt seit neuestem auch Aluminium-Maibäume, wie TÜV-Mann Wagner sagt. "Die müssen nicht mehr geprüft werden".

© SZ vom 20.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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